Essen. Die Corona-Soforthilfe hat Tausende Betriebe gerettet. Nun drohen Rückzahlungen und verzögerte Pleiten. NRW fordert in Berlin Nachbesserungen.
Die Verbände und Kammern in NRW befürchten etliche Insolvenzen kleiner Betriebe, wenn die Corona-Soforthilfen teils oder ganz zurückgezahlt werden müssen. Grund ist in den meisten Fällen, dass Personalkosten und gestundete Mieten oder Pachten bisher nicht als Betriebskosten angegeben werden dürfen. Um eine verzögerte Pleitewelle zu verhindern, fordert NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) nun Nachbesserungen von der Bundesregierung, wie er unserer Redaktion sagte.
426.000 Betriebe, Freiberufler und Solo-Selbstständige hatten im Frühjahr in NRW zwischen 9000 und 25.000 Euro Soforthilfe erhalten, um sie durch die Krise zu retten. Nun werden sie aufgefordert nachzuweisen, dass sie das Geld tatsächlich benötigt haben. Zu viel gezahltes Geld muss bis Jahresende zurückgezahlt werden.
Minijobs gelten nicht als Betriebskosten
Viele beklagen, dass sie etwa Personalkosten für Aushilfen nicht angeben dürfen. Wer etwa mit Minijobs einen Minimalbetrieb aufrechterhalten oder als Gastronom einen Lieferservice aufgebaut hat, bleibt nun auf den Kosten sitzen. Das zweite große Problem: Wer seine Miete zwischen März und Mai ausgesetzt hat, kann sie auch nicht als Betriebskosten angeben. Nun muss er die Miete nachzahlen und soll gleichzeitig zu viel erhaltene Corona-Hilfe zurückzahlen.
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Das stellt viele Gastwirte vor Existenzprobleme: „Die Pachten sind ja nicht weg, nur verschoben. Wenn nun die Corona-Hilfe zurückgezahlt werden muss, weil in den Monaten keine Miete gezahlt wurde, läuft die Hilfe ins Leere“, sagt Thorsten Hellwig, Sprecher des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga NRW. Damit würden auch viele Insolvenzen nur verschoben – „das kann die Politik nicht wollen“.
Gefahr von Subventionsbetrugsverfahren
Die Industrie- und Handelskammern (IHK) hören die gleichen Probleme aus ihren Branchen, insbesondere in der Personenbeförderung, Reise- oder Maklerbüros, die „für Ihre Kunden da sein mussten, ohne aber tatsächlich Umsätze erzielen zu können“. Der Deutsche Mittelstands-Bund sieht zudem die Gefahr, dass ohne faire Regelungen „eine Welle unnötiger Subventionsbetrugsverfahren“ drohe.
NRW hat deshalb die Abrechnung der Corona-Soforthilfe ausgesetzt und versucht in Berlin, Änderungen durchzusetzen. Wirtschaftsminister Pinkwart sagte unserer Redaktion, er teile die Sorgen der Betriebe. „Wir fordern von der Bundesregierung Nachbesserungen bei der Abrechnung von Personalkosten und gestundeten Zahlungen“, sagte er. Dazu liefen gemeinsam mit anderen Ländern intensive Gesprächen mit dem Bundeswirtschaftsministerium. „Wir drängen auf eine Klärung der offenen Fragen“, sagte Pinkwart.
Bisher haben die fünf Bezirksregierungen in NRW rund 100.000 Empfänger aufgefordert, eine Abrechnung ihrer Kosten und Umsätze in den fraglichen Monaten März bis Mai vorzulegen. Die Folge waren etliche Beschwerden von Empfängern darüber, was sie alles nicht als Betriebskosten angeben dürfen, vor allem Personalkosten und gestundete Mieten oder Pachten.
Die meisten Empfänger sind Kleinstbetriebe
Die meisten (86 Prozent) Empfänger sind Einzelkämpfer oder Kleinstbetriebe mit höchsten fünf Beschäftigten, sie erhielten pauschal 9000 Euro Corona-Soforthilfe. Betriebe mit bis zu zehn Beschäftigten erhielten 15.000 Euro, NRW half zudem auch Mittelständlern (bis 50 Beschäftigte) mit 25.000 Euro, zahlte insgesamt 4,5 Milliarden Euro an Corona-Soforthilfen aus. Die Empfänger sollten schnell an ihr Geld kommen, sie müssen nun aber im Nachhinein ihren Bedarf belegen.
