Essen. . Bei dieser Trauerfeier ging es um einen „Jahrhundertmann“, aber auch um sein Werk. Die Reden zum Tode Berthold Beitz’ drehten sich auch um die Frage, ob sich die Unternehmenskultur nun ändert. Aufwühlend und persönlich aber waren die Worte des von Beitz vor den Nazis geretteten Jurek Rotenberg.

Die Reden zum Gedenken an Berthold Beitz, die Musik von Daniel Barenboim – es war bewegend. Doch feuchte Augen gab es gestern bei der Trauerfeier auf Villa Hügel erst, als ganz zum Schluss Jurek Rotenberg das Wort ergriff.

Unter den polnischen Juden, die Berthold Beitz im Zweiten Weltkrieg als Ölmanager in Ostgalizien vor der SS schützen konnte, war Rotenberg der Jüngste. „Ich war 14, als ich Herrn Direktor das erste Mal begegnet bin“, berichtete Ro­tenberg in rührend altmodischem Deutsch. „Er stattete mich mit den notwendigen Papieren aus und rettete mein Leben.“ Beitz hatte den heute 84-Jährigen in seinem Zwangsarbeiter-Ausweis vier Jahre älter gemacht, konnte ihn dank dieses Tricks als kriegswichtigen Facharbeiter ausgeben und vor der Deportation bewahren.

Von den Gefühlen übermannt

Das mutige Handeln des kaum 30-jährigen Beitz war in jeder der Trauerreden präsent, aber es ist etwas anderes, ob man das Wissen darüber aus Büchern bezieht oder aus eigenem Erleben schildern kann. Deshalb war Rotenbergs Auftritt ein so emotionaler Moment für viele der 400 Trauergäste mit dem Bundespräsidenten an der Spitze. Joachim Gauck war es, der Rotenberg geistesgegenwärtig zurück an seinen Platz geleitete, als dieser nach seiner Rede übermannt von Gefühlen etwas verloren vor der Trauergemeinde stand.

Die Trauergäste, in der Mitte First Lady Daniela Schadt, Bundespräsident Joachim Gauck, Bundestagspräsident Norbert Lammert und ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger.
Die Trauergäste, in der Mitte First Lady Daniela Schadt, Bundespräsident Joachim Gauck, Bundestagspräsident Norbert Lammert und ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger. © dpa

Der Bundespräsident hatte zuvor Beitz’ Leben gewürdigt, angedeutet durchaus auch mit den Schattenseiten. Gauck rühmte die „gefestigte Identität“, die Tatsache, dass Beitz „stets er selbst bleiben konnte, fast ein ganzes Jahrhundert lang“. Beitz habe dabei viele Gesichter gehabt: als Patriarch und Diplomat, Wohltäter und Unternehmer, auch Härte sei ihm nicht fremd gewesen. „Ich wünsche, dass wir ihn als jemanden in Erinnerung behalten, der für die Freiheit und das Glück, das aus ihr erwächst, auch Risiken einging.“ Noch ein Appell war Gauck wichtig: Beitz’ Erbe – soziale Verantwortung, Gemeinsinn und Großzügigkeit – möge fortgesetzt werden „von denen, die jetzt an verantwortlicher Stelle bei Thyssen-Krupp Mut zu Veränderungen brauchen“.

Was wird aus dem Unternehmen?

Die Sorge um Thyssen-Krupp, „seinem Unternehmen“, wie Vorstandschef Heinrich Hiesinger sagte, schwang in jeder Rede mit. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft erinnerte an den „Brückenbauer“ Berthold Beitz, an seinen Willen zum Ausgleich von Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Interessen, an das Vertrauen, das er genoss, eben weil er als verlässlich galt. „Nach seinem Tod wird im Konzern und in der Stiftung vieles nicht mehr so sein wie es war“, fürchtet Kraft und fand ein schönes Bild: Bekannt sei ja, dass Beitz sich bei schwierigen Entscheidungen fragte, was wohl Alfried Krupp an seiner Stelle getan hätte. „Diesen Satz müssen wir jetzt erneuern“, so Kraft. „Jeder seiner Nachfolger sollte sich heute fragen: Was hätte Berthold Beitz dazu gesagt?“

Hiesinger ließ in einer fast programmatischen Rede wissen, wie er Beitz’ Vermächtnis zu erfüllen gedenke. „Auch in der Wirtschaft muss es um die Menschen gehen und darum, dass man keine Geschäfte um jeden Preis machen darf.“ Aber: Beitz’ wichtigste Erwartung an ihn sei gewesen, die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zu sichern, „um den Auftrag von Alfried Krupp zu erfüllen, das Erbe zu bewahren“. Und für noch etwas, so Hiesinger, habe er das Mandat von Beitz: „Schon in unserem ersten Gespräch hat er mir gesagt: ,Sie werden Dinge verändern, anpacken müssen, ich werde Ihnen dafür Rückendeckung geben’. Und er hat Wort gehalten.“ Wer Thyssen-Krupp in eine gute Zukunft führen will, „der kann und darf den Status Quo nicht verteidigen“.

