Essen. Umbau bei Thyssenkrupp: Vorstand Burkhard kündigt den Wegfall von Anlagen in der Stahl-Sparte an und verlangt von den Beschäftigten Job-Wechsel.
Die Thyssenkrupp-Führung erwartet mehr Job-Flexibilität von den Beschäftigten in der Stahl-Sparte. „Es werden auch einzelne Aggregate wegfallen, aber keine ganzen Standorte“, sagt Personalvorstand Oliver Burkhard im Gespräch mit unserer Redaktion. „Vom Hochofen bis zum Band müssen wir uns auf die sich verändernden Wünsche unserer Kunden einstellen und Kosten senken.“ Das habe Auswirkungen – unter anderem auf die Werke in Duisburg und Bochum. „Wir werden unser Produktionsnetzwerk umbauen, mit dem klaren Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Dafür werden wir von unseren Mitarbeitern mehr Flexibilität einfordern müssen.“ Auch zum Stellenabbau in der Essener Konzernzentrale und dem geplanten Verkauf des Aufzug-Geschäfts äußert sich Burkhard.
Herr Burkhard, die IG Metall sieht das gesamte Stahlgeschäft von Thyssenkrupp in seiner Existenz bedroht. Übertreibt die Gewerkschaft?
Burkhard: Die Lage ist ernst, es geht um den Konzern als Ganzes. Wir haben kein Liquiditätsproblem, aber von uns wird zurecht ein tragfähiges Zukunftskonzept erwartet. Wir versuchen dabei unseren Mitarbeitern so viel Sicherheit zu geben, wie wir können.
Am Dienstag haben Tausende Stahlarbeiter in Duisburg für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze demonstriert. Sind ihre Sorgen berechtigt?
Burkhard: Die Sorgen sind berechtigt und ich verstehe auch den Unmut der Leute. Sie haben sehr lange auf ein Zukunftskonzept warten müssen. Thyssenkrupp hat zehn Jahre lang versucht, den Stahl auf Vordermann zu bringen, zuletzt mit dem geplanten Joint Venture. Nun steht ein großer Umbruch bevor, die Lage ist angespannt. Wir drücken aufs Gas. Das erste Quartal im neuen Jahr wird wegweisend für die Zukunft von Thyssenkrupp.
Das bedeutet was für die Stahlarbeiter?
Burkhard: Wir werden bis Ende März Klarheit darüber haben, wie es bei unserer Aufzug-Sparte weitergeht, ob wir Elevator an die Börse bringen, teilweise oder ganz verkaufen. Bis dahin verschaffen wir uns auch einen
Überblick über Investitionsbedarf und Zukunftsfähigkeit jedes Geschäftsbereichs. Auch die Stahlstrategie muss sich in die Konzernstrategie einfügen. Deshalb erwartet die IG Metall zu Recht, dass wir für den Konzern insgesamt Klarheit haben, bevor sie eine neue Vereinbarung zur Beschäftigung eingeht. Daher werden wir die zum Jahresende auslaufende Beschäftigungssicherung beim Stahl zunächst um drei Monate verlängern, bei Verzögerungen um weitere drei Monate. Das gibt uns Zeit, das Zukunftskonzept für den Stahl mit der Mitbestimmung zu erörtern.
In der Stahl-Sparte geht Angst vor Job-Abbau um, insbesondere im Grobblech-Werk Duisburg-Hüttenheim. Werden insgesamt mehr als die bisher genannten 2000 Stellen beim Stahl und 6000 konzernweit abgebaut?
Burkhard: Stand heute nicht. Im Stahl sind etwa 1200 Stellen in Produktion und Verwaltung betroffen. Davon gesondert zu betrachten sind die gut 800 Arbeitsplätze im Grobblechwerk, was aber nicht bedeutet, dass sie wegfallen. Ob wir die Grobblech-Einheit verkaufen, sanieren oder auflösen, wird derzeit noch geprüft. Aber selbst dann werden wir uns bemühen, den dortigen Beschäftigten andere Arbeitsplätze anzubieten.
