Essen/Berlin. Regierung will Kohlegesetz vor der Sommerpause durchs Parlament bringen. Steag, Trianel und Stadtwerke fordern mehr Entschädigung für Steinkohle.
Kohleausstieg – war da was? Zum Jahresbeginn gab es in NRW kaum ein kontroverser diskutiertes Wirtschaftsthema: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung trieb neue Keile zwischen das Rheinische Revier und das Ruhrgebiet sowie zwischen die heimischen Stromkonzerne. Dann deckte Corona den Mantel der globalen Krise über alle Sachthemen – und nicht wenige Politiker und Manager befürchteten oder hofften bereits, das Kohleausstiegsgesetz werde vor der parlamentarischen Sommerpause nicht mehr angepackt. Doch das wird es – und die Konflikte flammten am Montag bei der ersten Anhörung in Berlin überdeutlich auf.
Steag-Chef: „Wir sind verwundert und verstört“
Die dickste Krawatte unter den gehörten Experten im Bundestags-Ausschuss für Wirtschaft und Energie hatte zweifelsfrei Steag-Chef Joachim Rumstadt. „Wir sind verwundert und verstört“, sagte er mit Blick auf die im Ausschuss angesprochene Ungleichbehandlung von Braun- und Steinkohle, „dass die Bundesregierung bei einem solchen Jahrhundertgesetz keinen Konsens herstellen will“.
Die Regierung hat mit den Braunkohlekonzernen wie RWE eine Stilllegung ihrer Kraftwerke bis 2038 ausgehandelt sowie Entschädigungen für vorzeitige Stilllegungen von insgesamt 4,35 Milliarden Euro. Für Steinkohlekraftwerke gibt es nur bis 2026 und auch nur deutlich geringere Entschädigungen. Die Betreiber sollen sie bis 2026 freiwillig abschalten und dafür an einer Ausschreibung teilnehmen. Abschalten darf nur, wer am wenigsten Geld dafür verlangt, maximal sind zweistellige Millionenbeträge je Kraftwerk drin. Spätestens ab 2027 drohen den Betreibern Zwangsstilllegungen ohne jede Entschädigung.
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Die sechs Ruhrgebietskommunen gehörende Steag und der Stadtwerkeverbund Trianel halten das nicht nur für ungerecht, sondern auch für unrechtmäßig. Rumstadt vertritt ihre Interessen bei der Bundestagsanhörung, zeigt sogar Verständnis für den Braunkohle-Kompromiss, kritisiert dafür umso mehr, dass „mit der Steinkohleseite gar nicht gesprochen wurde“. Der Steag-Chef fordert einen Verzicht auf Zwangsstilllegungen ohne Entschädigung, wird darin von der Landesregierung unterstützt. Zudem fordert er Rechtssicherheit, die nicht erst im Nachhinein Gerichte klären müssen. Sein Vorwurf: „Dieses Gesetz ist eine staatliche Wette mit dem Rechtsstaat.“
Junge Steinkohleblöcke als Verlustbringer?
Die Steag sorgt sich vor allem um ihr Kraftwerk in Duisburg-Walsum. Trianel mit den Stadtwerken Bochum als größtem Anteilseigner bangt um die fest eingeplanten Erlöse aus dem Kraftwerk in Lünen. Beide Kraftwerke wurden erst 2013 in Betrieb genommen. Die Steag fordert in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf deshalb nicht ganz zufällig, junge Steinkohlekraftwerke „mit Inbetriebnahme ab 2013 für sehr kurze Laufzeiten angemessen zu entschädigen“. Trianel rechnet für sein Kraftwerk in Lünen mit einem Verlust von 587 Millionen Euro, sollte es Ende 2030 ohne Entschädigung vom Netz gehen müssen.
Unterstützung aus eher unerwarteter Richtung erhielt Rumstadt in der Anhörung vom Freiburger Öko-Institut: Energieexperte Felix Matthes versteht ebenfalls nicht, dass die besonders klimaschädlichen Braunkohlekraftwerke am längsten laufen und dafür der Ausstieg aus der Steinkohle beschleunigt werden soll. Seine Lösung: Braunkohlekraftwerke früher abschalten und das umstrittene Steinkohlekraftwerk Datteln 4 von Uniper gar nicht erst anschalten. Dann könnten die jüngeren Steinkohleblöcke länger laufen.
Datteln 4 soll noch ans Netz gehen
Tatsächlich erfordert auch die Erlaubnis für Uniper, Datteln 4 im Sommer hochzufahren, laut Gesetzentwurf eine schnellere Abschaltung älterer Steinkohleblöcke, 500 Megawatt Leistung müssen dafür bis 2021 zusätzlich vom Netz gehen. Klimaschützer halten davon nichts, weil Datteln 4 aufgrund langfristiger Verträge annähernd unter Volllast laufen wird, während die älteren Kraftwerke schon bisher nur noch mit begrenzter Leistung laufen. Geld spielen Steag und Trianel vor allem die jüngeren Kraftwerke ein, denen ab 2027 die entschädigungslose Abschaltung droht. „Und das ist dann der Dank für die Versorgungssicherheit, die wir gewährleistet haben“, schimpft Rumstadt.
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Ähnliche Kritik kam auch von Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden und Klimaschützern. Sie alle hatten in der Kohlekommission für die Regierung einen Kompromiss erarbeitet, von dem der Gesetzentwurf nun in manchen Punkten deutlich abweicht. Was den meisten fehlt, sind zudem Anreize, etwa für Stadtwerke, von Kohle auf Gas mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) oder auf Biomasse umzustellen. Was dazu im Gesetz stehe, sei „völlig unzureichend“, sagte Detlef Raphael vom Deutschen Städtetag.
Greenpeace: Klimaschutz bleibt auf der Strecke
Auch werden klare Pläne dazu vermisst, wie die Kohlekraft durch Erneuerbare Energien ersetzt werden soll. Den Ausbau auf 65 Prozent Grünstrom bis 2030 sehen etwa die Grünen im Bundestag durch nichts hinterlegt. Und Greenpeace-Klimaexperte Karsten Smid klagt: „Der Klimaschutz bleibt auf der Strecke.“ Die Braunkohlelobby habe es geschafft, „das Kohleausstiegsgesetz in eine Bestandsgarantie für den Weiterbetrieb besonders klimaschädlicher Braunkohlemeiler zu konterkarieren“.
Die Bundesregierung will das Kohleausstiegsgesetz bis zur Sommerpause Anfang Juli durch den Bundestag bringen, dazu das Strukturstärkungsgesetz mit seinen Milliardenhilfen für die vom Ausstieg betroffenen Regionen.