Bochum/Essen/Duisburg. Thyssenkrupp will Anlagen von Bochum nach Duisburg verlagern. Sorgen auch in Hüttenheim und Gelsenkirchen. Pläne scheibchenweise vorgestellt.
Thyssenkrupp will seine Stahlproduktion stärker zentralisieren: Europas größtes Stahlwerk im Duisburger Norden soll weiter wachsen, Anlagen anderer Standorte sollen dafür geschlossen werden. Die neue Strategie des Stahl-Vorstands um Premal Desai trifft vor allem die beiden Standorte in Bochum und soll rund 1200 der rund 2500 Arbeitsplätze aus der Stadt abziehen. Damit verbunden sind hohe Investitionen in den Standort Duisburg, die allerdings der Konzernvorstand zuerst erwirtschaften und genehmigen muss.
Nachdem Tausende Beschäftigte aller Standorte vor gut einer Woche für den Erhalt ihrer Werke und Arbeitsplätze demonstriert hatten, legte der Stahlvorstand seine Strategie dem Aufsichtsrat von Thyssenkrupp Steel vor. Sie enthält massive Investitionen, stellt aber das Produktionsnetzwerk vielerorts infrage. Seitdem prüft die IG Metall das auf mehr als 170 Folien vorgetragene Grundsatzpapier, eine Einschätzung der Gewerkschaft steht aus. Der Stahl-Vorstand bereist derweil die einzelnen Standorte und verkündet auf Betriebsversammlungen seine Pläne für die jeweiligen Werke. Die bisher bittersten Wahrheiten sprach er nun in Bochum aus.
Werksschließung ohne Kündigungen
Das Elektrostahlwerk (NO) an der Castroper Straße soll 2025 komplett geschlossen werden, berichteten Teilnehmer nach der Betriebsversammlung am Mittwoch. Am zweiten Standort an der Essener Straße soll die Warmbreitbandstraße nur noch bis 2024 betrieben werden. Für beide Aggregate sollen neue, modernere Anlagen in der Stahlstadt am Rhein in Duisburg-Hamborn gebaut werden. Entsprechend soll es in Bochum auch keine betriebsbedingten Kündigungen, sondern für die Betroffenen Arbeitsplätze in Duisburg geben. Flexibilität von den Beschäftigten hatte unlängst Konzern-Personalvorstand Oliver Burkhard im Interview mit unserer Zeitung gefordert und erklärt, Thyssenkrupp brauche auch im Stahl seine Fachkräfte, „nur nicht immer da, wo sie heute arbeiten“.
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Auf seiner Standort-Tour informiert der Vorstand eine Belegschaft nach der anderen. Entwarnung gab es in Dortmund und im Siegerland. Der Öffentlichkeit wird auf diese Weise die neue Strategie allerdings nur scheibchenweise offengelegt. So steht auch in Gelsenkirchen ein Elektrostahlwerk, dessen Beschäftigte sich dem Vernehmen weniger Sorgen um ihr Werk machen müssen. Das freilich ist leicht gesagt, schließlich stellt der Vorstand in einer internen Mitarbeiter-Information den gesamten Elektrostahl als Geschäftseinheit infrage. Für ihn würden drei Optionen geprüft: Restrukturierung, Stilllegung oder Verkauf. Entsprechend vorsichtig äußert sich Jörn Meiners, der sich für die IG Metall in Gelsenkirchen um das Thyssenkrupp-Werk kümmert: „Das Gelsenkirchener Werk steht derzeit nicht so sehr im Fokus, wohl aber der gesamte Geschäftsbereich Elektrostahl. Die Unsicherheit bleibt also, auch wegen der schwierigen Lage des Gesamtkonzerns.“
Betriebsversammlung im Grobblech-Werk
Die gleichen Optionen prüft das Unternehmen für das Grobblechwerk im Duisburger Süden. Im seit Jahren auf der Kippe stehenden Werk in Hüttenheim hat sich der Stahl-Vorstand mit Desai und der 2020 zu Audi wechselnden Personalchefin Sabine Maaßen für kommenden Dienstag angesagt. Dass die Chancen fürs veraltete Grobblechwerk weitaus schlechter stehen als für den Elektrostahl, haben sie bereits in dem Mitarbeiterbrief erklärt. Ein Verbleib im Konzern sei im Vergleich zu Electrical Steel „deutlich unrealistischer“, heißt es dort.
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Was die Lage verkompliziert: Das Grobblechwerk wird von den benachbarten Hüttenwerken Krupp-Mannesmann (HKM) beliefert, die wiederum zur Hälfte Thyssenkrupp gehören. Die vom Betriebsrat ins Spiel gebrachte Übernahme des Grobblech-Werks von HKM wäre aus Thyssenkrupp-Sicht somit allenfalls eine halbe Lösung. Auch müssten die weiteren Eigner Salzgitter (30 Prozent) und Vallourec (20 Prozent) mitmachen. Andererseits verlöre HKM durch die Stilllegung des Grobblechwerks einen wichtigen Kunden, was Thyssenkrupp ebenfalls Geld kosten würde.
Zwei dicke Fragezeichen hinter Stahl-Konzept
Hinter der gesamten „Strategie 2020 bis 2030“ des Stahlvorstands stehen ohnehin zwei Fragezeichen. Erste Voraussetzung dafür sind Milliarden-Erlöse aus dem geplanten Börsengang oder Verkauf der Aufzugsparte. Das will der Konzernvorstand um Martina Merz bis Ende März auf den Weg bringen. Doch selbst dann ist Stand nicht ausgemacht, dass die Konzernführung die vom Stahlvorstand geforderten Investitionen auch freigibt. Die IG Metall hält 1,5 Milliarden Euro für notwendig, um die jahrelang vernachlässigten Anlagen den veränderten Kundenwünschen anzupassen. In Bochum nannte der Stahl-Vorstand Teilnehmern der Betriebsversammlung zufolge die Zahl von 800 Millionen Euro. Sollte die AG sich für Investitionen in den Stahl entscheiden, bleibt letztlich noch die Frage, in welcher Höhe.