Essen. . Erstmals seit dem Tod der Krupp-Legende Berthold Beitz äußert sich seine Nachfolgerin Ursula Gather ausführlich: Vor einem kleinen Kreis von Journalisten hat sie erläutert, welche Pläne sie für den Fall einer Kapitalerhöhung hat und wie sie die Lage von Thyssen-Krupp beurteilt.
Eines möchte Ursula Gather gleich zu Beginn des Gesprächs klarstellen. „Die Stiftung heißt Alfried-Krupp-von-Bohlen-und-Halbach-Stiftung, nicht Thyssen-Krupp-Stiftung, wie man gelegentlich liest.“ Ja, die Stiftung ist mit einem Anteil von gut 25 Prozent der wichtigste Aktionär des Essener Stahl- und Technologiekonzerns. Aber das Vermächtnis des letzten persönlichen Inhabers der Firma Krupp beschränkt sich nicht darauf, die Stiftung einer Firma zu sein. Das wird schnell klar an diesem Abend.
Drei Monate sind vergangen, seit der langjährige Stiftungschef Berthold Beitz kurz vor seinem 100. Geburtstag starb. Seit Anfang Oktober ist Ursula Gather (60) der Kopf der Stiftung. Als Nachfolgerin von Berthold Beitz an der Spitze des Stiftungskuratoriums hat die Rektorin der Technischen Universität Dortmund nun wesentlichen Einfluss auf die Entscheidungen einer Institution, die das Ruhrgebiet in den vergangenen Jahrzehnten geprägt hat.
Viel war in den vergangenen Wochen von der Krise des Traditionskonzerns Thyssen-Krupp zu lesen. Ursula Gather jedenfalls vermittelt nicht den Eindruck, als sei die Krupp-Stiftung ebenfalls angeschlagen. Im Gegenteil: Die Nachfolgerin von Beitz zeichnet das Bild einer starken, eigenständigen und selbstbewussten Stiftung. „Wir sind schuldenfrei“, sagt sie. Und: „Wir sind arbeits- und handlungsfähig.“
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Erstmals seit ihrem Amtsantritt äußert sich Ursula Gather ausführlich zu ihrer neuen Aufgabe. Einen kleinen Kreis von Journalisten hat sie in die Räume der Stiftung auf dem Gelände der Villa Hügel in Essen eingeladen.
„Nirgendwo waren je Zahlen in Stein gemeißelt“
Natürlich spielt bei dieser Gelegenheit auch die Konzernkrise eine Rolle. Seit geraumer Zeit wird spekuliert, Thyssen-Krupp werde sich auf dem Wege einer Kapitalerhöhung Luft verschaffen. Durch einen solchen Schritt könnte allerdings der Einfluss der Krupp-Stiftung als Ankeraktionärin schrumpfen. Auf die Frage, ob der Anteil von gut 25 Prozent, den die Stiftung an Thyssen-Krupp hält, in Stein gemeißelt sei, antwortet Ursula Gather: „Ich bin Mathematikerin. Nirgendwo waren je Zahlen in Stein gemeißelt. Der Anteil der Stiftung hat sich über die Jahre immer mal verändert.“
Was die Stiftung im Fall einer Kapitalerhöhung tun werde, entscheide sie zu gegebener Zeit. „Es kann sein, dass es wichtig ist, den Anteil zu halten“, betont Gather. „Es könnte sich ergeben, dass es konkurrierende Interessen unter den Aktionären gibt. Wenn dieser Fall eintritt, würden wir entsprechend handeln.“ Es sei auch denkbar, dass sich die Krupp-Stiftung für eine Kapitalerhöhung verschuldet. „Das könnten wir. Ein Bankkredit ist eine Möglichkeit.“ Geld könne sich die Stiftung auch auf dem Kapitalmarkt besorgen. „Ausgeschlossen ist das nicht“, sagt sie.
