Berlin. Der Kohleausstieg ist beschlossene Sache. Der umweltschädliche Strom aus Kohle wird schrittweise abgeschafft. Das sind die Details.
Peter Altmaier genoss seinen Auftritt im Bundestag sichtlich. Als Bundeswirtschaftsminister hat man schließlich nicht jeden Tag ein historisches „Generationenprojekt“ vorzustellen, wie es der CDU-Politiker nannte. Bundestag und Bundesrat beschlossen am Freitag das Ende der Kohleverstromung im Industrieland Deutschland bis spätestens 2038. „Das fossile Zeitalter in Deutschland geht mit dieser Entscheidung unwiderruflich zu Ende“, so Altmaier.
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Doch ganz glatt lief die Verabschiedung nicht: Wegen unklarer Mehrheitsverhältnisse musste die Abstimmung in Form eines Hammelsprungs wiederholt werden, bei dem die Abgeordneten einzeln gezählt werden. Das Verfahren wurde nötig, da einige Abgeordnete der Union gegen das Gesetz gestimmt hatten.
Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:
Wie geht der Ausstieg vor sich?
Vor anderthalb Jahren hatte eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission einen Kohleausstieg bis spätestens 2038 vorgeschlagen. Kohlekraftwerke sollten zwar ohnehin nach und nach vom Netz genommen werden, aber ehrgeizigere Klimaziele machten einen schnelleren Ausstieg notwendig.
In den Jahren 2026, 2029 und 2032 wird nun jeweils Mitte August überprüft, ob der Fahrplan für die Zeit nach 2030 um drei Jahre vorgezogen werden kann, ein Ausstieg also womöglich schon bis Ende 2035 durchführbar ist. Den Anfang bei den Abschaltungen macht bei der Braunkohle schon 2020 ein Kraftwerksblock im rheinischen Revier, danach gehen dort bis Ende 2022 sieben weitere – meist kleinere und vorwiegend ältere – Blöcke vom Netz.
Ostdeutschland ist erstmals Ende 2025 bis Ende 2028 betroffen, wenn schrittweise das Kraftwerk Jänschwalde abgeschaltet wird. Schwerpunkte der Abschaltung sind die Jahre 2029 und 2038. Besonders leistungsstarke Anlagen sollen bis zuletzt am Netz bleiben.
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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Mittwoch zwar mit Blick auf den Ausstiegspfad eingeräumt: „Ich weiß, dass wir Hänger haben in der Mitte der 20er-Jahre.“ Insgesamt aber sei der Kohleausstieg ein „ganz, ganz wichtiger Schritt“. NRW-Ministerpräsident Armins Laschet (CDU) betonte mit Blick auf das umstrittene Steinkohlekraftwerk Datteln IV, das Anfang Juni ans Netz ging, es sei wichtig, dass „bezahlbarer und jederzeit verfügbarer Strom“ trotz des Ausstiegs garantiert sei – auch für die Industrie rund um die Reviere.
Wie geht es in den betroffenen Regionen weiter?
Noch immer hängen Tausende von Jobs in den Revieren an der Kohle. Damit Strukturbrüche vermieden werden, greift der Bund tief in die Tasche: Vorgesehen sind bis 2038 Hilfen von insgesamt 40 Milliarden Euro. Sie sollen den Kohleregionen in NRW, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenburg helfen, Wirtschaft und Infrastruktur neu aufzustellen. Denn das Schreckensszenario wären wirtschaftlich abgehängte Regionen.
So gibt es direkte Finanzhilfen des Bundes für wichtige Investitionen der Kohleländer und -gemeinden von bis zu 14 Milliarden Euro. Der zweite Topf besteht aus 26 Milliarden Euro für Maßnahmen, die der Bund anstoßen muss – zum Beispiel neue Bahnstrecken oder Straßen. Dies soll die Regionen als Standorte attraktiver machen. Auch neue Bundesbehörden oder Forschungsinstitute sind geplant. Die Kohleregionen sollen, so die Hoffnung, „Modellregionen“ für Zukunftstechnologien werden.
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Was geschieht mit den Arbeitsplätzen?
Keiner der Kohlekumpel soll ins „Bergfreie“ fallen, wie es der Chef der Bergbaugewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis, formuliert. So wird es etwa für maximal fünf Jahre ein Anpassungsgeld für Beschäftigte ab 58 Jahren geben, um die Zeit bis zum Renteneintritt zu überbrücken. Auch Renteneinbußen sollen ausgeglichen werden. Hierfür nimmt der Bund Geld in die Hand.
Werden die Kraftwerksbetreiber entschädigt?
Ja. Die Betreiber der Braunkohlekraftwerke sollen mit 4,35 Milliarden Euro vom Bund für die Stilllegung ihrer Anlagen entschädigt werden. Davon betreffen 2,6 Milliarden Euro Kraftwerke in Nordrhein-Westfalen und 1,75 Milliarden Euro Anlagen in Ostdeutschland. Klimaschutzaktivisten kritisieren hierbei, dass sich die Betreiber veraltete Braunkohlemeiler „vergolden“ lassen könnte.
Warum gibt es laute Kritik?
Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser bezeichnete das Gesetz als „historischen Fehler“. „Denn es verfehlt den eigentlichen Zweck: den Schutz der Menschen vor den dramatischen Auswirkungen der Klimakrise“, sagte Kaiser. Grünen-Chefin Annalena Baerbock bemängelte, der Ausstieg komme viel zu spät. Die Bundesregierung sei an entscheidenden Stellen vom Konzept der Kohlekommission abgewichen. Ein Ausstieg sei aus Gründen des Klimaschutzes bis 2030 möglich und nötig.
Fraktionsvize Oliver Krischer erklärte, es sei den Grünen nicht leichtgefallen, gegen das Gesetz zum Ausstieg zu stimmen, „weil wir seit unserer Gründung als Partei für diesen Schritt gekämpft haben“. Doch es gebe zu viele Mängel. Viele Kraftwerke würden viel zu spät abgeschaltet.
Der WWF Deutschland kritisierte, die CO2-Emissionen der Kohleverstromung blieben sehr hoch. Gegenüber dem Kompromiss der Kohlekommission werden bis zu 130 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich emittiert. Die Hälfte aller Braunkohlekraftwerke solle erst nach 2030 vom Netz gehen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begrüßte das Gesetz als „wichtigen Meilenstein in der deutschen Energiepolitik“.