Essen. Bund und Netzagentur beraten mit der Wirtschaft über Abschaltplan, falls Russland kein Gas mehr liefert. Industrie zuerst, Heizungen zuletzt.

Bundesregierung und Netzagentur haben mit der Aufstellung eines Abschaltplans für die Industrie im Falle einer Gasversorgungskrise begonnen. Am Freitag gab es dazu erste Beratungen mit Wirtschaftsverbänden, bestätigte die Bundesnetzagentur unserer Redaktion. Es fänden „Gespräche zur Krisenvorbereitung mit der Industrie und der Energiewirtschaft“ statt, teilte die Bonner Behörde mit. Anlass sei „die Vorbereitung für den Fall unvermeidbarer Abschaltungen der Industrie“, wenn nicht genügend Erdgas verfügbar sei.

„Es geht darum vorbereitet zu sein für einen Fall, von dem wir hoffen, dass er nie eintritt“, betonte die Bundesnetzagentur nach dem ersten Treffen mit Experten des Wirtschaftsministeriums von Robert Habeck (Grüne) sowie dem Industrieverband BDI und dem Energieverband BDEW. Konkret muss vor dem möglichen Ernstfall, der eintreten könnte, wenn Russland kein Gas mehr nach Deutschland liefert oder die Bundesregierung doch noch ein Embargo ausspricht, die Reihenfolge klar sein, wem hierzulande zuerst der Gashahn zugedreht wird. Der bestehende „Notfallplan Gas“ gibt dafür nur grobe Leitlinien vor.

Netzagentur: Privathaushalte haben Vorrang

Dazu gehört etwa, wer als letztes betroffen sein soll: „Haushaltskunden unterliegen in einer solchen Situation einem besonderen gesetzlichen Schutz und werden vorrangig versorgt“, erklärt die Netzagentur. Das soll sicherstellen, dass zumindest die Wohnungen und Häuser auch im nächsten Winter warm bleiben, selbst wenn kein Gas mehr aus Russland kommt. Derzeit bezieht Deutschland gut die Hälfte (55 Prozent) seines Erdgases aus dem Land, das in der Ukraine einen Angriffskrieg führt. Jeweils etwa ein Drittel verbrauchen Industrie und Haushalte, rund 15 Prozent wurden bisher in Gaskraftwerken verstromt, den Rest verbrauchen Gewerbetreibende und Händler.

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Wer von den Industrieunternehmen als erstes verzichten müsste, ist Gegenstand der Gespräche, zu deren Details am Freitag alle Beteiligten schwiegen. Klar ist aber, dass einige Gaskraftwerke abgeschaltet und durch Kohlestrom ersetzt werden könnten. Aktuell sind Gasblöcke mit einer Leistung von 28,5 Gigawatt am deutschen Stromnetz, allerdings laufen sie bereits auf Sparflamme, weil Gas derzeit so teuer ist. Die Braun- und Steinkohleblöcke sind dafür umso stärker ausgelastet, was die deutsche Klimabilanz belastet.

Kohleblöcke könnten Gaskraftwerke ersetzen

Einige Gaskraftwerke unterhalten aber auch große Industriestandorte oder Chemieparks, um sich selbst mit Strom, Wärme und Dampf zu versorgen. Sie abzuklemmen, hätte dann unmittelbare Auswirkungen auf die jeweilige Produktion. Zudem braucht die Chemieindustrie viel Erdgas als Rohstoff, weshalb sie unlängst vor einer fatalen Kettenreaktion für die gesamte Wertschöpfungskette warnte, sollte die Gasversorgung abbrechen.

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Doch Gaskraftwerke herunterzufahren, wird nicht reichen, wenn Russland kein Gas mehr liefert. Eon-Chef Leonhard Birnbaum hat erst in dieser Woche klargemacht, was in diesem Fall passieren würde: „Wir schalten erst die Industrie ab“, sagte er bei der Vorlage der Jahresbilanz mit Verweis auf den Vorrang der Privathaushalte.

Netzagentur fragt Unternehmen nach ihrem Gasverbrauch

Wen Versorger wie Eon wann abklemmen müssten, gilt es nun im Detail festzulegen, damit niemand im Ernstfall überrascht wird. Die Netzagentur fragt dazu dem Handelsblatt zufolge bereits bei energieintensiven Unternehmen nach, wie hoch ihr Gasverbrauch ist und ob sie im Notfall kurzfristig die Produktion unterbrechen können. Auch Netzbetreiber hätten schon Großkunden auf mögliche Abschaltungen vorbereitet.