Essen. Die Hautpflege-Produkte von Nivea im Markencheck: Die Creme, die sich schon Oma ihrer Tochter ins Gesicht schmierte und Mama dann wieder uns, genießt riesiges Vertrauen, zeigt eine Studie. Ein wenig scheint sich der Beiersdorf-Konzern aber auf diesem Ruf auszuruhen.

Die blaue Dose geöffnet, einen Finger von der weißen Creme herausgenommen – und alles wird gut. Von dem fast familiären Verhältnis, das Verbraucherinnern und Verbraucher zu den Produkten der Marke Nivea seit vielen Jahrzehnten aufgebaut haben, profitiert das Hamburger Unternehmen Beiersdorf. In einer Studie ist Nivea in diesem Jahr zum elften Mal hintereinander zur vertrauenswürdigsten Hautpflegemarke gewählt worden.

Der ARD-Markencheck schickt also ein paar junge Menschen waschen, schmieren, sprühen, wiegen – und es stellt sich heraus, dass auch das Traditionsunternehmen eben ein Unternehmen ist, das mogelt und mehr verspricht, als es hält. Zum Beispiel bei den Verpackungen. "70 Prozent der Kaufentscheidungen werden im Laden getroffen, deshalb ist uns die Gestaltung von Produktverpackungen und Darstellung im Regal sehr wichtig", heißt es von Nivea – das Unternehmen nutzt die erlaubten Grenzen aus bis in den letzten Winkel.

Verpackungen dürfen 30 Prozent größer als Produkt sein

Eine Gesichtscreme entpuppt sich als Luftnummer: Erlaubt sind Verpackungen, die 30 Prozent mehr Raum einnehmen, als das eigentliche Produkt – hat die Schachtel ein Sichtfenster, dürfen es sogar 75 Prozent sein. Das hat die Verpackung des Nivea-Produktes dann aber auf einer der Seiten, die man im Regal nicht sieht, und das Bild von der Dose selbst ist aus einem Winkel fotografiert, der es größer wirken lässt. Der Mogelfaktor, stellen die Checker fest, ist hier: beachtlich.

Blindes Vertrauen ist einer der erwünschtesten Faktoren, der sich beim Verbraucher einstellt. Um das adäquat darzustellen, baut das Öffentlich-Rechtliche den Klassiker unter den Entlarv-Experimenten auf: die Falle. In einem Test wird eine leere Nivea-Flasche mit der dm-Hausmarke gefüllt, eine zweite der Hausmarke gibt’s dazu – und bei einer Art Mädelsabend mit viel Gekicher testen ein paar junge Frauen das Diamanten-Shampoo im Vergleich zum günstigeren Produkt.

Diamantenschleifer: Diamanten im Shampoo machen keinen Sinn

Natürlich sind alle sicher, dass die Haare auf der einen Seite ihres Kopfes doch ein bisschen mehr glänzen, als die auf der anderen – sind ja Diamanten drin. Um zu beweisen, dass das wahrscheinlich nicht so ist, hat das Produktionsteam bei einem Diamantenschleifer in der Werkstatt vorbeigeschaut um sich bestätigen zu lassen: Diamantensplitter im Haarshampoo, das ergibt überhaupt keinen Sinn und würde auch noch wehtun. Etwas mehr Glanz als andere Shampoos bringt es offenbar trotzdem ins Haar.

Beim tricklosen direkten Vergleich von Nivea-Pflegeprodukten und solchen anderer Marken – Deo für extrastressige Tage und Sonnenmilch – schlägt sich Nivea ganz ordentlich. Von fünf Testern, die zwei Wochen lang Deodorant aus mit „L“ und „R“ gekennzeichneten Behältern unter ihre linke beziehungsweise rechte Achsel geschmiert haben, findet nur einer Nivea besser, die anderen bemerken keinen Unterschied zwischen den beiden Produkten.

Gleicher Konservierungsstoff in Gesichtscreme und Wandfarbe 

Die Sonnencreme zum Aufsprühen von Nivea lässt sich besser verteilen, als die anderen getesteten Lotionen, zieht schnell ein, ist aber auch die teuerste Variante. Eine Untersuchung der Stiftung Warentest zeigt: In Sachen UV-A- und UV-B-Schutz schneidet Nivea ebenfalls gut ab (Note 2,2), doch das günstigere Produkt von Cien bekommt eine 1,8. Der Wermutstropfen in der Kategorie „Schutz“ ist ein Konservierungsstoff, der als Ersatz für einen anderen enthalten ist in der Hautcreme „pure & natural“: Mit dem Stoff Methylisothiazolinon hat man nur das eine vermeintliche Übel mit einem anderen vertauscht.

Auch er kann zu Allergien führen, ein entsprechender Hinweis befindet sich allerdings nicht auf der Verpackung – anders als auf dem Bottich Wandfarbe, den das Fernsehteam auf einen Tisch neben das Cremedöschen gestellt hat. In Malerfarbe ist Methylisothiazolinon nämlich auch enthalten.

Creme soll Zeichen von Müdigkeit reduzieren

Im letzten direkten Produkttest, der Untersuchung auf den „Schick“-Faktor, geben ein paar mittelalte Herren in Köln und eine Tanzklasse aus Berlin den Abschluss: Die jungen Frauen und Männer bekommen die Haare vollgesprüht und -gegelt, wirbeln und zwirbeln herum und anschließend werden die Frisuren überprüft. Die Männer ziehen durch die Nacht und cremen sich davor und danach jeweils eine Gesichtshälfte mit dem „Nivea Skin Energy“ Feuchtigkeitsgel ein, das sichtbare Zeichen von Müdigkeit reduzieren soll.

Der gewünschte Effekt bleibt aus, die Gesichter sind am nächsten Morgen gleichförmig übermüdet, kein Passant findet heraus, welche nun die Zauberseite ist. Dafür sind die Tänzer recht klar in ihrer Meinung: Zwei von drei Paaren mit Nivea-Produkten in der Mähne müssen schon nach fünf Minuten Tanztraining nachbessern, Wella und Pantene ProV schneiden eindeutig besser ab. Das Fazit dieses Checks: „Schick: so lala“.

Nachholbedarf beim Thema Arbeitsbedingungen

Im letzten Punkt geht es um die Arbeitsbedingungen: Über 5.000 Mitarbeiter hat Beiersdorf in Deutschland, die mindestens nach Tarif bezahlt werden. Ein Großteil der Produkte wird auch hier produziert, es gibt einen Betriebsrat – keine Selbstverständlichkeiten. „Wir wollen Verantwortung übernehmen“, heißt es in einem Imagefilme – doch die Liste der Zulieferer ist lang, Beiersdorf lässt in 150 Ländern produzieren.

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Ein Kamerateam filmt in Indien bei Neu-Delhi eine Fabrik, in der Leiharbeiter auch Nivea-Produkte verpacken und verladen. Sie arbeiten zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche, einige gar ohne Krankenversicherung. Für 60 Euro im Monat – sogar für indische Verhältnisse extrem wenig. Fairness? „Ausbaufähig“, urteilt die ARD. Unterm Strich sagt der Check über Nivea: viel Luft für viel Geld, trotz umstrittener Konservierungsstoffe aber mit ordentlichem Schutz, trotz Jogi Löw als Werbebotschafter mit eher mäßigem Schick-Faktor – und beim Thema Arbeitsbedingungen hat Nivea Nachholbedarf.