Essen. Die Fleischindustrie fordert vom Einzelhandel sofortige Preiserhöhungen. Tönnies macht „höhere Gewalt“ geltend, weil der Krieg die Kosten treibt.
Immer mehr Lebensmittel werden im Zuge der Energiekrise und den Folgen des Krieges in der Ukraine teurer. Als nächstes werden absehbar die Preise für Fleisch- und Wurstwaren deutlich steigen. Die Fleischindustrie schlägt Alarm und fordert vom Einzelhandel eine sofortige Erhöhung der Preise, vorneweg Deutschlands größter Schlachtkonzern Tönnies und der zweitgrößte Wursthersteller The Family Butchers (Reinert). Die beiden ostwestfälischen Branchengrößen sehen eine historische Kostenkrise und Erzeugerbetriebe in Existenznot.
In den vergangenen Wochen sind die Futter-, Energie- und Transportpreise sprunghaft gestiegen, in der Folge auch die Erzeugerpreise für Fleisch. Tönnies nennt diese Kriegsfolgen „höhere Gewalt“ und sieht eine „Versorgungsgefährdung“, weil sich die Mast für viele Landwirte nicht mehr lohne. Tönnies selbst sieht für sich eine „massive Störung sämtlicher bestehender Geschäftsgrundlagen“. Daher müssten „mit sofortiger Wirkung die Preise angepasst und die Kontraktzeiten bis auf Widerruf geöffnet werden“, fordert Tönnies-Geschäftsführer Frank Duffe in einem Brief an die Lebensmitteleinzelhändler, der unserer Redaktion vorliegt. Tönnies’ größter Kunde ist der Discount-Marktführer Aldi.
Tönnies will laufende Verträge lösen
Mit Öffnung der Kontrakte meint der von Clemens Tönnies geführte Marktführer die Lösung bestehender Verträge. Ähnlich dramatisch beschreibt der Wurstriese The Family Butchers (TFB) die Lage, listet in einer Anzeige in der Lebensmittelzeitung auf, was die „Kostenkrise“ ausmacht: Von den Futtermitteln (+27 Prozent) über Transport (+24 Prozent) und Verpackung (Pappe +41 Prozent, Folie +78 Prozent) bis hin zu den um ein Drittel teurer gewordenen Gewürzen liefen alle Kosten aus dem Ruder, hinzu kommt der allgemeine Energiepreisschock. Für viele Betriebe sei das bereits „existenzbedrohend“, warnen die TFB-Manager Thomas Winnemöller und Roland Verdev.
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Das alles zusammen hat den Erzeugerpreis für ein Kilogramm Schwein laut Westfleisch binnen zwei Wochen um ein gutes Drittel auf 1,70 Euro getrieben. Die Rindfleisch-Kilopreise für Kühe haben mit aktuell 4,50 Euro ein Allzeithoch erreicht. Auch das genossenschaftlich organisierte Unternehmen aus Münster verhandelt aktuell mit seinen Abnehmern über höhere Preise, bestätigt ein Unternehmenssprecher unserer Zeitung. Man stoße bei den Händlern dabei auch auf Verständnis, die „sehr besondere Situation für die gesamte Branche“ sei dem Handel bewusst.
Westfleisch stößt auf Verständnis beim Handel
Aktuell müsse es für alle Beteiligten darum gehen, die Versorgung zu sichern und die Produktionsfähigkeit der Betriebe zu erhalten, das sei jetzt wichtiger als der Preis. Wie viel teurer es für die Verbraucher im Einzelnen wird, lasse sich nicht beziffern. „Alle beteiligten Unternehmen leiden als Folge des Krieges in der Ukraine unter einer Entwicklung, deren Ende nicht absehbar ist“, sagte der Westfleisch-Sprecher.
Würden die Kosten von Erzeugern und Verarbeitern voll auf die Kundinnen und Kunden umgewälzt, müssten die Preissprünge im Supermarkt aber ähnlich drastisch ausfallen wie die genannten Prozentzahlen. Darum geht es aktuell in den Preisverhandlungen mit dem Lebensmitteleinzelhandel. Die Fleischindustrie führt dabei den Großteil der jüngsten Kostensteigerungen direkt auf den Krieg zurück: Zum einen ist die Ukraine einer der größten Futtermittelzulieferer, den Speditionen fehlen ukrainische Fahrer, und die Sprit- und Erdgaspreise sind vor und während des Krieges sprunghaft angestiegen, weil Russland als weltgrößter Gas- und wichtiger Öllieferant auszufallen droht.