Essen. Eine Insolvenzwelle von nicht gekanntem Ausmaß droht in NRW: Vor allem Betriebe im Handel und in der Gastronomie kämpfen jetzt ums Überleben.
Während in der Wahrnehmung der meisten Bürger die Corona-Krise abklingt, kämpfen viele Betriebe mehr denn je ums Überleben. Sie haben die Soforthilfe des Landes aufgebraucht, warten nun auf die vom Bund versprochene Überbrückungshilfe von bis zu 50.000 Euro im Monat. An diesem Mittwoch nun hat der Bund das Portal freigeschaltet, auf dem sich Steuerberater und Wirtschaftsprüfer ab sofort registrieren können. Ab Freitag können sie dann Hilfsgelder für die Unternehmen beantragen. Dafür stehen insgesamt 24,6 Milliarden Euro bereit.
Creditreform erwartet Insolvenzwelle
Besonders im Handel und in der Gastronomie ringen viele Betriebe um ihre Existenz. Deutschland droht nach Einschätzung der Wirtschaftsauskunftei Creditreform im zweiten Halbjahr „eine Insolvenzwelle von bisher nicht gekanntem Ausmaß”. Zum allgemeinen Nachrichtentrend passt das auf den ersten Blick nicht: Das Konjunkturbarometer steigt wieder, die Industrie fährt langsam hoch, Handel und Gastronomie dürfen immerhin öffnen. Doch die Anzeichen für eine Normalisierung zeichnen ein trügerisches Lagebild, warnen die Industrie- und Handelskammern. Nachdem sie Kurzarbeit und Staatshilfe durch den Frühjahr gerettet haben, entscheidet sich für viele Betriebe jetzt, ob sie die Corona-Krise überleben oder nicht.
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„Wir haben täglich Anrufe von Unternehmern, die auf den Start der dringend benötigten Überbrückungshilfe warten. Der von der Bundesregierung angekündigte ,Wumms’ muss bei den Betrieben ankommen – und zwar schnell und unbürokratisch“, fordert Gerald Püchel, Hauptgeschäftsführer der IHK zu Essen, die auch für Mülheim und Oberhausen zuständig ist. „Viele Unternehmen bangen um ihre Existenz, einige Unternehmen werden die Krise nicht überstehen“, warnt Eric Weik, Hauptgeschäftsführer der IHK Mittleres Ruhrgebiet für Bochum, Herne, Witten und Hattingen. Die Förderprogramme seien in der größten Not der richtige Ansatz, aber: „Den wirtschaftlichen Schaden des weltweiten Shutdowns kann kein Förderprogramm auffangen.“
Für Überbrückungshilfe Steuerberater nötig
Besonders die Veranstaltungsbranche mit Messebauern, Caterern und Eventagenturen sowie Betriebe aus dem Gastgewerbe und der Touristikwirtschaft fragen bei den Kammern bereits nach den Überbrückungshilfen. Ihnen geht genau jetzt das Geld aus. Das Land hat 426.000 Kleinbetrieben und Solo-Selbstständigen geholfen, in der Regel mit 9000 Euro Soforthilfe. Das Programm lief bis Mai, das im zweiten Konjunkturpaket verankerte Überbrückungsgeld soll für die Monate Juni bis August sein. Doch es wird nicht so leicht fließen wie die Soforthilfe.
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Diesmal müssen die Betriebe ihre Umsatzausfälle und ihre Fixkosten, für deren Begleichung das Überbrückungsgeld gedacht ist, per Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer glaubhaft machen. Gleichzeitig werden sie derzeit bereits von den Bezirksregierungen aufgefordert zu prüfen, ob sie die Soforthilfe wirklich vollständig benötigen. Andernfalls sollen sie das überschüssige Geld bis zum Jahresende zurückzahlen. Beim Überbrückungsgeld muss anschließend ein Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer nachweisen, dass die Umsatzausfälle und Fixkosten tatsächlich so hoch waren wie bei der Beantragung angegeben.
Soforthilfe hat viele gerettet – vorerst
Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform rechnet damit, dass die Insolvenzwelle mit den Soforthilfen nur vertagt wurde und nun in der zweiten Jahreshälfte und im kommenden Jahr anrollt. Die Zahl der Pleiten werde im Vergleich zu normalen Zeiten um rund ein Fünftel steigen, hieß es unlängst bei der Vorlage der Halbjahresbilanz des Insolvenzgeschehens in NRW.