Es fallen also nicht mehr Arbeitsplätze weg, wie von der IG Metall befürchtet?
Burkhard: Der Stahl-Vorstand hat ein Zehn-Jahres-Konzept vorgelegt, das hohe Investitionen in die Zukunft enthält, aber auch einen weitreichenden Umbau des Produktions-Netzwerks. Vom Hochofen bis zum Band müssen wir uns auf die sich verändernden Wünsche unserer Kunden einstellen und Kosten senken. Einfach gesagt sind wir heute noch eher auf breite und flache Produkte ausgerichtet, künftig gefragt ist aber dünn und fest. Da müssen wir ran, damit der Stahl wieder verlässlich Geld verdient. Für die ersten Jahre kann ich überblicken, dass kein zusätzlicher Personalabbau nötig ist. Ob wir 2030 am Ende weniger Beschäftigte im Stahl haben werden als heute geplant, lässt sich noch nicht sagen, also auch nicht ausschließen.
Wollen Sie auch Hochöfen stilllegen?
Burkhard: Anders als manche Wettbewerber wollen wir unsere Stahlproduktion nicht drosseln. Es bleibt dabei, dass wir jährlich über elf Millionen Tonnen herstellen wollen.
Bedeutet der Umbau auch die Schließung ganzer Werke, etwa des Warmbandwerks in Bochum?
Burkhard: Beim Umbau unseres Produktionsnetzwerks kommt es darauf an, insgesamt effizienter und besser zu werden. Wenn wir das Konzept umsetzen, werden wir an beinahe allen Standorten investieren. Es werden auch einzelne Aggregate wegfallen, aber keine ganzen Standorte. Ob das Warmbreitbandwerk in Bochum dann noch richtig platziert ist, wird sich zeigen. Eine Schließung dieses Aggregats bedeutet aber nicht das Aus für den Standort Bochum, wo wir viel mehr machen als Warmbreitband. Auch die Mitarbeitenden dort werden wir an anderer Stelle beschäftigen können.
Heißt also, es gibt keine betriebsbedingten Kündigungen?
Burkhard: Ich kann es in der aktuellen Lage des Konzerns nicht ausschließen. Aber jeder weiß, dass es im Stahl seit 60 Jahren keine betriebsbedingten Kündigungen gegeben hat. Warum sollte also Thyssenkrupp damit anfangen? 50 Prozent unserer Beschäftigten im Stahl sind älter als 50 Jahre. 7500 Menschen werden uns in den kommenden Jahren schon aus demografischen Gründen verlassen. Außerdem werden Fachkräfte immer knapper. Wir brauchen unsere Leute, nur nicht immer da, wo sie heute arbeiten.
Also müssen die Bochumer nach Duisburg wechseln?
Burkhard: Oder auch von Duisburg nach Bochum. Wir werden unser Produktionsnetzwerk umbauen, mit dem klaren Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Dafür werden wir von unseren Mitarbeitern mehr Flexibilität einfordern müssen. Wenn alle bis 2025 geplanten Investitionen getätigt werden sollen, ist auch ein sehr weitreichender Umbau notwendig.
Auch interessant
Heißt, das Stahl-Konzept hat noch nicht den Segen des Konzernvorstands?
Burkard: So ist es. Wir brauchen erst Klarheit über alle Geschäftsbereiche, um dann schnell und entschieden vorgehen zu können. Und wir werden nicht alle Investitionsbedarfe im Konzern erfüllen können, sondern jeden einzelnen danach bewerten, wie zukunftsträchtig er ist. Nochmal: Eine Lösung für den Stahl muss sich in die Konzernstrategie einfügen.
Aber der Stahl braucht doch besonders viele Investitionen, weil in den vergangenen Jahren zu wenig getan wurde.
