Ruhrgebiet. . 36 Ruhrgebietsstädte, darunter alle großen und zentralen, haben für ihr Gebiet „Lkw-Vorrangstrecken“ ausgewiesen. So sollen Anwohner von Lärm und Schadstoffen entlastet werden und die Laster störungsfrei ins Ziel kommen. Auf den Datensatz können alle Hersteller von Navigationssoftware zugreifen.
Dienstag, der 17. Januar 2012, sollte ein lehrreicher Tag werden für Sonja Leidemann. Wittens Bürgermeisterin kletterte auf Einladung einer Spedition in einen Lkw, um mal deren Sichtweise kennenzulernen auf gesperrte Brücken, gestaute Straßen und andere Verkehrsprobleme. Da plötzlich nahm die Tour richtig Fahrt auf durch Stillstand: Die A45 wurde gesperrt wegen Bergschäden, Witten lief voll und „es wurde chaotisch in unserer Stadt, wieder zum Rathaus zu kommen“. Ausgesprochen gut gewählt, der Tag.
Es sei ja „symptomatisch für das Ruhrgebiet, dass Lkw durch die Städte gelotst werden“, sagt Leidemann am Montag. Da sitzt sie als Vertreterin von 36 Städten auf einer Pressekonferenz in Essen und stellt ein gemeinsames Projekt vor, das sinnvoll, hilfreich und gut ist, wenn es denn funktioniert. Denn die 36 haben „Lkw-Vorrangstrecken“ ausgearbeitet, auf denen die Laster sich zukünftig in den Städten und zwischen ihnen bewegen sollen.
Beispiel Dortmund
Ein plakatives Beispiel: Bisher lenken Navigationsgeräte Laster im Dortmunder Westen gern auf die Rahmer Straße, eine kleine und schnell überlastete Landesstraße; sie ignorieren dabei die parallele, autobahnähnlich ausgebaute und bebauungsfreie OWIIIa, da die nur eine kommunale Straße ist – Navis funktionieren nämlich hierarchisch, also nicht unbedingt schlau. Die neue Vorrangstrecke ist jetzt diese OWIIIa, zum Segen der Leute auf der Rahmer Straße.
Die neuen Vorrangstrecken können in das Wissen von Lkw-Navis eingespeist werden. Der Charme ist, das diente allen Beteiligten: Anwohner kleinerer Straßen hätten dann weniger Lärm und Dreck zu ertragen. Lkw-Fahrer könnten halbwegs sicher sein, nicht plötzlich vor einer zu niedrigen Brücke oder einer gesperrten Straße zu stehen oder einer Umweltzone, für die sie keine Plakette haben. Und die Empfänger bekämen mehr Sicherheit, wann ihre Ladung denn jetzt ankommt. Für das Projekt gewann der Regionalverband Ruhr (RVR) nun einen ersten Hersteller von Navigationssoftware, die Firma ,Nokia Here’. Sie will die Vorrangstrecken im Sommer eingearbeitet haben.
„Laboratorium und Zukunftswerkstatt“
„Fabriken erwarten den Laster immer mehr zu einem festen Zeitpunkt, nicht drei Minuten früher und nicht zehn Minuten später. Eine Region, die dafür ein Netz anbieten kann, hat einen Wettbewerbsvorteil“, sagt Nokia-Deutschland-Geschäftsführer Michael Bültmann. Und so ließ es das organisierte Ruhrgebiet um den RVR, sechs Industrie- und Handelskammern und die „Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr“ am Montag nicht fehlen an großen Worten: Mit dem Lkw-Vorrangnetz sei das Ruhrgebiet „Vorbild“, „Europas erste Region“, „Laboratorium und Zukunftswerkstatt“ und zeige, „wie stadtverträglicher Lkw-Verkehr geht“, so der Ruhr-Wirtschaftsförderer Rasmus Beck.
Jedenfalls hat selten ein gemeinsames Projekt im Ruhrgebiet derartige Unterstützung in den Städten gefunden, „das zeigt, wie das Problem drückt“, sagt RVR-Direktorin Karola Geiß-Netthöfel. Unter den 36 sind alle großen, alle zentralen; von den größeren fehlen nur Recklinghausen und Moers und ansonsten Teile der Kreise Recklinghausen, Wesel und Ennepe-Ruhr. Ansonsten decken die Lkw-Vorrangstrecken einen geschlossenen Raum ab zwischen Hamm und Duisburg.
Vierteljährlich will Nokia die Programme aktualisieren auf der Basis neuer Daten aus den Städten; die Firma hat vor allem Fahrzeug- und Navigationsgeräte-Hersteller als Kunden und „erreicht so auch die Lkw-Fahrer aus Holland oder Osteuropa, die ins Ruhrgebiet fahren“, so Bültmann. Eines freilich kann man nicht garantieren: dass bei Autobahnsperrungen der Verkehr weiter fließt. Es erwischte zuletzt die A 43, und der Ort, der absoff in Verkehr, war Herbede. Witten-Herbede.