Essen. Die Große Koalition sagt, sie wolle Altersarmut bekämpfen. Doch gerade Frauen, denen Minirenten drohen, haben nichts von den Plänen der neuen Regierung. Sie landen in der Mehrzahl nach wie vor in der Sozialhilfe – mit oder ohne Mütterrente. Eine Analyse.

Über die von der neuen Bundesregierung geplanten Rentengeschenke lässt sich leidenschaftlich streiten, vor allem darüber, wer sie bezahlen soll. An Kritik aus Wirtschaft und Wissenschaft mangelt es nicht, während Sozialverbände und Gewerkschaften viel Lob finden. Was aber, wenn diese teuren „Geschenke“ gar nicht bei jenen ankommen, die sie am nötigsten hätten?

Ausgangspunkt sowohl für SPD als auch Union war das Wahlversprechen, etwas gegen Altersarmut zu unternehmen. Und weil die in erster Linie Frauen droht, sollte besonders für sie etwas getan werden. Doch bei genauerer Betrachtung helfen die Koalitionspläne den von Armut bedrohten Frauen am wenigsten. Im Gegenteil: Von den Rentenreformen werden in erster Linie Männer profitieren. Das klingt paradox, da doch die Mütterrente mit 6,5 Milliarden Euro das teuerste Vorhaben der Koalition ist, ergibt sich aber aus der Einzelanalyse der Pläne:

Es gibt 28 Euro mehr, doch was hilft das?

Für vor 1992 geborene Kinder erhalten deren Mütter einen Rentenpunkt oder 28 Euro im Monat mehr. Das Geld kommt ohne Frage bei den Frauen an, aber hilft es auch gegen Altersarmut?

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Gerade Mütter, die in den 70er- und 80er-Jahren Kinder bekamen, haben ihren Beruf ganz oder für lange Zeit aufgegeben. Deshalb erhalten mehr als die Hälfte der heutigen Rentnerinnen weniger als 450 Euro Rente. Künftig sind es, etwa wenn sie zwei Kinder haben, also gut 500 Euro – über die Armutsgrenze hievt sie das längst nicht.

Bei Grundsicherung wird die Rente darauf angerechnet

Die meisten heutigen Rentnerinnen kommen dank ihres Partners oder weiterer Einkünfte trotzdem über die Runden. Sie können sich über die höhere Mütterrente freuen, die nicht nach Bedürftigkeit unterscheidet. Knapp 300 000 Frauen sind dagegen auf Grundsicherung im Alter angewiesen – doppelt so viele wie Männer. Ausgerechnet sie werden von der Erhöhung aber in der Regel gar nichts merken. Denn wie hoch ihre Mütterrente ist, spielt für sie praktisch keine Rolle, da sie wie alle Renteneinkünfte voll auf die Grundsicherung angerechnet wird.

Und was ist mit den Rentnerinnen von morgen? Der größte Anstieg der Altersarmut von Frauen wird erst in zehn, 15 Jahren erwartet. Wer dann in Rente geht, hat seine Kinder zum Großteil nach 1992 geboren. Diese Frauen haben nichts von der Reform, sondern bereits heute Anspruch auf drei Rentenpunkte – also 84 Euro pro Kind. Die sind aber bei der prognostizierten Altersarmut der heute berufstätigen Frauen längst eingerechnet. Für sie wird die Rente trotzdem nicht zum Leben reichen, weil sie häufig in Niedriglohnjobs und in Teilzeit arbeiten.

Auch die Lebensleistungsrente geht an vielen Frauen vorbei

Das Kernvorhaben der Koalition gegen Altersarmut heißt „Lebensleistungsrente“ und meint eine Mindestrente. Doch auch die werden ausgerechnet die Hauptbetroffenen – die Frauen – in aller Regel nicht erhalten. Sie kommen nämlich zum überwiegenden Teil nicht auf die geforderten 40 Beitragsjahre.

Diese Hürde ist den Großkoalitionären höher geraten als ursprünglich sowohl von Union (35 Jahre) als auch von SPD (30 Jahre) geplant und damit nur noch von sehr wenigen Frauen und etwas mehr Männern zu nehmen. Von ihren Kindererziehungszeiten werden nur drei Jahre angerechnet, wer seinem Beruf länger fernblieb, hat kaum eine Chance auf die Mindestrente. Viele heute berufstätigen Frauen werden deshalb im Alter von der Grundsicherung auf Sozialhilfeniveau leben müssen – weder Mütter- noch Mindestrente können das verhindern.

Der Chef der Rentenversicherung spricht von Ungerechtigkeit

Auch von der Rente mit 63 für langjährig Versicherte haben die wenigsten Frauen etwas. Hier werden sogar 45 Beitragsjahre gefordert. Der Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund, Herbert Rische, betont, das schafften Frauen wegen ihrer oft lückenhaften Erwerbsbiografie meist nicht. Er nennt deshalb die Rentenpläne der Koalition „ungerecht“. Die Rente ab 63 komme vor allem männlichen Versicherten zugute, die ohnehin über relativ hohe Rentenansprüche verfügten. Dieses Geld fehle dann bei der Bekämpfung von Altersarmut.

Unterm Strich profitieren von den geplanten Reformen demnach vor allem Männer mit auskömmlichen Renten und Mütter, die ebenfalls nicht von Armut bedroht sind.