Essen. Stadtwerke sehen durch „Enteignung“ bei Steinkohlekraftwerken den „Rechtsfrieden gefährdet“. Dortmunds Stadtwerkechef fordert RWE zur Klage auf.
Die kommunalen Energieversorger üben massive Kritik an den Regierungsplänen zur Abschaltung der Steinkohlekraftwerke. Von Vertrauensbruch, gestörtem Rechtsfrieden und Enteignung ist die Rede, gegen die sie sich wehren wollen. Denn die Stadtwerke laufen Gefahr, dass ihre jüngsten Steinkohleblöcke zwangsweise abgeschaltet werden, bevor die Anlagen ihre Baukosten erwirtschaftet haben. Das könnte letztlich auch viele städtische Haushalte belasten. Die sechs Ruhrgebietskommunen gehörende Steag und der Stadtwerkeverbund Trianel mit den Stadtwerken Bochum als größtem Gesellschafter kündigen harten Widerstand an.
Die Kraftwerke werden noch nicht „im Geld“ sein
Stein des Anstoßes ist der Gesetzentwurf zur Beendigung der Kohleverstromung in Deutschland, der am kommenden Mittwoch ins Kabinett gehen soll. Er enthält neben dem Braunkohlekompromiss samt Milliardenentschädigungen für RWE & Co. auch die Regelungen zur Steinkohle, die den Unternehmen sauer aufstoßen. Ihre älteren Kraftwerke sollen sie gegen möglichst geringe Entschädigungen bis zum Jahr 2026 freiwillig abschalten, die jüngeren sollen anschließend schrittweise bis 2033 per Anordnung und ohne Entschädigung stillgelegt werden. „Dieses Vorgehen gefährdet den Rechtsfrieden“, heißt es intern beim Verband kommunaler Unternehmen (VKU).
„Die Stadtwerke trifft der Kohleausstieg besonders hart“, sagt Guntram Pehlke, Chef der Dortmunder Stadtwerke DSW21 und Aufsichtsratschef des Essener Kraftwerksbetreibers Steag, im Gespräch mit unserer Redaktion. Und: „Die Pläne der Bundesregierung zum Kohleausstieg sind juristisch fragwürdig, inhaltlich nicht nachvollziehbar und damit nicht akzeptabel. Hier wird Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit zerstört.“ Denn es seien die neuesten Kraftwerke, die ohne Entschädigung vom Netz gehen sollen, manche Anlagen schon nach 13 Jahren. „Sie werden damit noch nicht im Geld sein. Ausgelegt waren die Investitionen für einen viel längeren Zeitraum“, sagt Pehlke.
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Trianel-Sprecherin Nadja Thomas erinnert daran, dass der Bund die Stadtwerke vor gut zehn Jahren nachdrücklich dazu aufgerufen habe, jene modernen Steinkohlekraftwerke zu bauen, denen nun die Zwangsabschaltung droht. „Es kann doch nicht sein, dass die Steinkohle nun schlechter behandelt wird als die Braunkohle“, schimpft sie, und kündigt Widerstand an: „Wir werden uns dagegen wehren. Wenn das Gesetz vorliegt, prüfen wir, welche rechtlichen Möglichkeiten wir haben, gegen diese Enteignung vorzugehen“, so Thomas.
Trianel betreibt in Lünen ein 750-Megawatt-Steinkohlekraftwerk, das im Jahr 2013 ans Netz ging. Mit 14 Prozent größter Gesellschafter des Unternehmens sind die Stadtwerke Bochum, auch Herne (6,8 Prozent) und Witten (3,75 Prozent) gehören zu den größten der gut 50 beteiligten Stadtwerke. Dem Unternehmen zufolge schreibt das meist unter Volllast laufende Kraftwerk operativ Gewinne, hat aber erst einen Bruchteil der Investitionskosten von 1,4 Milliarden Euro eingespielt.
