Essen/Hannover. RAG-Bergleute demonstrieren vor der IGBCE-Zentrale in Hannover gegen ihre Kündigung. Gewerkschaft weist Kritik zurück, Polizei schreibt Anzeige.

Rund 60 von der RAG gekündigte Bergleute haben am Montag vor der Zentrale der IGBCE in Hannover demonstriert. Sie fühlen sich nicht nur von ihrem Arbeitgeber, sondern auch ihrer Gewerkschaft im Stich gelassen. Ihrem Anwalt zufolge wollten sie deshalb auch aus der IGBCE „symbolisch austreten“. Insgesamt habe es bereits „beinahe 2000 Wutaustrittsmeldungen“ gegeben, hieß es von der Anwaltskanzlei Kuhlmann, die entlassene RAG-Bergleute vertritt. Man habe es aber bei wenigen symbolischen Austritten belassen wollen.

Von Massenaustritten weiß die IGBCE nichts. Am Montag habe man von den anwesenden Demonstranten „zwei Austrittsformulare entgegen genommen“, sagte ein Gewerkschaftssprecher unserer Redaktion. Auch in den vergangenen Wochen und Monaten habe man keine Wutaustritte enttäuschter Bergleute vernommen. Die Polizei Hannover bestätigte, es sei eine friedliche Kundgebung mit 60 Teilnehmern gewesen, die allerdings nicht angemeldet gewesen sei. Daher schreibe man nun eine Anzeige gegen den Organisator der Veranstaltung, der noch zu ermitteln sei.

Streit mit der RAG schwelt seit 2012

Viele der rund 200 im Sommer gekündigten Bergleuten liegen mit ihrer Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie seit Monaten über Kreuz, einige auch länger. Sie waren bereits gegen den 2012 ausgehandelten Tarifvertrag zur sozialverträglichen Abwicklung des aktiven Steinkohlebergbaus vorgegangen, schon damals vertreten durch die auf das Bergbau-Arbeitsrecht spezialisierte Dattelner Kanzlei Kuhlmann. Letztlich stimmte ihnen das Bundesarbeitsgericht 2015 zu, dass ihre im Tarifvertrag geforderte aktive Mitwirkung an einer Vermittlung in neue Jobs nicht mit ihrem Kündigungsschutz vereinbar war.

Vier Jahre später, nachdem die letzte Zeche dicht ist, stehen sie ohne Arbeit da, und mit ihnen eine dreistellige Zahl von Kumpeln. Sie wehren sich nun gegen ihre Entlassungen, gut 140 Klagen sind laut Kuhlmann anhängig. Die frühere Ruhrkohle hat gegen sie im Juni die ersten betriebsbedingten Kündigungen ihrer Geschichte ausgesprochen. Weil auch die IGBCE stets das Ziel verfolgte, den Bergbau ohne Kündigungen zu beenden, reagierte sie gereizt darauf, dass es so kommen musste. Es sei „fahrlässig“ von ihnen gewesen, alle Angebote auszuschlagen, hatte Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis seinerzeit erklärt. RAG-Chef Peter Schrimpf selbst hatte den Bergleuten vorgeworfen: „Sie zwingen das Unternehmen zur Kündigung.“

Die beiden Kumpel Ahmet Cöl und Thomas Hoffmann fühlen sich von der RAG im Stich gelassen.
Die beiden Kumpel Ahmet Cöl und Thomas Hoffmann fühlen sich von der RAG im Stich gelassen. © Lars Heidrich / FUNKE Foto Services

Dagegen beteuern die Gekündigten und ihr Anwalt Daniel Kuhlmann nach wie vor, das stimme nicht, sie hätten keine gleichwertigen, zumutbaren Arbeitsplätze angeboten bekommen. „Hätte diese Gewerkschaft auch nur einmal mit den gekündigten Bergleuten gesprochen, wäre schnell klar geworden, dass es solche Angebote nicht gab und die Kritik daher als Hohn empfunden wurde“, erklärte Anwalt Kuhlmann gestern. Und warf der IGBCE vor: „Die wirtschaftlichen Verflechtungen zur RAG sind offenbar wichtiger als ein paar Bergleute.“

IGBCE: Die haben kein großes Interesse

Das mochte die Gewerkschaft nicht auf sich sitzen lassen. „IG BCE und RAG haben in den vergangenen Jahren Zehntausende Bergleute erfolgreich auf neue, gute Arbeitsplätze vermittelt“, hieß es aus Hannover auf Anfrage unserer Redaktion. Und: „Mit der Erfahrung und den Betriebskontakten aus diesen Vermittlungen könnten aktuell auch jedem der hier in Rede stehenden Bergleute mehrere Angebote gemacht werden – nicht zuletzt bei Arbeitgebern, bei denen ihre früheren Kumpel zum Teil schon seit vielen Jahren mit großer Zufriedenheit beschäftigt sind.“ Trotzdem bestehe bei den Betroffenen „leider kein großes Interesse“, so die IGBCE. Obwohl das nicht nachvollziehbar sei, biete man „weiterhin unsere Hilfe an, um eine erfolgreiche Vermittlung zu unterstützen. Hunderte freie Stellen stehen zur Verfügung.“

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Offensichtlich folgten die Bergleute falschen Ratgebern und ließen sich „sowohl für die durchsichtigen Interessen eines Rechtsanwalts als auch parteipolitisch instrumentalisieren“. Damit spielt die Gewerkschaft auf die AfD an, die im Juli rund 60 Bergleute als Besuchergruppe auf die Tribüne des Plenarsaals eingeladen hatte. Dort veranstalteten diese dann Tumulte, nachdem CDU, FDP, SPD und Grüne einen AfD-Solidarantrag für die Kumpel abgelehnt hatten. Tatsächlich wurde der Essener AfD-Politiker Guido Reil, selbst Bergmann, auch in Hannover unter den Teilnehmern der Kundgebung gesichtet.

„Die AfD kann nicht Ihr Freund sein“

Die anderen Parteien im Landtag hatten der rechtsnationalen AfD vorgeworfen, mit den Bergleuten eine gezielte Provokation inszeniert zu haben. Landesarbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) rief den Kumpeln auf der Tribüne, unter ihnen viele türkischstämmige Bergleute, zu: „Die AfD kann nicht Ihr Freund sein.“

Anwalt Kuhlmann, der vergangene Woche wie die RAG auch eine Jobbörse für die Gekündigten veranstaltet hatte, wollte das Aktion in Hannover nicht als Angriff auf die Gewerkschaft verstanden wissen, sondern „als symbolischen Akt gegen die Gewerkschaftsspitze“. Die starke Sozialpartnerschaft sei ein hohes Gut, sie dürfe aber „von der Spitze nicht aus finanziellen Gründen missbraucht werden“. Damit spielt Kuhlmann darauf an, dass die RAG (mit 18,2 Prozent) und die IGBCE (26,8 Prozent) beide Gesellschafterinnen der Gelsenkirchener Wohnungsgesellschaft Vivawest sind.