Essen. . Die Beschäftigung im Ruhrgebiet boomt. Es gibt so viele Arbeitsplätze wie zuletzt 1981. Kohlekraftwerk-Standorte sollen die Flächennot lindern.

Im Ruhrgebiet gibt es so viele Beschäftigte wie zuletzt 1981, als die Krise bei Kohle und Stahl begann. Im vergangenen Jahr waren nach Zahlen der Business Metropole Ruhr (BMR) in der Region knapp 1,8 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte registriert. „Das Ruhrgebiet boomt und ist längst nicht mehr der wirtschaftliche Bremsklotz in NRW“, sagt BMR-Geschäftsführer Rasmus C. Beck. Der sichtbare Stellenzuwachs sei „keine Eintagsfliege, sondern eine aufholende Entwicklung“. Seit nunmehr elf Jahren wachse die Beschäftigung.

Dem Wirtschaftsbericht zufolge, den die BMR am Dienstag in Essen vorlegte, bauten die Ruhr-Unternehmen im Jahr 2018 netto 39.119 neue Beschäftigungsverhältnisse auf. Das waren 2,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Damit hat das Ruhrgebiet mit der Entwicklung im Land NRW gleichgezogen und den Bundestrend (+ 2,2 Prozent) leicht überholt. Beim Umsatz konnten die Firmen des Reviers sogar um 10,4 Prozent zulegen.

Gesundheitswirtschaft bietet die meisten Stellen

Die Gesundheitswirtschaft als größter Arbeitgeber hat ihren Vorsprung zur Industrie leicht ausgebaut. Sie beschäftigte 340.756 Menschen, das sind 19,5 Prozent aller Stellen im Revier. Jeder zweite Arbeitsplatz der Branche entfällt auf stationäre und ambulante Versorgung – vor allem in Herne, Recklinghausen und Gelsenkirchen.

Wirtschaftsförderer Beck sieht aber die Industrie mit starken Standbeinen in Duisburg, Hagen und im Ennepe-Ruhr-Kreis wieder im Aufwind. Ein Indiz: Die 330.309 Mitarbeiter (18,9 Prozent aller Beschäftigten) erwirtschafteten zuletzt ein Umsatzplus von zwölf Prozent auf 73,67 Milliarden Euro, während die Gesundheitswirtschaft einen Umsatzeinbruch um 11,3 Prozent auf 17,82 Milliarden Euro hinnehmen musste.

Industrie holt beim Umsatz auf

Die BMR macht dafür starke Rückgänge im Großhandel mit pharmazeutischen Erzeugnissen verantwortlich. „Die Industrie erneuert sich mit Mitteln, die ihr die Digitalisierung ermöglicht“, meint Beck. Dazu biete das Ruhrgebiet den „richtigen Branchenmix“. Stark vertreten ist die Industrie in Duisburg, Hagen und im Ennepe-Ruhr-Kreis.

Rasmus C. Beck, Geschäftsführer der Business Metropole Ruhr.
Rasmus C. Beck, Geschäftsführer der Business Metropole Ruhr. © Volker Wiciok

Den größten Beschäftigungszuwachs mit 6,5 Prozent verbuchte der noch vergleichsweise kleine Leitmarkt Digitale Kommunikation. Zukunftsthemen wie Vernetzung, Datenverarbeitung und Software beackern inzwischen 55.533 Menschen im Ruhrgebiet – vor allem in Bochum, Essen und Dortmund. Ihre Unternehmen steigerten den Umsatz um 17 Prozent auf 7,85 Milliarden Euro. Als Beschäftigungsmotor erwies sich einmal mehr die Mobilitätsbranche mit der wachsenden Zahl von Logistikanbietern. 175.593 Arbeitsplätze in diesem Bereich zählten die Wirtschaftsförderer zuletzt. Das entspricht einem Plus von 4,6 Prozent. Durch die Ansiedlung neuer Institute vor allem in Bochum und Dortmund legte der Forschungsbereich im Revier um 6,8 Prozent oder 321 Stellen zu.

Gewerbeflächen-Engpässe bleiben akut

Für ihr Wachstum braucht die Ruhrwirtschaft allerdings auch Platz. Doch in vielen Städten fehlen sofort verfügbare Gewerbeflächen. Erst vor wenigen Wochen hatten Industrie- und Handelskammern und das Handwerk des Ruhrgebiets scharfe Kritik am Entwurf des Regionalplans geäußert, den der Regionalverband Ruhr (RVR) aufgestellt hat. Er weise zu wenige Gewerbeflächen aus, „Die Bedürfnisse der Wirtschaft kommen zu kurz“, schimpften die Kammern.

Wirtschaftsförderer Beck bemüht sich um Ausgleich. Auch er beklagt den Flächenmangel und fordert: „Ohne öffentliche Fördergelder werden wir vielerorts nicht in der Lage sein, Industriebrachen mit Restriktionen zeitnah zu sanieren. Es wäre sinnvoll, dass Kommunen, die der Haushaltssicherung unterliegen, finanzielle Unterstützung auch zum Ankauf dieser Flächen erhalten.“

Hoffnung ruht auf Kohlekraftwerk-Standorten

Aus seiner Sicht können auch die 15 Kohlekraftwerke-Standorte in der Region zur Entschärfung des Flächenengpasses beitragen. Nach dem Kompromiss der Kohlekommission des Bundes müssen die Kraftwerke bis zum Jahr 2038 abgeschaltet werden. Die BMR schätzt, dass mit dem Auslaufen der Kohleverstromung rund 600 Hektar Gewerbefläche im Ruhrgebiet zur Verfügung stehen könnten.

Der Rückbau ist aber teuer. Nach Berechnungen der Wirtschaftsförderer fallen je nach Standort Kosten von 50 bis 60 Millionen Euro an. Wer sie tragen wird, ist derzeit noch unklar. Hinter den Kulissen wird bereits an Lösungsmodellen gearbeitet. „Die Kohlekraftwerksstandorte im Ruhrgebiet haben das Potenzial, die Flächennot langfristig zu lindern. Ich habe den Eindruck, dass Bund, Land und Kommunen das erkannt haben und an einem Strang ziehen werden“, sagt Rasmus C. Beck.

Karola Geiß-Netthöfel, Direktorin des Regionalverbands Ruhr.
Karola Geiß-Netthöfel, Direktorin des Regionalverbands Ruhr. © Kai Kitschenberg

RVR fordert Geld von Bund und Land

„Für die Entwicklung der Flächen stillgelegter Kraftwerksstandorte setzt die Region auf eine zeitnahe finanzielle Unterstützung von Bund und Land“, erklärte am Dienstag Karola Geiß-Netthöfel, Direktorin des Regionalverbands Ruhr. „Der Wirtschaftsbericht zeigt, dass kluge regionale Strukturförderung eine lohnende Investition in die Zukunft des Ruhrgebiets ist.“

>>> Reaktionen aus der Politik

„Das Ruhrgebiet wechselt vom Standstreifen auf die Überholspur“, kommentierte der für die Ruhrkonferenz zuständige Landesminister Stephan Holthoff-Pförtner (CDU). Die Region überhole mit ihrer Dynamik nun sogar den Bund. „Das ist kein Anlass sich auszuruhen, sondern nochmal kräftig in die Hände zu spucken“, so Holthoff-Pförtner.

Die SPD-Opposition kritisierte, dass die Landesregierung „wenig bis nichts“ zur Gesundung der Ruhrwirtschaft beigetragen habe. Die Ruhrkonferenz sei „nichts weiter als eine Aneinanderreihung folgenloser Gesprächsrunden“, sagte Landtagsfraktionsvize Michael Hübner.