München/Paris. . Siemens-Chef Kaeser arbeitet am großen Coup: Mit taktischem Geschick hat er ein Angebot für Teile des Alstom-Konzerns auf den Weg gebracht. Ein Zuschlag würde Siemens nur die begehrten Gasturbinen einbringen.

Nach wochenlangem Tauziehen pickt sich Siemens-Chef Joe Kaeser im Alstom-Poker die Rosinen heraus: Mit dem japanischen Partner Mitsubishi Heavy Industries (MHI) legt der deutsche Elektrokonzern ein Milliarden-Angebot für Alstom vor, will für sich dabei aber nur das lukrative und gut zu überblickende Geschäft mit den Gasturbinen an Land ziehen. Ansonsten meidet Kaeser lieber die Risiken eines großen Einstiegs bei Alstom. Von der ursprünglich vor allem in Frankreich gepriesenen Idee zweier europäischer Champions bleibt zwar nicht viel übrig, denn eine Zusammenarbeit zwischen Siemens und Alstom im Bahntechnik-Geschäft ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Trotzdem stellt Kaeser mit dieser Lösung viel taktisches Geschick und auch Gespür für die französischen Befindlichkeiten unter Beweis.

Eine deutsch-japanische Lösung hätte für die Regierung in Paris nämlich durchaus Charme. Sollte sie am Ende beim Verwaltungsrat Zustimmung finden, könnte Alstom als Aushängeschild des Industriestandorts Frankreich erhalten bleiben. Zugleich wäre Siemens bei einem Zuschlag aus den eher problematischen Aspekten des Geschäfts fein raus: So muss sich Alstom nicht nur mit einer hohen Schuldenlast, sondern auch einem Korruptionsermittlungen in den USA herumschlagen, was bei Siemens unangenehme Erinnerungen an die eigene Schmiergeld-Krise wecken dürfte. Hinzu kommt: Alstom-Chef Patrick Kron gilt als erbitterter Gegner eines Deals mit den Münchnern. Würde Siemens tatsächlich nur die Gasturbinen übernehmen, ergäben sich nur wenig Berührungspunkte.

Mitsubishi ist bereits Partner eines französischen Konzerns

"Meine Präferenz ist der Erhalt von Alstom", hatte Frankreichs Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg in den vergangenen Tagen immer wieder betont. Gleichzeitig gab er zu verstehen, eine Allianz nach dem Vorbild der Autohersteller PSA Peugeot Citroën und Dongfeng (China) sowie Renault und Nissan (Japan) als Lösung für Alstom anzustreben. Dabei verwies er auch darauf, dass Mitsubishi schon heute zusammen mit dem staatlichen französischen Atomkonzern Areva Nuklearreaktoren in der Türkei baue.

General Electric (GE) warb am Montag mit ganzseitigen Anzeigen in Tageszeitungen für seine Pläne. Unter der Überschrift "Die Zukunft liegt im "Made in France"" wurde dort auf die Vorteile einer Zusammenarbeit zwischen GE und Alstom verwiesen. Allerdings: Von Plänen, die Offerte nachzubessern, war zunächst nicht zu hören. Man werde sich nicht an einem Bieterkrieg beteiligen, erklärte das Unternehmen. Neben 1000 neuen Industrie-Jobs für den von hoher Arbeitslosigkeit gebeutelten Standort Frankreich hatte GE eine Stärkung der Alstom-Transportsparte versprochen, die unter anderem die weltbekannten Hochgeschwindigkeitszüge vom Typ TGV baut. Das Wort "Übernahme" kam in der Zeitungsanzeige trotz des GE-Angebots von 12,35 Milliarden Euro für die Alstom-Energietechniksparte nicht vor. Stattdessen war von einer Allianz die Rede.

Siemens-Übernahme von Alstom "in europäischem Interesse"

Zu Beginn des Verhandlungspokers hatten sowohl Siemens als auch die französischen Politik offensiv dafür geworben, nach dem Vorbild von Airbus in den Bereichen Bahntechnik und Energietechnik deutsch-französische Gemeinschaftsunternehmen zu schaffen. Demnach hätte Alstom von Siemens das Bahngeschäft mit den ICE-Zügen übernommen, Siemens von Alstom das Energietechnikgeschäft.

