Essen. Mit der Idee vom Sockel für die unteren Lohngruppen bringt der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi die Kommunen in Schwierigkeiten. Für seine Leute sind die 90 Euro aber ein wichtiges Signal. Schon lange hatte die alte ÖTV keinen so aggressiven und zugleich klug auftretenden Chef.

In Bochum vor dem Rathaus hat Verdi seinen Arbeitskampf fantasievoll und wie im Theater aufgezogen. Man legte rote Teppiche auf den Gehweg. Robuste Blaumänner und Pflegerinnen in strahlendem Weiß und grüngewandete Stadtgärtner flanierten dort und gaben Autogramme. Das Signal: Wir sind die Könige von vor Ort.

Bald werden die Verdianer nur einen einzigen König feiern: Frank Bsirske. Die Taktik ihres Vorsitzenden ist wieder aufgegangen. Schon lange hat die alte ÖTV keinen so aggressiven und zugleich klug auftretenden Chef gehabt. Verdi ist die Gewerkschaft, die deutlich Mitglieder gewinnt.

Der Sockelbetrag

Bsirske hat diesmal auf den Sockelbetrag gesetzt und darauf, dass der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Thomas de Maiziere, einer von der sanften Tour ist. 100 Euro mehr für die unteren Lohngruppen war das Mantra. Bsirske hat dafür schnell und mit voller Wucht warnstreiken lassen. Vier quälende Tage standen beispielsweise die Menschen an Rhein und Ruhr im Stau, weil Busse und Bahn nicht fuhren und die Eltern nicht wussten, wohin mit den Kita-Kindern. Dennoch waren in Umfragen 70 Prozent der Bürger mit den Forderungen einverstanden.

Als Lohn des Muts bekommen die öffentliche Bediensteten bei Kommunen und Bund die „soziale Komponente“. Übersetzt: Keiner geht ohne eine Erhöhung unter 90 Euro nach Hause. Das ist das erzählbare Ende der Sache: Cash.

Doch während dem Bund das zunächst nichts ausmacht, weil er die beste Kassenlage seit Jahrzehnten aufweist und ihm zwischen einer und zwei Milliarden Euro zusätzliche Personalkosten kaum die „schwarze Null“ verhageln, gilt für die Kommunen „schwere Kröte schlucken“. Es ist der Begriff, den Gerd Landsberg gestern morgen in einem Interview mit dem Deutschlandfunk prägte. Er ist der Chef des Städte- und Gemeindebundes.

Mehrausgaben in Milliardenhöhe

Die Kommunen müssen in den nächsten zwei Jahren mit Mehrausgaben bis fünf Milliarden Euro rechnen. Dabei steht jede dritte Stadt und jeder zweite Landkreis so in der Kreide, dass man Investitionsentscheidungen nicht mehr selbsttätig treffen darf. Sie haben Nothaushalte, laufen am Zügel ihrer Landesregierungen. Jede Ausgabe ist zu genehmigen, Sparpläne sind zu machen.

Landsberg erzählt, was die Sockelentscheidung am Ende bedeuten kann: „In dem Moment, wo die Löhne im öffentlichen Bereich überproportional steigen, wird der Druck auf die Städte größer, diese Aufgaben nicht mehr selbst, sondern von einem Privaten ausführen zu lassen.“ Landsberg rechnet vor, dass „der private Busfahrer 20 Prozent weniger verdient als der, der für die Stadt fährt“. Er sagt: „Das ist ein Risiko.“ Und meint damit wohl vor allem den gegnerischen Tarifpartner, für dessen Klientel das wirklich gefährlich werden könnte. Dass Buslinien offen ausgeschrieben werden, passiert immer öfter.

Noch eine Spaltung

In den NRW-Kommunen gibt es ein zweites Problem. Sie haben ab jetzt eine noch tiefer gespaltene Belegschaft. Denn die Beamten in den Rathäusern sind in dieser Runde nicht mitverhandelt worden. Für sie gilt der Tarifvertrag der Länder aus dem letzten Jahr.

In Nordrhein-Westfalen bedeutet das: Die dort ausgehandelte Erhöhung wurde, in einer sehr umstrittenen Entscheidung der Landesregierung, die zum Beispiel von der Gewerkschaft der Polizei als „Wortbruch“ bezeichnet wird, nur zu einem Teil auf die Beamtenschaft übertragen. Die etwas besser Verdienenden sind dabei sogar leer ausgegangen.