„Wenn der RAG-Stiftung das Wohl von Thyssen-Krupp am Herzen liegt, könnte sie ja Aktien kaufen“
Dass die Krupp-Stiftung auf ein öffentlich formuliertes Hilfsangebot der von Werner Müller geführten RAG-Stiftung eingehen wird, ist wohl äußert unwahrscheinlich. „Ich kenne ein solches Angebot nicht. Herr Müller hat mich nicht angerufen und wir haben auch nicht über das Thema gesprochen“, berichtet Gather. „Wenn der RAG-Stiftung das Wohl von Thyssen-Krupp am Herzen liegt, könnte sie ja Aktien kaufen.“ Ähnlich hatte sich auch Konzernchef Heinrich Hiesinger geäußert. „Die Unabhängigkeit der Krupp-Stiftung steht nicht zur Disposition“, betont Ursula Gather.
Mit Blick auf die Zukunft von Thyssen-Krupp sei entscheidend, dass die Stiftung ihre Stellung im Aufsichtsrat geltend mache. Die Hauptversammlung von Thyssen-Krupp hat im Jahr 2007 einen Beschluss gefasst, der es der Stiftung ermöglicht, drei Mitglieder direkt in den Aufsichtsrat zu entsenden. „Es wäre auch die Hauptversammlung, die etwas anderes beschließen müsste“, erklärt Gather. „Ob wir für alle Zeiten drei Aufsichtsratsmitglieder entsenden werden, lässt sich heute nicht sicher sagen. Es kann sein, dass sich die Mehrheitsverhältnisse verändern.“
„Die Eigenkapitalquote von acht Prozent ist sehr gering für das Unternehmen“
Zur Frage, wie es um das Unternehmen Thyssen-Krupp steht, sagt die Stiftungschefin: „An der Bewertung der Aktien kann man sehen, dass es ein neues Vertrauen ins Unternehmen gibt. Das habe ich auch.“ Sie räumt aber ein: „Die Eigenkapitalquote von acht Prozent ist sehr gering für das Unternehmen. Dies gilt es selbstverständlich zu verbessern. “ Konzernchef Hiesinger habe jedenfalls „ein beeindruckendes Veränderungsmanagement an den Tag gelegt“, urteilt Gather und verweist auch auf den Einstieg des Finanzinvestors Cevian, der momentan rund sechs Prozent der Aktien von Thyssen-Krupp hält. „Auch Cevian als Investor hat offensichtlich dieses Vertrauen. Das lässt sich auch am Aktienkurs ablesen.“ Im Übrigen habe sich Cevian „nach dem Einstieg bei anderen Unternehmen sehr konstruktiv verhalten“.
Ziel der Krupp-Stiftung sei, dass es eine Dividende gibt, mit der sie ihren Stiftungszweck erfüllen könne, sagt Gather. „Die Voraussetzung ist unternehmerischer Erfolg. Insofern haben wir ein hohes Interesse am Wohlergehen des Konzerns.“ Für magere Zeiten scheint die Stiftung Vorsorge getroffen zu haben. „Auch ohne eine Dividende könnten wir noch eine ganze Weile unsere Förderstrategie aufrechterhalten. Dafür hat sich die Stiftung gerüstet.“ Das Essener Krupp-Krankenhaus schreibe ohnehin schwarze Zahlen.
„All diese Stiefel muss ich nicht tragen“
Nach dem Ende der Ära Beitz gebe es nun „eine Art Neuanfang“, betont Ursula Gather. „Wir erleben ein Stück Normalität.“ Beitz war Vorsitzender des Kuratoriums und des Vorstands der Stiftung, außerdem Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats von Thyssen-Krupp. „All diese Stiefel muss ich nicht tragen“, sagt Gather.