Grundvoraussetzung dafür ist, dass ihre Einnahmen nicht mehr reichten, um die laufenden Kosten zu decken. Als solche angeben dürfen sie vor allem Betriebskosten, etwa Miete, Stromrechnungen oder Kreditzinsen. In NRW dürfen zudem auch Lebenshaltungskosten von 2000 Euro für die Monate März und April ansetzen, das gibt es sonst nur noch in Baden-Württemberg und Hamburg.
Gesetzgeber verweist auf Kurzarbeit
Was der Gesetzgeber nicht gelten lässt, sind etwa Personalkosten. Er verweist darauf, dass die Betriebe ihre Beschäftigten ja in Kurzarbeit schicken könnten, um den Lohn zu sparen. Für Aushilfen, Minijobber und Auszubildende gilt das freilich nicht, worauf IHK NRW hinweist, die Landesvereinigung aller Industrie- und Handelskammern. So hätten sich viele Unternehmen „auch mit Verlass auf die Anrechenbarkeit von nicht durch die Kurzarbeiterregelung gedeckten Personalkosten im April und Mai dazu entschlossen, nicht weiter zu schließen“.
Viele Unternehmen aus der Gastronomie und dem Handel hätten auf kreative Lösungen gesetzt und kurzfristig einen Bring- und Abholservice eingerichtet, „um zumindest einen Teil der Geschäftstätigkeit aufrechtzuerhalten und ihre Kunden zu halten“, so IHK NRW. Der Hotel und Gaststättenverband (Dehoga) NRW bestätigt das und betont, die Wirte hätten damit für ihre Gäste präsent bleiben wollen, die wenigsten mit dem Außer-Haus-Essen aber ihre Kosten decken können.
Gerade angesichts der befürchteten zweiten Welle an Infektionen sorgt sich der Dehoga nun vor einer Pleitewelle im Herbst. „Die Außengastronomie hilft zurzeit sehr, viele haben sie erweitert. Wenn die im Herbst wegfällt, kreist das Damoklesschwert über der Branche“, so Dehoga-Sprecher Hellwig.
Gestundete Mieten erweisen sich als Falle
Das zweite zentrale Problem sind gestundete Mieten und Pachten. Die Koalition hat einerseits das Aussetzen der Abschläge in Corona-Zeiten erleichtert, was viele Kleinbetriebe und Soloselbstständige dankbar angenommen haben. Doch nun können sie diese aufgeschobenen Zahlungen nicht als Betriebskosten angeben in den Monaten, für die die Soforthilfe gedacht war. Eine Falle, auf die die Kammern früh hingewiesen haben.
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NRW und andere Bundesländer wollen das nachträglich geändert wissen, derzeit laufen Gespräche mit dem Bundeswirtschaftsministerium. Wie aus Berlin zu vernehmen ist, gibt man sich im Haus von Peter Altmaier (CDU) offen. Zuletzt stand in solchen Fragen eher das Bundesfinanzministerium von Olaf Scholz (SPD) auf der Bremse, schließlich muss der Staat für die Corona-Hilfen viele Milliarden an Neuschulden aufnehmen. Mit Verweis auf die Federführung von Wirtschaftsminister Altmaier ließ das Finanzministerium unsere Fragen, wie es zu den gewünschten Nachbesserungen stehe, unbeantwortet.
Mittelstand fordert Verlängerung der Rückzahlfrist
Der Deutsche Mittelstands-Bund (DMB) erwartet „hohe Rückzahlungsbeträge“ und hofft auf Nachbesserungen. Vorstand Marc Tenbieg fordert, zunächst Druck herauszunehmen, indem die Rückzahlfrist bis Ende Dezember verlängert wird. Das sei wichtig, damit „Unternehmen und Selbstständigen zusätzliche Belastungen und Verwaltungsaufwand in der nach wie vor angespannten wirtschaftlichen Situation erspart bleiben.
Auf Pragmatismus setzt die IHK Essen, die auch für Mülheim und Oberhausen zuständig ist. „Das Abrechnungsverfahren für die Soforthilfe muss auf einem transparenten und nachvollziehbaren Regelwerk aufbauen“, sagte Geschäftsführer Heinz-Jürgen Hacks. Zugleich zeigte er aber auch Verständnis für die mutmaßlichen Webfehler: „Kein Gesetzgeber kann jeden denkbaren Anwendungsfall vorab berücksichtigen. In begründeten Einzelfällen sollte bei der Abrechnung daher zugunsten der Unternehmen entschieden werden.“