Essen/Köln. . Zu viele Lebensmittel landen im Müll. Eine Gruppe um einen Kölner Studenten entwickelt eine App, die Verschwendung eindämmen will. Sie soll Kunden Produkte melden, für die es Rabatt gibt, weil sie nah am Haltbarkeitsdatum sind. Der Handel sieht das Problem jedoch bei Kunden: Sie kaufen falsch ein.

Mal ist es ein zweiter Barcode. Mal ein Kürzel aus einer Ziffer und einem Buchstaben: Preistafeln in Supermärkten tragen mehr Informationen, als man glaubt, sagen Experten. Sie zeigen etwa auch an, wann Waren aus dem Regal verschwinden müssen. Bei Schokolade zum Beispiel mitunter schon Monate bevor das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) tatsächlich abläuft.

"Das ist pure Verschwendung von Lebensmitteln“, findet Christoph Müller-Dechent. Pro Tag und Filiale würden in Deutschland zwei Einkaufswagen an Lebensmitteln vernichtet. Pro Jahr kämen so bundesweit 550.000 Tonnen Lebensmittel zusammen, die alle noch genießbar wären, sagt Müller-Dechent. Die Organisation Greenpeace verweist auf noch höhere Zahlen. Um das einzudämmen, hat der 28-Jährige „FoodLoop“ gegründet: Ein Startup in Köln, das eine App entwickelt, die Kunden Infos über Rabatte liefern und dem Handel helfen will, MHD-kritische Ware besser abzuverkaufen, statt sie zu vernichten.

Handelsketten verweisen auf die Tafeln als Abnehmer

Um das möglich zu machen, müssten Lebensmittelhändler ihre Warenwirtschaftssysteme mit der App verbinden; zudem ist auf den Produkten ein neuer Barcode nötig, den laut Müller-Dechent einige wenige Händler bereits verwendeten, weil er zum Beispiel auch über das Haltbarkeitsdatum informiert und diese Daten ins Kassensystem überträgt. Am Ende würden Kunden mit der App automatisch von Preissenkungen erfahren und Händler müssten nicht mehr umständlich Produkte mit Rabattaufdruck kennzeichnen – denn das "FoodLoop"-Prinzip beruht darauf, MHD-nahe Lebensmittel zu Schnäppchen zu machen und so Kunden einen Anreiz zu liefern, dass sie in deren Magen landen und nicht auf dem Müll.

„Die Technik ist da, die App so gut wie entwickelt“, sagt Müller-Dechent. Ein Pilotprojekt bei zwei Biosupermärkten und einer Bio-Bäckerei in Bonn soll Anfang 2015 starten. Doch der Lebensmittelhandel reagiert reserviert. Lebensmittel via App als Schnäppchen auspreisen? Bei Rewe, Netto und Real verweist man jeweils auf die Tafeln, denen man Überschüssiges spende, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum fast überschritten sei.

Verbraucher kaufen falsch ein

Bei Aldi-Nord sieht eine Sprecherin ebenfalls keinen Bedarf für eine „FoodLoop“-App: „Als verantwortungsbewusster Einzelhändler pflegen wir einen sehr sorgsamen Umgang mit Lebensmitteln“, teilt Aldi mit. Um so wenig Lebensmittel wie nötig vernichten zu müssen, betreibe man eine „bedarfsgerechte Warendisposition“ und eine „ausgefeilte Logistik“. Auch bei der Kette „Real“ heißt es auf Anfrage: „Grundsätzlich versucht jeder Geschäftsleiter seine Bestellung möglichst optimal zu gestalten, so dass die Ware noch mehrere Tage vor dem Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums komplett abverkauft werden kann“.

Ob das wirklich so reibungslos läuft? Im Lebensmittelhandel mag man sich im übrigen nicht den ‚schwarzen Peter’ zuschieben lassen: „Auch Verbraucher können einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, Lebensmittelabfälle zu vermeiden“, sagt etwa Raimund Esser, Sprecher der Rewe-Gruppe in Köln. „So kann ein gut geplanter Einkauf dazu beitragen, die Wegwerfquote von Lebensmitteln zu verringern“. Schließlich sind Supermärkte vielerorts bis in den späten Abend geöffnet. Kunden müssten sich heute nicht mehr für Tage oder Wochen bevorraten.

