Essen. 200 Bergleuten droht die Kündigung, ihr Anwalt plant Massenverfahren. Dabei sollen allein HKM und Evonik noch insgesamt 60 Stellen bereit halten.
Entlassungen von Bergleuten? Im Ruhrgebiet? Es wäre ein unrühmlicher Schlusspunkt des jahrzehntelang sozialverträglich organisierten Kohleausstiegs. Seit ihrer Gründung vor über 50 Jahren musste die Ruhrkohle AG (heute RAG) bis heute wegen der politisch gewollten Zechenschließungen keine betriebsbedingte Kündigung aussprechen. Das Ende des Steinkohlebergbaus traf das Ruhrgebiet hart, lief aber weitgehend so ab, wie die Kumpel unter Tage gearbeitet haben: Keiner ließ den anderen im Stich.
Am Ende muss die RAG nach eigenen Angaben nun doch knapp 200 Kündigungen aussprechen. Um das noch zu verhindern, appellieren sie und die Gewerkschaft IG BCE an die Betroffenen, eine der angebotenen Stellen anzunehmen. Deren Anwalt organisiert derweil ein Massenverfahren gegen die Kündigungen, die dieser Tage rausgehen sollen. Die Zeit für eine Einigung läuft ab, und die Nerven werden dünner.
RAG und IGBCE sprechen den Betroffenen jede Bereitschaft zur friedlichen Trennung ab. „Sie zwingen das Unternehmen zur Kündigung“, beklagen RAG-Chef Peter Schrimpf und IGBCE-Vorsitzender Michael Vassiliadis in einem gemeinsamen Brief an Bundes- und Landespolitiker, der dieser Zeitung vorliegt. Es mangele nicht „an freien und attraktiven Arbeitsplätzen außerhalb des Bergbaus“, heißt es darin weiter. „Vielmehr warten zahlreiche Unternehmen, mit denen wir in Kontakt stehen, auf unsere qualifizierten Mitarbeiter, um ihre offenen Stellen mit ihnen besetzen zu können.“
Der aufs Bergbau-Arbeitsrecht spezialisierte Dattelner Anwalt Daniel Kuhlmann widerspricht entschieden: Seinen inzwischen rund 140 Mandanten lägen solche Angebote nicht vor, sagte er dieser Zeitung.
Jobangebote oder nicht? Aussage gegen Aussage
Damit steht Aussage gegen Aussage. Konditionen wie Gehaltangebote seien adäquat, betont der Kohlekonzern, die Stellenangebote „von seriösen Firmen, meist Großunternehmen aus der Umgebung“. Namen nennt die RAG nicht. In den vergangenen Jahren wurde neben der Deutschen Bahn und Arcelor Mittal stets der Essener Chemiekonzern Evonik als Job-Anbieter genannt. Evonik finanziert den Großteil der Ewigkeitskosten des Bergbaus über seine Dividenden an die RAG-Stiftung, seine Mehrheitsaktionärin.
Nach Informationen dieser Zeitung aus Arbeitnehmerkreisen biete aktuell allein das Stahlunternehmen HKM den RAG-Beschäftigten 40 Stellen an, die bisher unbesetzt geblieben sind. Und Evonik halte noch 20 Arbeitsplätze für die Bergleute frei. Der Chemiekonzern bestätigte die Zahl nicht, auch halte er keine Stellen explizit vor. Aber: „Es gibt bei Evonik freie Stellen im gewerblich/technischen Bereich in der Region, die auch geeigneten Bewerbern aus dem Bergbau zur Verfügung stehen.“
So lief der Abbau bisher ab
80.000 Bergmänner mussten in den vergangenen 20 Jahren gehen, betriebsbedingt gekündigt wurde laut RAG nicht einer.
Rund die Hälfte von ihnen – 40.000 – erhielt einen neuen Arbeitsplatz außerhalb der RAG.
Strittig sind allein Fälle von jüngeren Beschäftigten. Bergmänner ab 50 konnten in den Vorruhestand gehen und erhalten dafür ein entsprechendes Anpassungsgeld.
Wie aber konnte es zu dieser finalen Eskalation kommen bei dem langen Vorlauf? 2007 wurde das Ende des Steinkohlenbergbaus 2018 beschlossen, ebenso, dass dies ohne Kündigungen ablaufen solle. Seitdem wurden viele Kumpel in den frühen Ruhestand geschickt. Die allermeisten Jüngeren, also die Unter-50-Jährigen, wurden in andere Stellen innerhalb und außerhalb der RAG vermittelt oder haben eine Abfindung genommen.
Transfergesellschaft höchstrichterlich kassiert
Mit ihrer früheren Transfergesellschaft, dem Mitarbeiter Entwicklungs Center (MEC), hat die RAG freilich derbe Niederlagen vor Gericht kassiert. So wurde die Zwangsversetzung ins MEC 2015 vom Bundesarbeitsgericht kassiert, weil sie den Kündigungsschutz verletzte. Seinerzeit war die Jobgarantie bis Ende 2018 unvereinbar mit der Pflicht, das eigene frühere Ausscheiden aktiv zu betreiben. Dies bei Androhung von Strafen bis hin zur Kündigung, wenn mehrfach Angebote abgelehnt wurden. Die RAG löste das MEC daraufhin auf.
Nun, nachdem im Dezember in Bottrop die letzte Zeche geschlossen wurde, hat die RAG eine Sozialauswahl unter den verbliebenen Mitarbeitern getroffen, weil es noch rund 200 mehr sind als für den Rückbau der Schächte und die Wasserhaltung benötigt werden. Anwalt Kuhlmann will diese Sozialauswahl und damit die Kündigungen anfechten, die RAG habe allein aufs Geburtsdatum geschaut. Außerdem gebe es noch genügend Tätigkeiten bei der RAG auch nach dem Ende des Bergbaus, die nun teils von Leiharbeitern erledigt würden. Manche seiner Mandanten müssten Leute anlernen, die ihre Jobs übernähmen, sagt er. Etwa bei Thyssen Schachtbau, das die Schächte auf Prosper Haniel im Auftrag der RAG zurückbaut und verfüllt.
Wer eine Kündigung erhält, hat nun drei Wochen Zeit, dagegen zu klagen. Anwalt Kuhlmann rät, freilich wenig überraschend, jedem, dies auch zu tun. Aber gleichzeitig mit der RAG im Gespräch zu bleiben.