Letztlich trifft es auch die Haushalte der Städte
Die Steag, die Stadtwerken aus Essen, Oberhausen, Duisburg, Dinslaken, Bochum und Dortmund gehört, betreibt ihren modernsten Kohleblock in Duisburg-Walsum, er ging ebenfalls erst 2013 ans Netz. Steag-Chefaufseher Pehlke gibt Richtung Bundesregierung zu bedenken: „Für das Steag-Kraftwerk Walsum gibt es langfristige Lieferverträge mit einem Kunden aus dem Ausland. Hier stellt sich die Frage einer Enteignung noch einmal ganz anders.“
Sowohl an Trianel als auch an der Steag hängen indirekt auch die städtischen Haushalte. Sie hoffen im Laufe der 20er-Jahre auf Gewinnausschüttungen ihrer Beteiligungen, mit denen sie ihre Einrichtungen und den öffentlichen Nahverkehr stärken wollen. Fließen die nicht, klaffen neue Löcher. Für die kommunalen Unternehmen wird es aber schwer, sich gegen die Pläne des Bundes zu wehren, weil sie nur über einen „eingeschränkten Grundrechtsschutz“ verfügen. Sprich: Sie können klagen, sich aber in letzter Instanz vor dem Bundesverfassungsgericht nicht auf ihr Eigentumsrecht berufen. Einen Hebel sieht der VKU nur im Gleichheitssatz, der den Verbandsjuristen zufolge auch bei „Ausgleichs- und Übergangsregeln eine diskriminierende Anwendung verbietet“.
Pehlke: „Ich erwarte, dass der RWE-Vorstand klagen wird“
Die börsennotierten Steinkohle-Kraftwerksbetreiber RWE und Uniper haben sich dazu noch nicht geäußert. Pehlke, dessen Dortmunder Stadtwerke der größte kommunale Einzelaktionär bei RWE sind, sieht den Essener Dax-Konzern, der erst 2014 sein Kraftwerk Westfalen in Hamm ans Netz gebracht hat, aber in der Pflicht: „Ich erwarte, dass der RWE-Vorstand im Falle einer Zwangsabschaltung von Steinkohlekraftwerken klagen wird. Nur so wird das Management seiner Verantwortung gegenüber den Aktionären gerecht.“
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Der im Gesetzentwurf beschriebene Ausstiegspfad sieht vor, dass die letzten Braunkohlekraftwerke 2038 abgeschaltet werden, das letzte Steinkohlekraftwerk, wahrscheinlich Datteln 4, dagegen schon 2033. Das kritisieren Steinkohle-Verstromer wie Klimaschützer gleichermaßen, denn bei der Verbrennung von Braunkohle entsteht deutlich mehr Kohlendioxid (CO2) als bei der Steinkohle. „Das ist nicht nur klimapolitisch falsch, sondern bedeutet auch: Kommunale Unternehmen zahlen die Zeche für den Braunkohledeal“, sagt etwa VKU-Manager Michael Wübbels.
Enteignung raubt Stadtwerken Investitionskraft
Das Gesetz erschwert nach Einschätzung des Verbands den Umbau hin zu einer klimafreundlichen Energieversorgung besonders für Stadtwerke, weil ihnen durch die „Enteignung“ das Geld für Investitionen in klimafreundlichere Technologien fehle. Als Ausweg wird ihnen etwa die Umrüstung bestehender Kohleblöcke auf Gas und Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) empfohlen. Laut VKU reichen die Förderanreize dafür aber bei weitem nicht aus. Im Gesetzentwurf werden 18 Millionen Euro Kohlersatzbonus für die Umrüstung auf Gas mit KWK je 100 Megawatt genannt.
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Das Gesetz zur Abschaltung der Kohlekraftwerke soll nach den Vorstellungen der Regierung bis zum Sommer durch den Bundestag gehen. Die kommunalen Unternehmen wollen die Zeit nutzen, um für Änderungen zu werben. „Die Abgeordneten des Bundestages haben das letzte Wort. Meine Hoffnung ist, dass es Nachbesserungen durch parlamentarische Entscheidungen gibt, die aus diesem riskanten Ausstiegspfad einen sicheren und rechtsstaatlichen machen“, sagt dazu Dortmunds Stadtwerke-Chef Pehlke.