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Als besonders gefährdet gelten etwa Restaurants und Hotels – ihr eigener Verband Dehoga befürchtet, dass rund 13.000 der 50.000 Gastronomiebetriebe die Corona-Krise nicht überleben könnten. Auch der Einzelhandel rechnet mit einer Pleitewelle noch in diesem Jahr: Der Verband HDE erwartet für ganz Deutschland rund 50.000 Geschäftsaufgaben, damit würde die Corona-Krise jeden sechsten der rund 300.000 Betriebe die Existenz kosten. Aktuell tun sich besonders Textil- und Schuhhändler schwer, zu ihrem gewohnten Umsatz zurückzukehren. Für das Veranstaltungsgewerbe, Schausteller und Tourismusbetriebe wird es ebenfalls immer enger.
Banken reicht Aussicht auf Hilfe oft nicht
Es sind vor allem Betriebe aus diesen Branchen, die aktuell die Kammern um Rat fragen. „Viele sind verunsichert. Die Prüfung möglicher Rückzahlungen der Soforthilfe und die Überbrückungshilfe sind die häufigsten Themen zurzeit“, berichtet Lea Wegmann, die bei der IHK Bochum Betriebe berät. Einige bekämen zunehmend Probleme mit ihrer Bank, weiß ihre Kollegin Elika Khaleghi, weil die Soforthilfe ausgelaufen und die Überbrückungshilfe noch nicht angelaufen ist. Die Aussicht darauf reichten den Banken oft nicht für einen neuen Dispo. 4000 Anrufer hat die IHK in der heißen Corona-Phase beraten, Wegmann erwartet nun eine ähnlich große zweite Welle.
Betriebskosten werden zum Teil erstattet
Die Überbrückungshilfe richtet sich an kleine und mittelgroße Unternehmen aller Branchen. Sie müssen nachweisen, dass sie im April und Mai 2020 mindestens 60 Prozent weniger Umsatz gemacht haben als im Vorjahreszeitraum und von Juni bis August 2020 weiterhin mindestens die Hälfte ihres Normalumsatzes einbüßen. Dann können sie einen Teil ihrer fixen Betriebskosten ersetzt bekommen. Wie viel, hängt vom Umsatzverlust ab: Bei mehr als 70 Prozent Umsatzausfall werden 80 Prozent der Fixkosten ersetzt, bei 50 bis 70 Prozent Ausfall wird die Hälfte ersetzt, bei 40 bis 50 Prozent Umsatzausfall werden 40 Prozent der Betriebskosten übernommen. Die Kosten für die zwischengeschalteten Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer werden dabei berücksichtigt.
Die Förderung ist gedeckelt auf maximal 3000 Euro pro Monat für Unternehmen mit bis zu fünf Beschäftigten, 5000 Euro bis zehn Beschäftigte und 50.000 Euro pro Monat für größere Betriebe. In Ausnahmefällen können kleine Betriebe bis zehn Mitarbeiter mehr erhalten, nämlich dann, wenn ihre Fixkosten mindestens doppelt so hoch sind wie der maximale Förderbetrag. Beantragen können die Überbrückungshilfe nur Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer über das bundeseinheitliche Onlineportal.
NRW legt 1000 Euro für Lebensunterhalt drauf
Um seine Solo-Selbstständigen vor dem Abrutschen in Hartz IV zu schützen, plant NRW dazu noch eine Sonderregel: Während der Bund die Überbrückungshilfen ausdrücklich nur für Betriebskosten vorgesehen hat, erlaubt die schwarz-gelbe Landesregierung auch, daraus den Lebensunterhalt zu bestreiten. NRW gewährt den Betroffenen dafür 1000 Euro im Monat zusätzlich und stellt für sein „Überbrückungshilfe Plus“ 300 Millionen Euro bereit. Damit wolle das Land sicherstellen, dass „auch Soloselbstständige und Freiberufler“ geholfen werde, sagte Landeswirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) am Mittwoch. Sie könnten Kosten etwa für Mieten oder Krankenversicherungen damit zumindest teilweise abdecken. Beantragen müssen auch diese Überbrückungshilfe Plus die Steuerberater über das bundesweite Portal.
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Pinkwart verteidigte zugleich, dass die Empfänger der Soforthilfe nun prüfen sollen, ob sie Teile daraus zurückzahlen müssen. Nordrhein-Westfalen habe anders als andere Bundesländer gleich die Maximalbeträge unbürokratisch bewilligt. Als Gegenleistung dafür, das sei von Anfang an so kommuniziert worden, sollen die Empfänger möglicherweise zuviel gezahlte Hilfe zurückzahlen. Für die Prüfung hätten die Empfänger der Hilfen aber bis Ende September Zeit.
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