Essen. Jeder Bundesbürger wirft jährlich genießbare Lebensmittel im Wert von 235 Euro weg. Viele davon sind noch einwandfrei, obwohl das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht ist. Jetzt haben mehrere EU-Länder vorgeschlagen, mehr Produkte als bisher ohne diesen Datumsaufdruck zuzulassen. Wie sinnvoll ist das?
Das Mindesthaltbarkeitsdatum auf langlebigen Produkten wie Nudeln, Reis, Kaffee und Tee soll möglicherweise bald verschwinden. Diese Debatte haben die EU-Agrarminister angestoßen. Die Liberalisierung soll die Verschwendung von Lebensmitteln eindämmen, die auf dem Müll landen.
Das Mindesthaltbarkeitsdatum führe dazu, dass mancher Artikel schneller weggeworfen wird, als es sein müsste, sagte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) gestern in Brüssel. Die Bundesregierung unterstützt deshalb den Vorstoß seiner Amtskollegen aus Schweden und den Niederlanden, die Liste der Lebensmittel, die kein Mindesthaltbarkeitsdatum tragen müssen, zu überprüfen. Dazu gehören frisches Obst und Gemüse, die ohnehin rasch verzehrt werden müssen, aber auch etwa Wein, Alkohol, Backwaren, Essig, Salz, Zucker und Kaugummi.
Noch ist unklar, um welche langlebigen Lebensmittel die Liste erweitert werden soll. Ein genauer Vorschlag ist Sache der Brüsseler Kommission, die das Thema „Maßnahmen gegen Lebensmittelverschwendung“ zunächst auf Expertenebene weiter beraten will. Auf einer Sitzung der EU-Agrarminister gab es am Montag aber breite Einigkeit, dass die EU energischer gegen das Übel vorgehen solle.
„Oberstes Ziel muss sein, die Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten“
Die Verbraucherzentrale NRW fordert seit Jahren Maßnahmen gegen die Lebensmittelverschwendung, weil jeder Deutsche jährlich im Schnitt Nahrungsmittel im Wert von 235 Euro wegwirft, obwohl sie noch genießbar wären. Ernährungsexperte Frank Waskow warnt dennoch davor, etwa Hartkäse, Mehl und Nudeln generell ohne Mindesthaltbarkeitsdatum zu verkaufen.
„Bei Nudeln ohne Ei sehe ich keine Probleme“, sagt Experte Waskow. „Pasta mit Ei und einem entsprechenden Fettanteil hat aber nur eine reduzierte Haltbarkeit“, sagte er unserer Mediengruppe. Kaffee und Tee verlören nach längerer Lagerzeit ihre Aromen.
Waskow: „Oberstes Ziel muss sein, die Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten.“ Die Verbraucherzentrale fordert stattdessen, dass Hersteller ihre Kriterien offenlegen, wie sie das Mindesthaltbarkeitsdatum errechnen. „Möglicherweise werden diese oft nach Marketing- und Absatzüberlegungen anstatt nach tatsächlichen Haltbarkeits- und Qualitätsaspekten festgelegt“, so Waskow.
Die Wegwerfgesellschaft - Warum so viel Essen im Müll landet
Die Europäische Union will weniger Lebensmittel mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum versehen und so die Verschwendung von Lebensmitteln eindämmen.
Wie viele Lebensmittel werfen die Deutschen weg?
Jahr für Jahr landen allein in Deutschland elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Wert von 25 Milliarden Euro auf dem Müll. Das entspricht 235 Euro pro Kopf. Die Verbraucherzentrale NRW hat ausgerechnet, dass diese Menge der Ladung von 275 000 Sattelschleppern entspreche. Aneinandergereiht würde die Lkw-Schlange von Düsseldorf nach Lissabon und wieder zurück reichen.
Wo entstehen die meisten Lebensmittelabfälle?
Die Privathaushalte sind einer Studie aus dem Jahr 2012 zufolge mit 62 Prozent die mit Abstand größten Nahrungsmittelvernichter. Großverbraucher und Industrie machen 17 Prozent aus. Fünf Prozent wirft der Handel weg.
Ist das abgelaufene Haltbarkeitsdatum der einzige Grund, Lebensmittel wegzuwerfen?