Als einer der großen Verfechter eines solchen Projekts galt auf deutscher Seite Siemens-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme. Wenn jetzt auch noch die Produktion von Energietechnik unter Kontrolle nicht-europäischer Unternehmen gerate, werde man in diesem Bereich künftig genauso abhängig sein wie im Internet-Business, wo US-Unternehmen wie Google, Amazon und Apple den Markt beherrschten, sagte er jüngst der der französischen Wirtschaftszeitung "Les Echos". Es könne also nur im Interesse aller Europäer sein, industrielle Champions zu haben, die sich im globalen Wettbewerb behaupten können.

Das Ringen um Alstom - Ein Spiel mit vielen Wendungen 

Nach wochenlangem Tauziehen erreicht der Alstom-Poker einen Höhepunkt. Siemens und der japanische Partner Mitsubishi Heavy Industries (MHI) bieten für Teile des französischen Industriekonzerns und kontern damit eine Offerte des amerikanischen Siemens-Rivalen General Electric. Damit herrscht mehr Klarheit in dem Spiel, das bisher von vielen Unbekannten - und auch überraschenden Wendungen geprägt war.

Was planen Siemens und MHI?

Siemens hat es eigentlich nur auf die Gasturbinen von Alstom abgesehen und will dafür 3,9 Milliarden Euro auf den Tisch legen, während MHI mit bis zu zehn Prozent bei Alstom einsteigen und mit den Franzosen drei Joint Ventures gründen will. Insgesamt umfassen die Vorschläge Barzahlungen der beiden Partner von sieben Milliarden Euro. Siemens hat außerdem eine dreijährige Arbeitsplatzgarantie im Gasturbinensparte zugesagt. Mit dieser Variante bliebe Alstom "in seiner gegenwärtigen Form in fast allen seinen Geschäftsfeldern erhalten" und würde besser aufgestellt, argumentieren die Partner.

Welche Angebote hatte General Electric gemacht?

Der Siemens-Erzrivale bietet 12,35 Milliarden Euro für die Energietechnik von Alstom und hat zugesagt, 1000 neue Arbeitsplätze in Frankreich zu schaffen. Frankreichs Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg hatte zuletzt auch wissen lassen, dass GE sein ursprüngliches Angebot in den vergangenen Wochen durch neue Vorschläge verbessert habe. Der US-Konzern biete auch eine Stärkung der Alstom-Transportsparte und Gemeinschaftsprojekte für die Bereiche Energienetze und erneuerbare Energien an, sagte Montebourg in einem Zeitungsinterview. Einer ersten Reaktion auf das Gegenangebot von Siemens und MHI ließ am Montag nicht darauf schließen, dass bei GE nun Nachbesserungen geplant sind. Man werde sich nicht an einem Bieterkrieg beteiligen, erklärte der US-Konzern.

Wie stehen Alstom und die französische Politik zu den Offerten?

Von Beginn an hatte sich der Alstom-Verwaltungsrat hinter das GE-Angebot gestellt und den Aktionären die Offerte der Amerikaner empfohlen. Dabei dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass Alstom-Chef Patrick Kron als erbitterter Gegner eines Deals mit Siemens gilt. Die Münchner sollen 2004 versucht haben, einen mit Staatsgeldern finanzierten Rettungsplan für Alstom zu stoppen, weil sie schon damals Teile des Konzerns übernehmen wollten. Bei der französischen Regierung wiederum schlug das Pendel heftig in die Gegenrichtung aus. Zwar betonte Paris immer wieder, "keine Präferenz" für einen bestimmten Bewerber zu haben, doch favorisierte die Regierung klar eine europäische Lösung. Den Einstieg von MHI in den Übernahmekampf hatte Paris als Verbesserung des Siemens-Angebotes gewertet - und gleich auch einen Wink mit dem Zaunpfahl an GE hinterhergeschickt: "Ich denke, GE wird sein Gebot ebenfalls verbessern", sagte Frankreichs Finanzminister Michel Sapin vor einigen Tagen in einem TV-Interview.

Wie könnte ein Zeitplan aussehen?

Auch nach dem Angebot von Siemens und MHI scheint keine schnelle Entscheidung in Sicht. Neben der Reaktion von Alstom bleibt auch abzuwarten, wie sich GE verhält. Die Offerte der Amerikaner läuft noch bis 23. Juni. Bis dahin dürfte sich aber zumindest herauskristallisieren, mit wem exklusive Gespräche begonnen werden. (dpa)