Essen/Berlin. . Viele Unternehmen aus Deutschland sind Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit und erschließen sich dadurch neue Käuferschichten. Bio-Lebensmitteln haben inzwischen knapp vier Prozent Marktanteil erobert. Ethische Fonds schließen die Geldanlage in Atomkraft, Rüstung oder Kohlestrom aus.

Wer wissen will, welchen Schaden die Produktion seines Sportschuhs der Natur zufügt, wird bei Puma schlauer. Auf 4,29 Euro beziffert der Sportartikelhersteller die ökologischen Kosten eines Paars des Modells „Suede“ – darunter 2,16 Euro für den Ausstoß klimaschädlicher Abgase und 61 Cent für Wasserverschmutzung.

Für die gesamte Produktion des Jahres 2010 summierten sich die errechneten Umweltkosten bei Puma auf 145 Millionen Euro. Derartige Beträge müsste die Firma eigentlich Jahr für Jahr zahlen, wollte sie dazu beitragen, ihre Umweltschäden wieder auszugleichen. Tut sie aber nicht. An wen auch? Die Natur hat kein Konto – und der deutsche Staat verlangt solche Entschädigungen nicht. Die Berechnungen dienen dem Unternehmen im bayerischen Herzogenaurach nur als interner Ansporn, die Produktion Schritt für Schritt umweltfreundlicher zu machen.

Einerseits ist das inkonsequent, andererseits ein großer Fortschritt. Dass ein global tätiges Unternehmen freiwillig solche Zahlen präsentiert, ist ein Beispiel dafür, wie relativ grün die Wirtschaft schon geworden ist.

Umweltberichte

Besonders für international agierende Aktiengesellschaften, aber auch mittelständische Unternehmen gehört es heute zum guten Ton, Nachhaltigkeitsberichte zu veröffentlichen. Darin informieren sie über ihre Anstrengungen, sozial und ökologisch verantwortlich zu handeln. Vieles davon stimmt, manches ist aber auch Ökolyrik. Die Firmen setzen sich damit allerdings selbst unter Druck, grüner zu werden.

Öko-Produkte

„Ich bin überzeugt, dass die Umweltfreundlichkeit von Produkt und Herstellung zunehmend eine Rolle spielen wird“, sagt Wolfram Thomas, der Umweltbeauftragte des VW-Konzerns. Das ist nicht nur Theorie, sondern auch Praxis. So werben Autohersteller offensiv mit der ökologischen Qualität ihrer Fahrzeuge – klein, wenig Benzinverbrauch, Elektroantrieb, leichte Werkstoffe.

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Bei anderen Produkten spielen Umweltkriterien ebenfalls eine zunehmende Rolle. Beispielsweise bei Elektrogeräten müssen die Hersteller die Energieklasse angeben. Geringer Energieverbrauch ist grün markiert und lockt die Kunden.

Neue Wirtschaftszweige

Ganze Branchen sind in den vergangenen Jahrzehnten entstanden. So haben die Hersteller von Bio-Lebensmitteln inzwischen knapp vier Prozent Marktanteil erobert. Ihr Umsatz hat sich seit dem Jahr 2000 mehr als verdreifacht – auf 7,5 Milliarden Euro 2013. Eine Nische, aber eine wachsende.

Ethische Geldanlagen

Ähnlich sieht es im Finanzgeschäft aus. Jürgen Röttger von ECOreporter in Dortmund sagt, dass 2013 in Deutschland rund 30 Milliarden Euro in nachhaltigen Fonds angelegt waren, was 1,5 Prozent aller hiesigen Fondsinvestitionen ausmachte. Ethische Fonds schließen beispielsweise die Geldanlage in Atomkraft, Rüstung oder Kohlestrom aus.

Markt und Moral

Woher kommt diese Entwicklung? Der Kulturwissenschaftler Nico Stehr hat die These von der „Moralisierung der Märkte“ formuliert.

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Neue Käuferschichten mit neuen Ansprüchen kaufen demnach Produkte nicht nur wegen ihres Gebrauchswertes, sondern zunehmend wegen ihres sozialen und ökologischen Mehrwertes. Die Unternehmen stellen sich auf diese politischen Konsumenten ein, weil sie natürlich auch mit ihnen Geld verdienen können.

Entkoppeltes Wachstum

Im Ergebnis ist Deutschland dabei, eine der ganz großen ökonomischen Fragen zu beantworten: Ist zunehmender Wohlstand ohne zusätzliche Umweltzerstörung möglich? Anscheinend ja, zumindest teilweise. Seit mehr als zwei Jahrzehnten wächst unsere Wirtschaft, während die Kohlendioxid-Emissionen sinken. Möglicherweise lassen sich mit einer ähnlichen Entkopplung auch andere ökologische Probleme lösen.

Rückschlag-Effekte

Aber nicht alles geht in ökologischer Hinsicht vorwärts, manches auch rückwärts. Die Motoren der Fahrzeuge werden zwar sparsamer, doch mehr Autos sind auf mehr Straßen unterwegs, die mehr Natur entwerten. Ein anderes Beispiel: Durch Fracking, bei dem giftige Stoffe in den Boden gepresst werden, fördern die USA große Mengen Erdöl und Gas. Die Bundesregierung will diese Methode zwar vorläufig verbieten. Offen ist jedoch, wie es weitergeht, wenn Deutschland weniger von russischem Gas abhängig sein will.