Essen. IGBCE und Steag haben sich auf Regeln für Stellenabbau geeinigt. Betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen, Anpassungsgeld wird aufgestockt.
Die Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie (IG BCE) hat mit der Steag den ersten Tarifabschluss erzielt, der den Stellenabbau im Zuge des Kohleausstiegsgesetzes regelt. Wie berichtet, verlieren auch beim Essener Stromkonzern Hunderte Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze, weil alle Steinkohlekraftwerke in den kommenden Jahren abgeschaltet werden müssen. Nach Darstellung der IGBCE sind dabei betriebsbedingte Kündigungen nun ausgeschlossen.
Die Steag betreibt noch je drei Steinkohlekraftwerke in NRW und im Saarland. Welches wann vom Netz geht, steht längst nicht fest. Damit bleibt auch offen, wer seinen Arbeitsplatz wann verlieren wird. Der Tarifvertrag gilt praktisch auf Vorrat: Damit niemand wegen der von der Bundesregierung beschlossenen schrittweisen Abschaltung der Kraftwerke entlassen werden muss, wurden mehrere Eckpfeiler beschlossen, die nun in Betriebsvereinbarungen gegossen werden sollen.
Höheres APG für die Älteren, Transfergesellschaft für die anderen
So wird das vom Staat für Beschäftigte ab 58 Jahren zugesagte Anpassungsgeld für den Übergang in die Rente „auf 80 Prozent des letzten Nettoentgelts“ aufgestockt, so die IGBCE. Es orientiert sich am Rentenanspruch zum Zeitpunkt des Ausscheidens und wird frühestens fünf Jahre vor Beginn des frühestmöglichen Renteneintritts gezahlt. Für die jüngeren Beschäftigten wird eine Transfergesellschaft eingerichtet, in der sie bis zu zwei Jahre lang qualifiziert und weiter vermittelt werden können. Alternativ sollen auch Abfindungen angeboten werden.
Die Tarifkommission der IG BCE habe dem Vertragswerk am Montag in Essen einhellig zugestimmt, teilte die Gewerkschaft mit. Der Vertrag gelte für die gesamte Dauer des Kohlestrom-Ausstiegs und laufe bis „spätestens Ende 2043“. Die Steag dürfte ihre letzten Steinkohlekraftwerke allerdings bereits Anfang der 30er-Jahre abschalten müssen. Die Entscheidung darüber wird bei der Bundesnetzagentur liegen, nicht im Unternehmen. Sie kann spätestens ab 2028 Steinkohleblöcke zwangsweise stilllegen. Für die Braunkohlekraftwerke gibt es dagegen einen genauen Ausstiegsplan bis 2038.
Es sei die erste Vereinbarung, „die die Vorgaben des vor einem Monat beschlossenen Kohleausstiegsgesetzes erfüllt“, betont die Gewerkschaft. In Gesprächen sind IGBCE und Verdi auch mit den anderen betroffenen Stromkonzernen. RWE etwa muss rund 3000 Stellen im rheinischen Braunkohlerevier bereits in den kommenden Jahren abbauen, Uniper rund 650 Stellen in seinen Steinkohlekraftwerken streichen.
IGBCE lobt den Tarifvertrag
„Wir müssen die Transformation unserer Energieversorgung nicht nur klima-, sondern auch sozialverträglich gestalten“, sagte der Ralf Sikorski, Vizechef und Tarifvorstand der IGBCE. Der Tarifvertrag mit der Steag sorge dafür, „dass Jüngere neue Chancen bekommen und Ältere mit Anstand aus dem aktiven Arbeitsleben ausscheiden können“. Ein Unternehmenssprecher sagte, „nach durchaus schwierigen Verhandlungen ist das ein Ergebnis, das den Interessen beider Seiten Rechnung trägt“.
Denn der Tarifvertrag ist nicht nur für die Beschäftigten in den Steinkohlekraftwerken und der Zentrale wichtig, deren Arbeitsplätze wegfallen. Er ist zugleich die Voraussetzung für die Steag, um ihre Steinkohlekraftwerke für die staatlichen Auktionen anmelden zu können. Die erste soll bereits in diesem September stattfinden. Nur mit einem Zuschlag in einer Auktion kann der Betreiber eine Entschädigung für die Abschaltung erhalten.
Tarifvertrag Bedingung für Stilllegungs-Auktion
Bis 2027 finden diese Ausschreibungen jährlich statt. Wer am wenigsten Geld für die Stilllegung seines Steinkohleblocks fordert, darf dies auch tun. Die Maximalentschädigungen sinken mit jedem Jahr. Deshalb prüfen die Betreiber derzeit, welches Kraftwerk sie wann zur Abschaltung anmelden sollen. In NRW dürfte der erst 2013 in Betrieb genommene Block 10 des Steag-Kraftwerks in Duisburg-Walsum als letzter vom Netz gehen, Block 9 läuft dort seit 32 Jahren und wäre aufgrund seines Alters wie das Kraftwerk in Bergkamen von 1981 ein Kandidat für eine Auktion. Die drei Saar-Kraftwerke dürfen an der ersten Ausschreibung nicht teilnehmen, weil sie noch als systemrelevant gelten.
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Weil die Steag sich gegenüber den Braunkohlebetreibern benachteiligt sieht und die möglichen Entschädigungen für zu gering hält, hat sie vergangene Woche einen Eilantrag gegen das Kohleausstiegsgesetz beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht. Der Konzern betonte dabei aber, das Gesetz weder verhindern noch verzögern, sondern lediglich bessere Bedingungen erwirken zu wollen.
Unsicherheit belastet die Beschäftigten
Für die Beschäftigten, die um ihre Arbeitsplätze bangen, ist die andauernde Ungewissheit schwer zu ertragen, wie der Konzernbetriebsratschef Bernd Hagemeier zu berichten weiß: „Die monatelange politische Debatte um den Kohleausstieg hat die Kolleginnen und Kollegen stark belastet“, sagt er, lobt aber die nun getroffene Einigung zum Personalabbau: „Für den politisch gewollten Ausstieg aus der Kohleverstromung ist der Abschluss des Tarifvertrages ein Baustein für einen sozialverträglichen Strukturwandel.“