Düsseldorf/Essen. Trotz Corona-Krise geht die Zahl der Insolvenzen zurück. Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform warnt, dies verschleiere die tatsächliche Lage.
Trotz der Corona-Krise ist die Zahl der Insolvenzen nach Angaben der Wirtschaftsauskunftei Creditreform rückläufig. Für das erste Halbjahr 2020 erwartet Creditreform bei den Unternehmensinsolvenzen einen Rückgang um 8,2 Prozent. Insgesamt sei mit rund 8900 regulären Insolvenzen zu rechnen – nach 9690 Fällen im Vorjahreszeitraum, berichtet die Wirtschaftsauskunftei. „Das Insolvenzgeschehen als Seismograph der ökonomischen Entwicklung hat sich von der tatsächlichen Situation der deutschen Unternehmen entkoppelt“, heißt es in einer in Düsseldorf vorgelegten Analyse der Wirtschaftsauskunftei.
Ursächlich für die rückläufigen Insolvenzzahlen dürften vor allem die staatlichen Hilfspakete sein, urteilen die Experten. Creditreform verweist unter anderem auf die von der Staatsbank KfW bereitgestellten Kredite, Zuschüsse für Selbstständige und kleine Gewerbetreibende sowie die vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht.
Es habe „möglicherweise unerwünschte Mitnahmeeffekte“ im Zusammenhang mit den staatlichen Hilfen gegeben, vermutet Creditreform. „Die tatsächlich eingetretene Abnahme der Insolvenzen zeigt nun deutlich, dass der beabsichtigte Effekt der Maßnahmen zwar einerseits erreicht, jedoch zugleich insoweit verfehlt wurde, als offenbar auch solche Unternehmen vorläufig der Insolvenz entgangen sind, die – hätte es die Viruskrise nicht gegeben – den Gang zum Insolvenzgericht angetreten hätten.“
RWI-Experte erwartet deutlichen Anstieg der Fallzahlen zum Jahresende
Eine Insolvenzwelle könne nun mit Verzögerung anrollen, warnt Creditreform. Es gebe das „Risiko einer deutlichen Verschärfung des Insolvenzgeschehens“ für die zweite Jahreshälfte und das kommende Jahr. Die „vielfach ohnehin dünnen Gewinnmargen dürften bei einem anhaltenden Umsatzrückgang nicht mehr ausreichen“, um angeschlagene Unternehmen am Leben zu halten, sagt Creditreform voraus.
Torsten Schmidt, Konjunkturexperte vom Essener Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), sagt, der Rückgang der Insolvenzen sei nicht überraschend, da die Bundesregierung die Pflicht, eine Zahlungsunfähigkeit anzuzeigen, bis Ende September ausgesetzt hat. „Diese Möglichkeit wird natürlich auch von Unternehmen in Anspruch genommen, die auch ohne die Corona-Krise insolvent geworden wären“, gibt Schmidt zu bedenken. „Bei den Maßnahmen der Bundesregierung vom März wurde bewusst auf eine genaue Prüfung vor der Mittelvergabe verzichtet, um keine Zeit zu verlieren. Das war aus meiner Sicht auch gerechtfertigt. Diese unbürokratische Hilfe wird in einigen Fällen die Insolvenz also nur verzögern, so dass zum Jahresende mit einem deutlichen Anstieg der Fallzahlen zu rechnen ist.“
Fälle wie Karstadt, AppelrathCüpper, Esprit und Vapiano
Auch interessant
Auffällig sei, dass in der Corona-Krise mehr Großunternehmen von Insolvenzen betroffen seien, berichtet Creditreform. Die Gläubigerschäden erreichen den Angaben zufolge im ersten Halbjahr bundesweit rund zwölf Milliarden Euro, wobei jeder Insolvenzfall die Gläubiger im Schnitt mehr als 1,3 Millionen Euro koste. „Das ist der höchste Wert der vergangenen Jahre und hängt mit der Zunahme von größeren Unternehmenspleiten zusammen“, analysiert Creditreform. In diesem Zusammenhang nennt Creditreform unter anderem die Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof, die Textilhändler AppelrathCüpper und Hallhuber sowie den Modehersteller Esprit, die Schutzschirmverfahren gestartet haben, die das deutsche Insolvenzrecht zur Sanierung ermöglicht.
Im Vergleich der Bundesländer schneidet Nordrhein-Westfalen schlecht ab. Bei der Insolvenzquote liegt NRW im ersten Halbjahr 2020 auf dem drittschlechtesten Platz hinter Bremen und Berlin. So weist Nordrhein-Westfalen 76 Insolvenzen je 10.000 Unternehmen auf. In Bayern und Baden-Württemberg sind es hingegen lediglich 38 beziehungsweise 41, wie Creditreform berichtet. Zum Vergleich: 54 Insolvenzen je 10.000 Unternehmen sind der bundesweite Durchschnitt.
Auch interessant
Je nach Branche sind die Entwicklungen unterschiedlich. Während im ersten Halbjahr nach Schätzungen von Creditreform die Fallzahlen im Baugewerbe (minus 9,4 Prozent), im Handel (minus 10,2 Prozent) und auch im Dienstleistungssektor (minus 8,1 Prozent) zurückgingen, verringerten sich die Insolvenzen im verarbeitenden Gewerbe nicht. Mit 57,2 Prozent bildeten Unternehmen aus dem Dienstleistungsgewerbe aber weiterhin die größte Gruppe unter den Betroffenen. 14,2 Prozent aller Insolvenzkandidaten stammen den Angaben zufolge aus dem Baugewerbe und acht Prozent aus dem verarbeitenden Gewerbe.
Zahl der Verbraucherinsolvenzen verringert sich ebenfalls
Bei den privaten Verbrauchern ist bisher nach Einschätzung von Creditreform kein Effekt der Corona-Krise auf das Insolvenzgeschehen auszumachen. Zwar hätten sich die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt mittlerweile verschlechtert, „doch dürfte das Insolvenzgeschehen auch bei den Verbrauchern erst mit Verzögerung auf diese Entwicklungen reagieren“, erwartet Creditreform.
Auch interessant
Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen verringerte sich in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres erneut, berichtet die Wirtschaftsauskunftei. 30.800 private Verbraucher erklärten demnach in diesem Zeitraum ihre Zahlungsunfähigkeit und stellten einen Insolvenzantrag. Das entspricht einem Rückgang um 6,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum (32.920 Fälle). Die sonstigen Insolvenzen, zu denen unter anderem Insolvenzen ehemals Selbstständiger zählen, blieben mit 11.200 Fällen nahezu auf dem gleichen Niveau wie im Vorjahreszeitraum (erstes Halbjahr 2019: 11.070 Fälle).