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Supermärkte werfen vor allem Brot, Obst und Gemüse weg 

Die Studie eines Herstellers von Frischhaltefolien kam 2011 zum Ergebnis, dass in hiesigen Privathaushalten 21 Prozent der eingekauften Lebensmittel unverbraucht auf dem Müll landen. Und: „59 Prozent der weggeworfenen Lebensmittel sind das Ergebnis falscher Einkaufsplanung oder falscher Lagerung“, heißt es in der Studie. Beim Bundesverband des Lebensmittelhandels sieht man deshalb besonders die Verbraucher gefordert. So würden hierzulande in Privathaushalten im Durchschnitt 80 Kilo Lebensmittel pro Jahr und Kopf vernichtet. Im Lebensmittelhandel dagegen weniger als vier Kilo.

FoodLoop“-Initiator Christoph Müller-Dechent glaubt dieser Zahl nicht: „Tatsächlich wird im Handel viel mehr vernichtet“, weil viele Lebensmittel schon weit vor dem MHD aus den Regalen entfernt würden. Der Handel kann und sollte deshalb noch mehr tun, um der Verschwendung zu begegnen, meint Müller-Dechent. Untersuchungen des Handelsinstituts EHI zeigen: Statistisch werden vor allem Brot (6,5 Prozent), Obst und Gemüse (5 Prozent) am häufigsten im Geschäft weggeworfen, wenn sie nicht mehr als frisch gelten. Milchprodukte oder Fleisch liegen bei 1,6 bis zwei Prozent.

Handelsketten setzen vermehrt auf Rabatte

Der Bonner Biohändler Axel Bergfeld bestätigt diese Werte. Auch er versucht, sein Warenangebot so zu planen, dass nicht viel unverkauft bleibt. „Manches kann man als Händler beim Einkauf jedoch nicht vorhersagen“, sagt Bergfeld: Ein Gewitter etwa könne dafür sorgen, „dass am Ende eines Tages 40 Prozent unseres Brotangebots im Regal liegen geblieben ist, weil die Kunden nicht vor die Tür gegangen sind“. Bergfeld glaubt, dass „FoodLoop“ ihm helfen kann, weniger Lebensmittel wegzuwerfen, indem es Rabatte bewirbt. Kurz vor Ende des Mindesthaltbarkeitsdatums verkaufe er Ware bereits mit Rabatt. Da würden auch Kunden zugreifen, die sich einen Einkauf im Bioladen sonst nicht leisteten, sagt Bergfeld.

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Sonderangebote mit MHD-Bezug breiten sich unterdessen in Lebensmittelketten aus. Aldi-Nord etwa senkt „in Einzelfällen“ bei Frischfleisch und Frischfischprodukten mit kurzen Haltbarkeiten kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatum die Preise – um 30 Prozent, sagt eine Sprecherin. Bei Netto heißt es ebenso, MHD-nahe Ware wird, wenn nötig, deutlich im Preis reduziert, „um weitere Abverkäufe zu realisieren“. Auch Rewe teilt mit: „In allen deutschen Rewe-Märkten werden Produkte, die das Mindesthaltbarkeitsdatum bald erreichen, an einer extra gekennzeichneten Stelle 30 Prozent preisreduziert“. Das jedoch merken nur Kunden, die schon im Laden sind.

FoodLoop hat eine ehrgeizige Vision

Christoph Müller-Dechent wird in den kommenden Wochen erstmal in die USA reisen – auf Einladung der Handelskette Target. Dort sei man sehr interessiert an der „FoodLoop“-App, sagt der 28-Jährige, der sein Masterstudium in Medienmanagement seit einem Jahr für das Projekt ruhen lässt. Auch aus der Slowakei habe ein großes Handelsunternehmen Interesse an der App aus Köln.

In Deutschland habe Müller-Dechent mittlerweile mit allen großen Handelsketten gesprochen, immer auf Management-Ebene, sagt er. „Die sagen uns, wir sollen es starten und dann qualifizierte Zahlen bringen, wie es sich für die Händler rechnet“. Der Pilotversuch in Bonn soll im Januar los gehen. Das Ziel von FoodLoop jedenfalls ist ehrgeizig: „Unsere Vision ist, dass bis 2020 alle Supermärkte der Welt damit ausgestattet sind.“