Essen. Aldi senkt Fleisch- und Wurstpreise, Bauern und Fleischindustrie kritisieren das. Mastbetriebe leiden unter hohen Energie- und Futterpreisen.

Die Schweinehalter sind sauer: Auch sie müssen mehr für Energie und für das Futtergetreide zahlen, doch während so ziemlich alles teurer wird, hat der Discountriese Aldi an diesem Montag die Fleischpreise gegen den allgemeinen Trend gesenkt. In der Regel folgt die Konkurrenz dem Preisführer, Edeka als größte deutsche Supermarktkette und sein Discounter Netto haben dies bereits angekündigt, der Discounter Norma warb am Montag mit Fleisch-Schnäppchen.

„Die zuletzt gesunkenen Marktpreise tragen dazu bei, dass Aldi für Entlastung bei den Kundinnen und Kunden sorgen und die Inflation ein Stück weit abschwächen kann“, erklärte ein Sprecher der Einkaufsgemeinschaft von Aldi Nord und Süd auf Anfrage. Ein Signal in die ganz falsche Richtung nennt das der Landwirtschaftsverband Westfalen-Lippe, es treffe wie immer das letzte Glied in der Kette – die Bauern. „Aldi spielt sich als Verbraucherschützer auf, der die Preise senkt und gleichzeitig mehr Tierwohl verspricht“, sagte Verbandssprecher Hans-Heinrich Berghorn unserer Zeitung. „Das funktioniert nicht. Lebensmittel müssen teurer werden, nicht billiger.“

Mastbetriebe befinden sich in „multipler Krise“

Berghorn spricht von einer „multiplen Krise“ für die Mastbetriebe: Die infolge des Ukraine-Krieges stark gestiegenen Preise für Energie, Futter und Düngemittel (viele bauen ihr Futtergetreide selbst an) fielen zusammen mit einer sinkenden Nachfrage und nun sinkenden Preisen. Gleichzeitig leidet der für die deutsche Fleischindustrie so wichtige Export nach wie vor unter den immer wieder auftretenden Fällen der Afrikanischen Schweinepest in deutschen Betrieben.

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Zudem essen die Deutschen immer weniger Fleisch, dieser Trend hat sich in den vergangenen Monaten offenkundig wegen der extrem hohen Inflation deutlich verstärkt. Nach Daten der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) verkaufte der Handel 15 Prozent weniger Schweinefleisch und knapp 20 Prozent weniger Rind. Weil die Importmengen von Mastschweinen etwa aus Spanien trotzdem stabil geblieben seien, treffe der Nachfrageeinbruch vor allem die heimischen Mastbetriebe, erklärt Berghorn. Aldi nennt das „hohe Überkapazitäten in Deutschland“. Zwar sinke der Schweinebestand im Land. Doch liegt er nach wie vor über der seit Jahren schwindenden Inlandsnachfrage, erklärte der Discounter.

Fleischpreise im März erhöht, nun wieder gesenkt

Aldi hatte im März die Preise vor allem für Schweinefleisch teils deutlich erhöht, nachdem die großen Drei der Fleischindustrie – Tönnies, Westfleisch und Butcher’s Familiy (Reinert) – Alarm geschlagen hatten. Auch diese Erhöhungsrunde ging die Konkurrenz mit. Nun geht Aldi wieder runter – hat einige Fleisch- und Wurstpreise am Montag gesenkt – zu Beispiel für das Pfund gemischtes Hackfleisch von 4,59 auf 3,99 Euro, Minutensteaks vom Schwein (400 Gramm) von 3,99 auf 3,49 Euro und für Rindersteaks von 27,99 auf 24,99 Euro je Kilogramm. Die Edeka-Zentrale in Hamburg erklärte auf Anfrage: „Auch wir legen Wert auf ein gutes Preis-Leistungsverhältnis und werden die Preise für einige Fleischprodukte in den kommenden Tagen an die neue Marktsituation anpassen.“

„Das passt absolut nicht in die Zeit“, findet Heike Harstick, die Hauptgeschäftsführerin des Verbands der Fleischwirtschaft. Sowohl die Mast- als auch die Schlachtbetriebe könnten jetzt schon nicht mehr kostendeckend arbeiten. Die Fleischindustrie leide besonders unter den enorm gestiegenen Energiekosten. Wenn die Preise nun im gesamten Lebensmitteleinzelhandel runter gingen, werde die Lage für die Schlachtbetriebe existenzgefährdend, warnt die Argaringenieurin.

Bauern haben große Angst vor Freigabe der Gaspreise

Zumal vor allem die Gaspreise absehbar noch weiter steigen dürften, wie die Energiebranche und auch die Bundesregierung erwarten. Vor allem, wenn Russland seine bereits stark gedrosselten Gaslieferungen nach Deutschland ganz einstellen sollte. Um Pleiten von Gasversorgern zu verhindern, könnte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dann die Weitergabe der extrem hohen Beschaffungspreise an die Kunden binnen einer Woche erlauben – unabhängig von den Bestandsverträgen.

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„Wenn die Gaspreise freigegeben werden, droht Betrieben die Kündigung ihrer Altverträge und über Nacht eine Erhöhung der Gaspreise um 300 Prozent und mehr. Das können vor allem kleine und mittelgroße Betriebe gar nicht schultern“, sagte Harstick. Viele müssten dann im Zweifel ihre Produktion einstellen, um die Verluste zu minimieren.

Immer weniger Schweinebauern in NRW

Ohnehin geben immer mehr Schweinebauern auf – allein bis Mai sank die Zahl der Betriebe in diesem Jahr um 140 auf noch rund 6000, teilte das Statistische Landesamt jüngst mit. Auch der Bestand der Mastschweine sinkt. Was aus Sicht des Landwirtschaftsverbands nicht zusammenpasst: Nach wie vor setzen günstigere Importschweine aus Ost- und Südeuropa die heimischen Bauern unter Preisdruck. Gleichzeitig sollen sie aber die Haltung in Deutschland verbessern, was sie teurer macht.

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Auch dieses Signal setzte Aldi, als der Discount-Marktführer im Juni 2021 als erster ankündigte, bis 2030 nur noch Frischfleisch der Haltungsstufen 3 und 4 verkaufen zu wollen, in denen die Tiere mehr Platz und Frischluft erhalten. „Das würden die Bauern auch liebend gerne machen, aber dafür brauchen sie Preise, die solche Investitionen möglich machen“, sagte Berghorn. So sei mit Aldis Tierwohl-Offensive nichts gewonnen, vielmehr werde sie so zum „billigen PR-Gag“.

Aldi sucht „Kompromiss im Sinne der Landwirte“

Aldi betont dagegen, „mit konkurrenzfähigen Preisen und einer wertschätzenden Werbekommunikation“ einen Beitrag zur Stabilisierung der heimischen Mastbetriebe zu leisten. Auch stelle Aldi seine Lieferketten für Schweinefleisch bis Ende 2022 „konsequent auf deutsche Qualität um“. Aber: „Eine langfristige Lösung für stabile Erzeugerpreise kann nur im nachhaltigen Umbau der deutschen Landwirtschaft liegen, mit politisch gelenkten Rahmenbedingungen und Finanzierungsmechanismen“, erklärt das Unternehmen aus dem Ruhrgebiet. Man stehe „im aktiven Dialog mit Landwirten und anderen Vertretern der Wertschöpfungskette, um einen branchenübergreifenden Kompromiss im Sinne der Landwirte zu finden“.