Nein. Allein in der deutschen Landwirtschaft gehen jährlich zwei Millionen Tonnen Lebensmittel verloren. So werden etwa Salate oder Kartoffeln untergepflügt, weil sie wegen ihrer Form oder Größe im Handel vermeintlich nicht absetzbar sind und am Markt zu geringe Preise erzielen. Manche Hersteller vernichten ihre Überproduktionen. Etliche Bäckereien entsorgen Brot vom Vortag, Kantinen müssen Büffetreste aus hygienischen Gründen beseitigen.
Welche Lebensmittel landen am ehesten auf dem Müll?
44 bis 49 Prozent aller vermeidbaren Abfälle machen Obst und Gemüse aus, Backwaren zu 14 Prozent, Fleisch/Fisch und Milchprodukte je elf Prozent.
Worauf ist der Trend zur Wegwerfgesellschaft zurückzuführen?
Experten der Verbraucherzentrale machen dafür die „verlorene Wertschätzung für Lebensmittel“ verantwortlich. Die Ausgaben für Nahrungs- und Genussmittel in Deutschland sinken: 1950 betrugen sie noch 50 Prozent des Einkommens eines Haushalts. Inzwischen sind es nur noch 9,5 Prozent. Die Verbraucher gehen zum Discounter und kaufen Sonderangebote, Fast Food und Fertiggerichte. „Dass damit Kenntnisse und Kompetenzen der Lebensmittelauswahl, Lagerung und Zubereitung auf der Strecke bleiben, liegt auf der Hand“, heißt es bei der Verbraucherzentrale.
Gibt es soziale Unterschiede beim Umgang mit Lebensmitteln?
Forscher der Fraunhofer Gesellschaft haben Anfang des Jahres Müll auf seine Bestandteile untersucht. Die Zusammensetzung hänge „stark von der Wohn- und Lebenssituation“ ab. In Einfamilienhäusern werden danach weniger Lebensmittel weggeworfen als in Mehrfamilienhäusern und Wohnblöcken. Dafür entsorgen gut situierte Verbraucher verstärkt teure Fertiggerichte, während bei ärmeren eher Obst und Gemüse in den Tonnen zu finden ist.
Kann der EU-Plan, weniger Produkte mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum auszustatten, ein Mittel gegen die Lebensmittel- Verschwendung sein?
„Jeder Vorstoß in diese Richtung ist richtig“, sagt Frank Waskow von der Verbraucherzentrale NRW. Er rät aber zur Vorsicht. Zum Bespiel bei Hartkäse, für den das Mindesthaltbarkeitsdatum entfallen könne. „Käse mit großen Oberflächen neigen zur Schimmelbildung“, so Waskow. Dazu zähle auch geriebener Parmesan. Vollkornmehl neige dazu, ranzig zu werden.
Sind Nudeln, Reis, Kaffee und Tee wirklich unbegrenzt haltbar?
Auch hier mahnt die Verbraucherzentrale zur Differenzierung. „Bei Nudeln ohne Ei sehe ich keine Probleme“, sagt Experte Waskow. Pasta mit Ei und einem entsprechenden Fettanteil habe indes eine „reduzierte Haltbarkeit“. Kaffee und Tee verderben nach seiner Einschätzung nicht, verlören nach längerer Lagerzeit aber ihre Aromen.
Welche Alternativen gibt es zum Mindesthaltbarkeitsdatum?
Es gibt die Möglichkeit, das Produktionsdatum auf die Artikel zu drucken. „Davon bin ich nicht so begeistert“, sagt Experte Frank Waskow. „Die Verbraucher können nicht erkennen, was das nun wirklich für den Artikel heißt.“
Der Handelsverband HDE kritisiert, dass Kunden das Mindesthaltbarkeitsdatum immer noch mit dem regelrechten Verfallsdatum verwechselten. Eine Alternative könnte die amerikanische Variante „best before“ sein. Damit erhalten die Verbraucher die Botschaft, dass das Produkt am besten schmeckt und die höchste Qualität aufweist, wenn es bis zu einem bestimmten Datum verzehrt wird. Verdorben ist es danach noch nicht.