Berlin. Die 8,50 Euro pro Stunde kommen - die Frage ist nur, für wen. Die Koalition ringt um Sonderregeln etwa für Rentner, Studenten und Taxifahrer. Nach Berechnungen des WSI-Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung blieben dann zwei der gut fünf Millionen Geringverdiener außen vor.

Bei der Rentenreform hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Vorgaben des Koalitionsvertrags recht detailgetreu in einen Gesetzentwurf gegossen. Beim nächsten Großprojekt, dem Mindestlohn, dürfte das schwerer fallen. Eine schwammige Formulierung öffnet die Hintertür für Ausnahmen – und in der stehen Unionspolitiker und Arbeitgeberverbände bereits Schlange.

Für Rentner, Studenten, Minijobber, Taxifahrer, Saisonarbeiter und viele mehr soll der Mindestlohn nicht gelten. Nach Berechnungen des WSI-Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung blieben dann zwei der gut fünf Millionen Geringverdiener außen vor. Ministerin Andrea Nahles betont, es werde ab 2017 keine Löhne mehr unter 8,50 Euro geben, doch die Sachlage ist schwieriger als sie scheint. Das zeigt der Blick ins Detail. Es gibt Ausnahmen, die schon rechtlich schwierig wären, aber es gibt auch Bereiche, wo ein vom Staat gesetzter Stundenlohn nur schwer mit der Praxis vereinbar wäre. Der Überblick:

CSU will Ausnahme für Rentner

CSU-Chef Horst Seehofer findet, Rentner, die sich nur etwas dazuverdienen, bräuchten keinen Mindestlohn. Auch für Schüler und Studentenjobs will die Union eine Ausnahme. Begründung: Viele einfache Nebenjobs gebe es nicht mehr, wenn sie mit 8,50 Euro die Stunde bezahlt werden müssten.

Gegenargument: Der Mindestlohn ist ja gerade für einfache, gering entlohnte Tätigkeiten gedacht. Unabhängig von der Gefahr, dass Mindestlöhne einfache Jobs vernichten könnten, bleibt die Frage unbeantwortet: Warum sollte ein Hilfsarbeiter in Vollzeit den Mindestlohn erhalten, ein Rentner oder Student, der die gleiche Arbeit verrichtet, aber nicht? Hinzu kommt die mögliche Altersdiskriminierung. Tarifverträge, die Jüngeren weniger Urlaub zugestehen, wurden zuletzt gekippt. Würden die Gerichte dem Staat erlauben, Ältere und Jüngere beim Lohn zu benachteiligen? Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages gibt zu bedenken, Ausnahmen beim Mindestlohn könnten gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen.

Im Einzelhandel und Gastgewerbe käme Mindestlohn kaum zum Tragen

Ausnahmen könnten den Mindestlohn in Branchen mit besonders vielen Geringverdienern unterwandern, etwa im Einzelhandel, Gastgewerbe und „unternehmensnahen Dienstleistungen“. Zu Letzteren gehören etwa die Regaleinräumer in Supermärkten, die in Werkverträgen zu 6,63 Euro Tariflohn arbeiten. Das machen schon heute vor allem Studenten, der Mindestlohn von 8,50 Euro käme also kaum zum Tragen. In anderen Branchen könnten Arbeitgeber versucht sein, reguläre Jobs künftig vermehrt durch vom Mindestlohn befreite Aushilfen zu ersetzen.

Praktisch schwer umzusetzen sein wird der Mindestlohn dort, wo nicht nach Stunden, sondern je Stück oder nach Umsatz bezahlt wird. Laut WSI arbeiten rund eine Million Geringverdiener zu Stücklöhnen, darunter Paketboten, Taxifahrer und Zeitungsboten. Die Branchen fordern daher Ausnahmen. Das Taxigewerbe etwa beteiligt seine Fahrer am Umsatz. Die kommen so im Schnitt auf rund 6,50 Euro die Stunde. Die meist kleinen Unternehmen müssten bei einem Stundenlohn auch die Standzeiten bezahlen und bemängeln, dass sie die Mehrkosten nicht auf die Kunden übertragen könnten. Denn über die Taxipreise entscheiden die Städte und Landkreise, nicht die Unternehmer.

Bei Zeitungsboten hängt der Lohn von Geschwindigkeit ab

Zeitungsboten haben den Auftrag, eine bestimmte Stückzahl auszuliefern, sie können nicht nach einer gewissen Stundenzahl aufhören. Man kann Stücklöhne in Stundenlöhne umrechnen. Weil die Stückzahlen aber gleich bleiben, hinge der Lohn immer noch von der Geschwindigkeit des Boten ab.

Arbeitgeberverbände und Union wollten auch Minijobs ausnehmen. Der Koalitionsvertrag macht aber nur für Ehrenamtliche in Minijobs eine Ausnahme. Gerade weil sich die Union hier nicht durchsetzen konnte, versucht sie es nun bei Rentnern, Studenten und Arbeitslosen. Faktisch geht es um die gleichen Jobs, denn ein Großteil der Minijobs wird von genau diesen Gruppen erledigt. Rechtlich wäre es fragwürdig, Minijobs vom Mindestlohn auszunehmen. Ein Minijobber hat Anspruch auf den gleichen Stundenlohn wie ein sozialversicherungspflichtig Beschäftigter in gleicher Tätigkeit. Das stellte der Europäische Gerichtshof 2009 klar, als er eine Caritas-Ausnahme für Minijobber kippte.

Gut begründen ließe sich eine Ausnahme für Langzeitarbeitslose. Die Bundesagentur für Arbeit geht von mindestens 500.000 Menschen aus, die auf dem regulären Arbeitsmarkt zu regulären Löhnen keine Chance haben. Als eine Lösung wird ein zweiter Arbeitsmarkt mit Lohnzuschüssen vorgeschlagen. Die Union ist für die Ausnahme, die SPD dagegen. Kommt sie nicht, wird es für den Staat aber teurer, denn je höher der Einstiegslohn, desto höher die Lohnzuschüsse.