Schwerin/Bonn. . Nach insgesamt 88 Zeitarbeitsverträgen verklagt eine Zustellerin die Deutsche Post AG. Bei einem Gütetermin bietet ihr der Konzern nun eine unbefristete Stelle. Noch ist der Vertrag nicht unterzeichnet. Die Gewerkschaft kritisiert, die Post betreibe Schadensbegrenzung.

Ganze 17 Jahre lang hat sich Anja Helffenstein wie in der Probezeit gefühlt. Doch als die Post-Zustellerin nach insgesamt 88 Zeitarbeitsverträgen gefeuert wird, ist ihre Geduld zu Ende. Die Frau aus Wittenburg (Mecklenburg-Vorpommern) klagt vor dem Arbeitsgericht Schwerin auf eine Festanstellung - und hat nun Erfolg. Bei einem Gütetermin am Freitag bietet die Deutsche Post AG der 41-Jährigen schließlich einen unbefristeten Arbeitsvertrag an.

Helffenstein, die ohne jede Erwartung in den Gerichtssaal geht, kommt nach nur knapp 30 Minuten überrascht und sprachlos wieder heraus. Als erstes umarmt sie Betriebsratsmitglied Heinz-Joachim Sauer. "Ich kann es noch gar nicht realisieren, dass ich wieder arbeiten darf", sagt sie etwas später. Ehe sie strahlen kann, vergeht ein wenig Zeit. "Meine Sachen liegen bereit. Ich könnte morgen wieder arbeiten."

Post-Beschäftigte hat mit gütlicher Einigung nicht gerechnet

Auch ihr Anwalt Klaus Bertelsmann ist von der Einigung verblüfft. "Damit hat wohl niemand gerechnet", meint er. Der Fachbereichsleiter Nord der Gewerkschaft Verdi, Lars-Uwe Rieck, sagt: "Es ist schön, dass sich ihr Mut, an die Öffentlichkeit zu gehen, gelohnt hat."

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Von 1997 bis zum April 2014 hangelte sich Helffenstein von einem befristeten Arbeitsverhältnis zum nächsten. Dann bekam sie keinen neuen Vertrag mehr. Als Grund sei ihre zweieinhalbwöchige Krankheit im Januar genannt worden. Der Niederlassungsleiter in Lübeck habe sie als untragbar bezeichnet, berichtet sie. Warum? Das wisse sie nicht.

Befristungen am laufenden Band haben das Leben der Frau bestimmt. "Mal waren es zwei Wochen, mal ein viertel oder ein halbes Jahr, die ich arbeiten durfte", erzählt sie. Ihre Arbeit habe sich nicht von der ihrer unbefristet angestellten Kolleginnen unterschieden.

Dennoch habe sie weniger Geld erhalten. Da sie für Festangestellte einspringen musste, richtete sich ihr Urlaub nach deren Urlaub - und fiel eher selten in die Schulferien. Manchmal schloss sich ein neuer Zeitarbeitsvertrag nahtlos an, manchmal lagen Tage oder Wochen dazwischen. "Ich hatte auch schon die Türklinke vom Arbeitsamt in der Hand, als der Anruf kam, dass ich wieder arbeiten könnte", sagt sie.

Post sagt, ein gewisses Maß an Befristungen sei nötig

Helffensteins Freude wird allerdings auch etwas gedämpft: Der genaue Arbeitsort ist in dem jetzt von der Post angebotenen, unbefristeten Vertrag nicht festgelegt. Sei er für seine Mandantin nicht annehmbar, müsse er die Einigung widerrufen, sagt Anwalt Bertelsmann.

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Das Angebot der Post-Prozessbevollmächtigten Rita Müller-Chychla sieht einen Vertrag über 38,5 Wochenstunden in der Entgeltgruppe drei vor. Die Post verzichte auf die Wartezeit. Die Betriebszugehörigkeit solle jedoch nicht seit 1997, sondern erst seit 2009 anerkannt werden - wegen mehrjähriger Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses. Helffenstein begründet diese mit Elternzeiten für ihre Kinder.

Die Post sieht sich wegen ihrer Personalpolitik nicht in der Defensive - ein gewisses Maß an Befristungen sei nötig. Sprecher Markus Wohsmann argumentiert, dass rund 90 Prozent der Briefzusteller unbefristet beschäftigt seien. Aber: "Die übrigen zehn Prozent sind für uns ein Mittel, einen flexiblen Personaleinsatz zu handhaben."

Gewerkschafter Rieck traut dem Frieden trotzdem nicht so recht: "Mit dem schnellen Angebot zur Güte betreibt die Post nur Schadensvermeidung, indem sie in einem Einzelfall einknickt." Anders als ein Urteil habe die gütliche Einigung keine Ausstrahlung auf andere Fälle. "Sie ist allenfalls ein erster kleiner Etappensieg."

Nach Riecks Meinung ist der Fall Helffenstein zwar besonders überzeichnet, aber in der Praxis nicht selten: "Jetzt hat ein Mensch eine Perspektive, mehr als 13 200 andere nicht." So viele Post-Mitarbeiter seien bundesweit befristet beschäftigt, fast elf Prozent der Belegschaft. Und ihre Zahl nimmt laut Verdi zu. (dpa)