Burkhard: Es stimmt, dass im Stahl in der Vergangenheit weniger investiert wurde, als vielleicht von den Kunden erwartet wurde. Nach der Brasilien-Unternehmung war das Geld immer knapp. Doch für den Stahl gilt wie für alle anderen Geschäfte: Mittel für Investitionen bekommt nicht der, der am lautesten ist, sondern wer am besten belegen kann, dass das Geld sinnvoll angelegt ist. Wir haben den Anspruch, dass alle Geschäfte ihre Investitionen absehbar selbst erwirtschaften können. Aktuell investieren wir rund 570 Millionen Euro im Jahr allein im Stahlbereich. Um den Stahl zukunftsfest zu machen, werden wir mehr brauchen. Aber nicht die von der IG Metall geforderten 1,5 Milliarden Euro.
Die Fondsgesellschaft Union Investment hat erklärt, ohne positiven Cashflow stelle sich bei Thyssenkrupp „irgendwann die Frage, ob man den ganzen Konzern nicht besser abwickelt“ – eine Provokation?
Burkhard: Der Vorstand steht für ein Thyssenkrupp mit Zukunft.
Auch die Mitarbeiter der Aufzug-Sparte demonstrieren für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Geben Sie Garantien?
Burkhard: Das Aufzug-Geschäft wächst Jahr für Jahr und hat eine gute Rendite. Das ist ein attraktives Geschäft. Die Forderungen der IG Metall nach langfristiger Standort- und Beschäftigungssicherheit nehmen wir trotzdem ernst.
Auch interessant
Durch eine Übernahme der Sparte – etwa durch einen Konkurrenten wie Kone – könnten Einschnitte anstehen.
Burkhard: Wir prüfen weiterhin alle Optionen für Elevator, dazu gehört neben einem Börsengang auch ein möglicher Teilverkauf oder Verkauf. Ob es dazu kommt, wollen wir bis spätestens Ende März 2020 entscheiden. Wir haben eine Grundlagenvereinbarung mit den Arbeitnehmervertretern abgeschlossen. In den
Verhandlungen mit Betriebsräten und Gewerkschaften für eine darüber hinausgehende Rahmenvereinbarung sind wir bereits weit fortgeschritten. Dabei geht es um Themen wie Investitionen, Forschung- und Entwicklung, den Fortbestand von Tarifstrukturen und der Mitbestimmung in der bisherigen Form. Mit den bisher erzielten Fortschritten führen wir die Verhandlungen an dieser Stelle weiter, wissend, dass eine Einigung letztlich auch von der konkreten Ausgestaltung der Elevator-Transaktion abhängt. Darauf haben wir uns gemeinsam verständigt.
Die Zahl der Beschäftigten in der Essener Konzernzentrale soll in den kommenden zwölf Monaten nahezu halbiert werden – von knapp 800 auf rund 430 Beschäftigte. Wird es dabei schwieriger, Kündigungen zu vermeiden?
Burkhard: Unser Ziel ist auch hier, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden, auch bei einem solch drastischen Einschnitt. Wir brauchen in der Zentrale weniger Leute, weil sich der Konzern verändert und künftig weniger zentral geführt wird.
Im Kreise der Belegschaft ist zu hören, Sie seien knauserig bei Abfindungen.
Burkhard: Richtig ist, dass wir Mitarbeitern, die bei anderen Unternehmen einen guten Job finden, nicht auch noch hohe Abfindungen zahlen möchten. Wir haben sehr gute Mitarbeiter, und der Arbeitsmarkt ist aufnahmefähig.
Auch interessant
Befürchten Sie, dass die Arbeitsgerichte angesichts der anstehenden Stellenstreichungen künftig mehr mit Thyssenkrupp zu tun haben?
Burkhard: Verglichen mit anderen Unternehmen haben die Arbeitsgerichte wenig mit uns zu tun. Unser Anspruch ist, in konkreten Fällen selbst eine Lösung zu finden.
An vielen Stellen im Konzern wird gekürzt. Wird eigentlich auch beim Gehalt des Vorstands gespart?
Burkhard: Ja, für das abgelaufene Geschäftsjahr wird es für den Vorstand keinerlei Bonus geben, das ist klar.