Mülheim/Ruhr. Böse Überraschung bei der Auszahlung einer Direktversicherung aus Entgeltumwandlung: Die Krankenversicherung kassiert kräftig mit. Viele Rentner sehen sich von der Politik getäuscht und um ihre Rendite betrogen. Ein Mülheimer Renter kämpft dagegen an. Der Vorwurf: “Vertragsbruch“.

Dieter Möller und Herbert Nass fühlen sich vom Staat betrogen. Weil er ihnen erst – zu Zeiten von Bundesarbeitsminister Norbert Blüm – eine Direktversicherung als Altersvorsorge ans Herz legte und Jahre später – zu Zeiten von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt – die Bedingungen zu ihren Ungunsten änderte. Als Dieter Möller seine gesparten rund 100.000 Euro – eine Standardsumme bei über Jahrzehnte laufenden Direktversicherungen – ausgezahlt bekam, hielt der Staat die Hand auf: 17.550 Euro für Kranken- und Pflegeversicherung – zu zahlen in monatlichen Raten über zehn Jahre. Und weg war ein Großteil der Rendite.

Als sein Arbeitgeber die Police für ihn abschloss, war davon noch keine Rede. „Da kommen die 30 Jahre später und sagen ,April, April’. Früher galt sogar mal das Wort, heute gelten nicht mal mehr Verträge“, schimpft Möller. Der Mülheimer Rentner ist einer von Hunderttausenden, die bei der Auszahlung ihrer Direktversicherung eine böse Überraschung erlebten. Viele in den 80er-Jahren abgeschlossene Altverträge werden derzeit ausgezahlt. Aktuell laufen noch rund 7,5 Millionen Verträge.

Mülheimer kämpft gegen Vertragsbruch bei Entgeltumwandlung

Möller will sich damit nach wie vor nicht abfinden und kämpft mit bundesweit gut 130 Mitstreitern gegen diesen „einmaligen Vertragsbruch“ an. Und er will Menschen, deren Verträge noch laufen, helfen. Denn das Mitkassieren des Staates lässt sich zumindest für die Restlaufzeit noch verhindern.

Bekannt ist die Direktversicherung auch als Entgeltumwandlung. Vom Bruttogehalt wird ein Teil in eine Versicherung eingezahlt. Das erschien für viele attraktiv, weil sich durch die Pauschalbesteuerung, die schrittweise auf 20 Prozent stieg, gerade bei guten Einkommen viele Steuern sparen ließen. Sozialversicherungsbeiträge fielen nicht an, die meisten haben aber auch keine gespart, weil sie ohnehin über der Beitragsbemessungsgrenze lagen. Bei der Auszahlung waren Krankenkassenbeiträge nur bei Monatsrenten vorgesehen, nicht bei Einmalauszahlungen.

Das weckte Begehrlichkeiten: In Zeiten knapper Sozialkassen setzte die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) durch, dass Direktversicherungen wie Betriebsrenten zu behandeln seien, somit bei deren Auszahlung der volle Beitragssatz an Kranken- und Pflegeversicherung zu zahlen ist. Und zwar auch rückwirkend bei Altverträgen.

Was für den Laien wie ein glatter Bruch des Vertrauensschutzes aussieht, bestätigten die Gerichte mehrmals, letztlich das Bundessozialgericht 2008. Es sah zwar „eine erhebliche Belastung“ der Betroffenen durch die Beitragspflicht, aber „keine erdrosselnde Wirkung“. Eine juristische Formulierung, die nicht gut bei den Betroffenen ankam. Und sie stimme auch nicht in jedem Fall, sagt Dieter Möller. Er kenne schwer kranke Betroffene, die auf das Geld aus der Direktversicherung dringend angewiesen seien und viele, die ihr Haus damit abbezahlen wollten.

Beiträge fressen Steuerersparnis auf

Zu den alten Bedingungen hätte sich die Entgeltumwandlung immer gelohnt, meint der Bamberger Sozialrechtler Ulrich-Arthur Birk, nach den Änderungen „rechnet sie sich in der Regel nicht mehr“. Ausnahmen: Privat Krankenversicherte, weil sie bei der Auszahlung keine Beiträge zahlen müssen. Und Beschäftigte, deren Arbeitgeber noch Beiträge zuschießen.

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Besonders ärgert Herbert Nass aus Moers, dass er auf den Staat vertraut hat. „Man hat mich geködert, das zu tun, jetzt werde ich zusätzlich belastet. Wo ist da die Rechtssicherheit?“ Nass muss jeden Monat rund 150 Euro extra an die Krankenversicherung zahlen. Weil die nachträglichen Kassenbeiträge die Steuerersparnis während der Einzahlungsphase auffressen, wären Nass und die meisten anderen besser gefahren, hätten sie ihr Geld einfach privat angelegt.

Und hier ist tatsächlich ein Hebel für Versicherte, deren Verträge noch laufen. Führen sie einen Vertrag privat fort, werden zumindest auf diesen Teil der Einzahlungen keine Sozialbeiträge fällig, das hat das Bundesverfassungsgericht 2010 klargestellt. „Der Arbeitgeber kann den Vertrag einfach auf den Beschäftigten überschreiben“, sagt Möller und ärgert sich, dass weder Versicherungen noch Arbeitgeber die Leute darauf hinwiesen. Entscheidend dafür ist, dass die Betroffenen sich „anstelle ihres Arbeitgebers als Versicherungsnehmer in den Versicherungsschein eintragen“ lassen, wie die Verbraucherzentrale Hamburg betont.