Essen. . Tausende Patienten an Rhein und Ruhr bekommen nicht die ihnen verschriebenen Blutdrucksenker und Schilddrüsen-Hormone . Die Wartezeiten werden immer länger, die Betroffenen sind verunsichert. Apotheker glauben, dass die Rabattverträge zwischen Kassen und Pharma-Konzernen die Wurzel dieses Übels ist.
„Tut mir leid, derzeit nicht lieferbar.“ Diesen Satz hören Kunden in Apotheken immer öfter. Allen Beteuerungen der Pharma-Hersteller zum Trotz nehmen die seit Monaten festzustellenden Lieferengpässe bei wichtigen Arzneien wie Schilddrüsen-Hormonen und Betablockern nicht ab. Im Gegenteil: Das Problem wird an Rhein und Ruhr immer größer.
Etwa zehnmal am Tag muss der Essener Apotheker Rolf Günter Westhaus Kunden erklären, dass das Medikament auf dem Rezept nicht da ist und so schnell auch nicht mehr reinkommt. „Es ist zwar bisher immer noch möglich, auf Produkte anderer Firmen auszuweichen, aber gerade bei Schilddrüsen-Problemen ist es wichtig, immer beim gleichen Marken-Produkt zu bleiben“, sagt Westhaus.
Hunderte Patienten warten auf ihre Medikamente
Eine Einschätzung, die die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) teilt. „Die Alternativ-Medikamente sind natürlich zugelassen und zu 98 Prozent identisch. Aber bei vielen Schilddrüsen-Patienten wirken sich sogar kleinste Abweichungen aus“, so KVWL-Sprecher Christopher Schneider. Immerhin geht es um Tabletten, die täglich in gleicher Dosierung eingenommen werden müssen. Es sind Massenprodukte wie L-Thyroxin und der Blutdrucksenker Metoprolol, die massenhaft fehlen.
Werner Heuking (Apothekerverband Nordrhein) berichtet von mehreren hundert Kunden, die allein in den Apotheken in Dinslaken jeden Monat vergeblich nach verschriebenen Arzneien fragen. Sein Kollege Ulf Brunne aus Oberhausen spricht von einem „ganz großen Problem“. Es gebe inzwischen im Großhandel keine festen Liefertermine mehr. Wartezeiten von vier Monaten seien möglich.
Nachproduzieren klappt nicht auf Knopfdruck
Bei der Suche nach den Ursachen für diese Lieferengpässe fällt schnell das Wort „Rabattverträge“. Das sind Zwei-Jahres-Verträge, die die Krankenkassen mit Arzneimittel-Herstellern schließen. Versicherte bekommen auf Rezept nur die Arznei, die zwischen Kasse und Hersteller vereinbart wurde. So erhalten DAK-Mitglieder Schilddrüsen-Hormone von Hexal, Aristo und Winthrop, weil es Rabattverträge mit diesen Firmen gibt.
Die DAK hält dieses „Drei-Partner-Modell“ für gut, „weil bei einer Lieferunfähigkeit eines Einzelnen die Versorgung der Versicherten über andere Hersteller sichergestellt ist.“ Nur setzten viele Kassen nur auf einen Partner, und wenn es bei dem nicht laufe, seien die Konsequenzen deutlich spürbar.
So geschehen bei Merck. Dort gab es im Herbst Lieferschwierigkeiten wegen „technischer Probleme“, deren Wirkung noch spürbar ist. „In solchen Fällen schwappt die Nachfrage zu uns, und wir sind nicht vorbereitet“, erklärt Hexal-Sprecher Hermann Hofmann unserer Redaktion. Dann steige die Nachfrage bei Hexal plötzlich um 100 Prozent. Medikamente könne man aber nicht sofort in großer Menge herstellen. „Die Verträge zwingen uns zum Blindflug durch den Markt“, sagt Hexal-Sprecher Hofmann.
Undurchsichtige Verträge und Fabriken in anderen Erdteilen
Firmen, die bei den Rabattverträgen leer ausgehen, reduzieren ihre Produktion für Deutschland, weil damit ja nichts zu verdienen ist. Folge: Es sind weniger Medikamente verfügbar. Der Verband der Kassenärzte KVWL hält die Rabattverträge für ein „notwendiges Übel“, weil sie zu Kostensenkungen führen.
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Die Vertragsgestaltung sei aber selbst für die Ärzte eine „Black Box“, also nicht zu durchschauen. Auch die Konzentration auf wenige große Arzneimittel-Produktionsstätten zum Beispiel in Indien und China ist eine Ursache für Lieferengpässe. Wenn dort ein Fehler passiert,wenn die Qualität nicht stimmt oder ein Zulieferer ausfällt, ist gleich die halbe Welt betroffen.
Der AOK-Bundesverband spricht von „kurzfristigen Einschränkungen der Lieferfähigkeit einzelner Hersteller“ wegen Produktions- und Qualitätsproblemen. Insbesondere bei Schilddrüsen-Hormonen sei dies damit zu erklären, dass der Wirkstoff sehr empfindlich gegenüber Produktions- und Lagerbedingungen sei.
Engpässe bei einem Präparat sind nach Einschätzung der AOK „unproblematisch“, weil es weitere Arzneimittelhersteller mit gleichwertigen Präparaten gebe. In der Apotheke würde dann ein anderes hochwertiges Alternativpräparat ausgewählt. Einzelne Lieferengpässe bei bestimmten Packungsgrößen oder Dosierungen zögen keine Versorgungsprobleme nach sich.