Essen/Ratingen/Hongkong. Modehändler Esprit will 44 von 94 Läden schließen und 1100 Stellen streichen. Verdi kritisiert das scharf und fordert eine Transfergesellschaft.
Im Schatten des Dramas um Karstadt sind weitere große Textilhändler in existenzielle Schwierigkeiten geraten. So wurde zeitgleich mit Karstadt am Mittwoch auch für die in vielen Innenstädten sehr präsente Ratinger Modekette Esprit ein Insolvenzverfahren in Eigenverantwortung eröffnet. Wie bei Karstadt ging ein dreimonatiges Schutzschirmverfahren voraus, das auch Konkurrenten wie Sinn, Hallhuber, Appelrath Cüpper und Bonita derzeit durchlaufen. Für die Mitarbeiter von Esprit ist der von der Muttergesellschaft in Hongkong verkündete Zwischenstand ein riesiger Schock: Fast jede zweite der knapp 100 Filialen in Deutschland soll schließen, 1100 Arbeitsplätze wegfallen, davon 800 in den Läden und 300 in der Ratinger Zentrale.
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Der Modekonzern mit Sitz in Ratingen, dessen Holding am Börsenplatz Hongkong sitzt, steckt seit Jahren in der Krise und fährt entsprechend einen Schrumpfkurs. Allein 2019 wurden knapp 40 Läden geschlossen und der Abbau von 400 Stellen vor allem in der Verwaltung angekündigt. Bereits im ersten Halbjahr des bis Ende Juni laufenden Geschäftsjahres 2019/2020, also vor der Pandemie, büßte Esprit 15 Prozent Umsatz ein und schrieb einen Verlust von 39 Millionen Euro.
Esprit schon vor Corona auf Schrumpfkurs
Wie bei der Konkurrenz hat auch bei Esprit die Corona-Krise dann noch einmal heftig ins Kontor geschlagen. Ende März rettete sich Esprit unter ein Schutzschirmverfahren und so vor dem Zugriff seiner Gläubiger. Nach drei Monaten hat das Management dem Insolvenzgericht nun einen Sanierungsplan vorgelegt, woraufhin das reguläre Insolvenzverfahren in Eigenregie eröffnet wurde. Zum Sachwalter bestellte das zuständige Amtsgericht Düsseldorf Biner Bähr von der Kanzlei White & Case.
Der Sanierungsplan sieht nicht weniger als eine Halbierung der Kette in ihrem Kernmarkt Deutschland vor. Bereits bis Ende November soll diese „Store-Optimierung“ abgeschlossen sein, wie Esprit die Schließungswelle in einer Mitteilung selbst nennt. Darin wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unter dem Titel „Esprit erreicht Meilenstein bei der Restrukturierung“ gefeiert.
Das Unternehmen erwartet dadurch jährliche Kosteneinsparungen von 100 Millionen Euro. Neben dem Stellenabbau sollen auch „weitere Gehalts- und Leistungskürzungen für Mitarbeiter der Verwaltung“ dazu beitragen, die mit dem Betriebsrat „diskutiert“ würden. Esprit-Chef Anders Kristiansen sagte: „Die Auswirkungen von Covid-19 haben die Modebranche schwer getroffen. Diese außergewöhnliche Situation war eine große Herausforderung für uns, die wir bislang sehr gut gemeistert haben.“ Mit dem Sanierungsplan werde das Management „unsere großartige Marke erhalten“.
Verdi: Alle Trends verschlafen
Die Gewerkschaft Verdi kritisiert das „aufs Schärfste“, so die Reaktion der Dienstleistungsgewerkschaft am Donnerstag. Verdi zufolge sollen 44 der bundesweit noch 94 Filialen geschlossen werden. Dies sei das Ergebnis „einer schlechten Strategie“, so Verdi. „Der Handelskonzern hat alle Trends und das veränderte Kundenverhalten verschlafen, ob modische Trends, Kundenwünsche oder den Onlinevertrieb“, wettert Orhan Akman, Bundesfachgruppenleiter für den Einzelhandel. „Keiner weiß mehr, wofür der Modekonzern so richtig steht. Jetzt sollen die Beschäftigten das Missmanagement ausbaden.“
Verdi sieht Esprit nun aufgefordert, Verantwortung für alle Beschäftigten zu tragen. Es müssten bestmögliche Lösungen für die von Kündigung bedrohten Beschäftigten vereinbart werden. „Dazu gehört auch die Möglichkeit einer Transfergesellschaft, in der die Betroffenen aufgefangen, qualifiziert und weitervermittelt werden“, fordert Akman. Er nennt es im Sinne der Mitbestimmung „besonders bitter, dass rund ein Drittel der Häuser mit den stärksten Betriebsratsstrukturen von Schließung und Kündigung betroffen sein soll“. Es sollten „diejenigen entlassen werden, die die Interessen der Beschäftigten zu vertreten wissen“, lautet sein Vorwurf.
Textilbranche hängt weit zurück
Zu den hausgemachten kommen noch die großen Branchenprobleme hinzu: Während viele Einzelhandelsbereiche laut Statistischem Bundesamt im Mai wieder ihr Normalniveau erreichten, bleiben Textilien und Schuhe Ladenhüter. Der Handel mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren sowie mit mit Waren verschiedener Art (etwa Kaufhäuser) setzte real 22,6 Prozent weniger um als im Mai 2019. Dabei lag der Umsatz mit „Nicht-Lebensmitteln“ insgesamt schon wieder über Vorjahresniveau – um 3,5 Prozent. Möbel- und Elektronikhändler sowie Baumärkte haben ihre Umsatzausfälle während der Zwangsschließungs-Wochen fast schon wieder aufgeholt, die Textilhändler bei weitem nicht.
„Per Ende Mai liegen die Mode-, Schuh- und Lederwarengeschäfte beim Umsatz um durchschnittlich 32,4 Prozent unter dem Vorjahr“, sagte Siegfried Jacobs, Vizechef der Handelsverbände Textil und Schuhe. Und dieser Trend habe im Juni angehalten. Deshalb nannte er es „verständlich, dass manche Outfit-Geschäfte die Senkung der Mehrwertsteuer aktuell nicht an die Kunden weitergeben“. Die Händler bräuchten ähnlich wie die Gastronomen den Mehrerlös, um ihre eigene Existenz zu sichern.