Der letzte Krupp
Dass Mitglieder des Kuratoriums der Krupp-Stiftung nicht mehr im Aufsichtsrat des Konzerns sind, bezeichnet sie als „eine gute und notwendige Entflechtung“. Beitz hat auch die operativen Geschäfte der Stiftung verantwortet. „Das tue ich nicht“, sagt sie. Aber jeder Kuratoriumsvorsitzende ist der Kopf der Stiftung.“ Das Kuratorium verantworte im Übrigen auch die Anlagestrategie der Stiftung. Das heißt: „Im Fall einer Kapitalerhöhung entscheidet das Kuratorium.“
„Es gibt kein Machtvakuum“
Schon im Jahr 2000 habe das Kuratorium beschlossen, dass es „keine Lex Beitz“ nach seinem Ausscheiden geben werde. „Die Führung des Vorstands und des Kuratoriums sollten nicht mehr von einer Person erfolgen. Auch das ist ein Stück Normalisierung“, betont Ursula Gather. Jedes der drei Vorstandsmitglieder – Thomas Kempf, Ralf Nentwig und Volker Troche – habe eine klare Zuständigkeit. „Das funktioniert sehr gut. Es gibt kein Machtvakuum.“ Auf die Frage, ob es in Zukunft einen Vorsitzenden des Stiftungsvorstands geben könnte, antwortet sie: „Das ist reine Spekulation.“ Es steht auch nicht in der Satzung der Stiftung, dass es einen Vorsitzenden des Vorstands geben müsse.
Es müsse auch kein neues Programm für die Stiftung erfunden werden, sagt die Nachfolgerin von Berthold Beitz. „Es geht darum, die großartige Tradition aufrechtzuerhalten und fortzuentwickeln. Die Lebensbedingungen ändern sich. Auch die Stiftung wird sich den Herausforderungen dieser Zeit anpassen.“ Die Einheit des Unternehmens möglichst zu wahren, „dieser Auftrag musste auch in der Vergangenheit immer wieder neu buchstabiert werden“, gibt Gather zu bedenken.
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Gelegentlich wird kritisiert, die Krupp-Stiftung sei wenig transparent. „In unserer Satzung gibt es nichts Geheimes“, sagt die Kuratoriumschefin dazu. „Ich will nicht ausschließen, dass wir sie irgendwann einmal veröffentlichen.“ Ob die Stiftung in Zukunft ihren Haushalt veröffentlichen könnte? „Wir unterliegen dem Steuergeheimnis und sind eine privatrechtliche, keine öffentlich-rechtliche Stiftung.“
„Der Raum ist nicht sakrosankt“
Das Amt an der Spitze der Krupp-Stiftung sei für sie „eine große Ehre“, sagt Ursula Gather, wenn sie gefragt wird, was ihr die Aufgabe in der Nachfolge von Berthold Beitz persönlich bedeute. „Es geht um ein großes Erbe – und das ist auch eine große Aufgabe.“ Sie fügt hinzu: „Ein bisschen überrascht darüber, dass die Wahl auf mich fiel, war ich sicher auch.“ Dass nun eine Frau an der Spitze der Stiftung stehe, sei für sie kein großes Thema. „Diese Frage bewegt mich nicht. Ich finde das normal“, sagt Gather lediglich. Klar sei auch, dass Beitz wollte, dass weiter in seinem Büro gearbeitet wird. „Der Raum ist nicht sakrosankt.“
Sie habe Berthold Beitz noch kurz vor seinem Tod gesehen, bei der Kuratoriumssitzung im Juni. „Er hatte sich sehr auf seinen 100. Geburtstag gefreut. Aber dass er nicht mehr allzu viel Zeit haben würde, war ihm sicher bewusst. Er hat sich anders verabschiedet als üblich“, erzählt Ursula Gather. An diesem Tag habe Beitz sie anders als sonst umarmt.
Ob sie sich bei wichtigen Entscheidungen künftig die Frage stelle, wie Beitz entschieden hätte? „Es liegt sehr nahe, sich diese Frage zu stellen“, antwortet Ursula Gather. „Allerdings hat auch Herr Beitz gelegentlich Entscheidungen getroffen, die Alfried Krupp so nie hätte treffen können.“