Herne. Die Energiewende macht’s möglich: Die RAG steigt in den Export von stillgelegten Kohlemeilern ein. Hoffnung auf ein neues Geschäftsfeld, in vielen Ländern ist deutsche Kraftwerkstechnik sehr willkommen. Ab- und Wiederaufbau sind schneller als ein Neubau.

Es war ein Sinnbild für den Niedergang der Montanindustrie im Ruhrgebiet: Vor zehn Jahren zerlegten 300 chinesische Experten die Kokerei Kaiserstuhl in Dortmund, verschifften die seinerzeit modernste Anlage ihrer Art in zwei Millionen Einzelteilen nach China und bauten sie dort originalgetreu wieder auf. Noch heute gilt Kaiserstuhl als eine der modernsten Kokereien des Riesenreichs. Die deutsche Steinkohle dagegen ist ein Auslaufmodell.

Für den Bergbaukonzern RAG war Kaiserstuhl kein gutes Geschäft. Umgerechnet 600 Millionen Euro hatte sich das Unternehmen die Kokerei dereinst kosten lassen. Nicht einmal neun Jahre produzierte Kaiserstuhl in Dortmund. Mit dem Ausverkauf deutscher Spitzentechnologie hat die RAG also so ihre Erfahrungen. Darauf will man jetzt aufbauen. Diesmal jedoch gewinnbringender.

Ende der Steinkohle vor Augen

Das Ende der Steinkohleförderung 2018 vor Augen, wird es für den Bergbaukonzern nämlich höchste Zeit, sich nach neuen Geschäftsfeldern umzusehen. Ausgerechnet die Energiewende eröffnet dem Ruhrgebietsunternehmen mit Sitz in Herne nun eine unverhoffte Perspektive.

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Denn wer Erfahrung mit der Demontage und dem Weiterverkauf gebrauchter Bergbautechnologie hat, der kann sein Know-how auch im Handel mit Kraftwerksanlagen einsetzen, so das Kalkül der RAG-Verantwortlichen. Im Blick haben die RAG-Experten den großen Bestand konventioneller Kraftwerke in Deutschland, deren Zukunft wegen der Energiewende ungewiss ist. 30 Kraftwerke stehen laut Bundesnetzagentur zur endgültigen Stilllegung an, vornehmlich Gas- und Steinkohleblöcke. In vielen Ländern außerhalb Europas ist man hingegen erpicht auf deutsche Kraftwerkstechnik.

Ausverkauf hat Grenzen

„Hier wollen wir ansetzen und unsere Expertise einbringen“, sagt Martin Junker, Chef der RAG-Tochter Mining Solutions. Rückbau und Vermarktung bestehender Anlagen fällt schon jetzt in den Aufgabenbereich der Mining Solutions. Ob Gabelstapler, Transformatoren, ja ganze Werkstätten – der rund 100 Mitarbeiter starke Unternehmenszweig verkauft derzeit alles, was in einem Bergwerk nicht niet- und nagelfest ist. Doch auch der Ausverkauf deutscher Bergbauprodukte kommt mit dem Ende der Steinkohleförderung an seine Grenzen.

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Also nahmen die RAG-Experten den internationalen Kraftwerksmarkt unter die Lupe. Marktpotenzial sieht man demnach besonders in den Staaten der früheren Sowjetunion, in Afrika und in einigen asiatischen Staaten. Südamerika kommt bis auf Chile und Argentinien wegen der unterschiedlichen Netzspannung nicht in Betracht. Anders als noch zu Kaiserstuhl-Zeiten liegt auch China nicht mehr im Fokus. Junker: „Die Chinesen bauen heute selbst.“

Keine Schwackeliste für Turbinen

Doch wie handelt man mit gebrauchten Kraftwerken? Und wie ermittelt man ihren Wert? Anders als bei Autos stehen Preise für Generatoren und Turbinen, die schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben, nicht in einer Schwackeliste. „Da hilft unsere langjährige Erfahrung im Handel im Bergbau“, sagt Junker. Ein gebrauchtes Kraftwerk müsse im Preis mindestens ein Drittel günstiger sein als ein neues. Entscheidender noch sei die Lieferzeit. Junker: „Ein altes Kraftwerk ab- und wieder aufzubauen, geht meist viel schneller als ein kompletter Neubau.“

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Deutschland schaltet seine Umweltverschmutzer ab und verhökert sie ins Ausland? Diesen Widerspruch zur Energiewende sieht Junker nicht. „Viele Länder haben ja gar keine Voraussetzung für die Gewinnung regenerativer Energien“, so der RAG-Mann. Außerdem sei es doch allemal besser, die verhältnismäßig sauberen deutschen Anlagen dorthin zu liefern, wo heute noch die wahren Dreckschleudern stünden.