Trauerfeier für Berthold Beitz

Mit einer Trauerfeier haben rund 400 geladene Gäste am Donnerstag an Berthold Beitz erinnert.
Mit einer Trauerfeier haben rund 400 geladene Gäste am Donnerstag an Berthold Beitz erinnert. © dpa
Neben Bundespräsident Joachim Gauck (2.v.li.) und seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt (li.)...
Neben Bundespräsident Joachim Gauck (2.v.li.) und seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt (li.)... © dpa
... sind dazu auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU, Mitte), der Vorstandsvoritzende von Thyssen-Krupp, Heinrich Hiesinger, und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) in die Villa Hügel gekommen.
... sind dazu auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU, Mitte), der Vorstandsvoritzende von Thyssen-Krupp, Heinrich Hiesinger, und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) in die Villa Hügel gekommen. © dpa
In seiner Rede würdigte Gauck Beitz als
In seiner Rede würdigte Gauck Beitz als "Jahrhundertmann". Auch heute sei Beitz noch ein Vorbild. © AFP
NRW-Ministerpräsidentin Kraft (SPD) sagte:
NRW-Ministerpräsidentin Kraft (SPD) sagte: "Berthold Beitz hat Geschichte geschrieben und er ist Teil der Geschichte unseres Landes." Auf Wunsch von Beitz' Familie... © AFP
... sprach bei der Gedenkfeier auch Jurek Rotenberg. Ihm Beitz hatte Beitz im Zweiten Weltkrieg vor der Deportation durch die Nationalsozialisten gerettet. Noch im Frühjahr 2013...
... sprach bei der Gedenkfeier auch Jurek Rotenberg. Ihm Beitz hatte Beitz im Zweiten Weltkrieg vor der Deportation durch die Nationalsozialisten gerettet. Noch im Frühjahr 2013... © dpa
... hatten sich Beitz und Rotenberg wiedergetroffen. Diese Begegnung sei für ihn sehr berührend gewesen, sagte der 85-Jährige.
... hatten sich Beitz und Rotenberg wiedergetroffen. Diese Begegnung sei für ihn sehr berührend gewesen, sagte der 85-Jährige. © dpa
Thyssen-Krupp-Vorstandschef Heinrich Hiesinger bezeichnete Beitz als
Thyssen-Krupp-Vorstandschef Heinrich Hiesinger bezeichnete Beitz als "außergewöhnlichen Menschen". "Die Legende, der Mythos war höchst lebendig. Er wusste, was wichtig ist. Er kannte die Verantwortung und er nahm sie wahr", sagte Hiesinger. © dpa
Neben Gauck...
Neben Gauck... © dpa
... trug sich auch Altbundespräsident Richard von Weizsäcker ins Kondolenzbuch ein.
... trug sich auch Altbundespräsident Richard von Weizsäcker ins Kondolenzbuch ein. © dpa
Das Kondolenzbuch für den verstorbenen Berthold Beitz.
Das Kondolenzbuch für den verstorbenen Berthold Beitz. © dpa
Bundespräsident trifft Altbundespräsident: Joachim Gauck und Richard von Weizsäcker.
Bundespräsident trifft Altbundespräsident: Joachim Gauck und Richard von Weizsäcker. © dpa
Ursula Gather folgt auf Beitz als Kuratoriumsvorsitzende der Krupp-Stiftung. Ebenfalls auf der Trauerfeier anwesend: Thyssen-Krupp-Aufsichtsratsvorsitzender Ulrich Lehner (Mitte) und -Vorstandschef Heinrich Hiesinger.
Ursula Gather folgt auf Beitz als Kuratoriumsvorsitzende der Krupp-Stiftung. Ebenfalls auf der Trauerfeier anwesend: Thyssen-Krupp-Aufsichtsratsvorsitzender Ulrich Lehner (Mitte) und -Vorstandschef Heinrich Hiesinger. © dpa
Der Vorstandsvorsitzende von ThyssenKrupp, Heinrich Hiesinger (l) und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD).
Der Vorstandsvorsitzende von ThyssenKrupp, Heinrich Hiesinger (l) und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). © dpa
Der Vorstandsvorsitzende von ThyssenKrupp, Heinrich Hiesinger (l), und der stellvertretende Vorsitzende der Krupp-Stiftung, Reimar Lüst, vor der Villa Hügel.
Der Vorstandsvorsitzende von ThyssenKrupp, Heinrich Hiesinger (l), und der stellvertretende Vorsitzende der Krupp-Stiftung, Reimar Lüst, vor der Villa Hügel. © dpa
Philipp Rösler und Heinrich Hiesinger.
Philipp Rösler und Heinrich Hiesinger. © dpa
Gäste bei der Trauerfeier für Berthold Beitz.
Gäste bei der Trauerfeier für Berthold Beitz. © dpa
1/17

So wurde in den Trauerreden für Berthold Beitz auch ein wenig der Kampf um die Deutungshoheit über sein Erbe ausgetragen. Gönnen wir das letzte Wort Jurek Ro­tenberg, der seit Ende des Krieges im israelischen Haifa lebt. Im April 2013, nach 70 Jahren, sah er Beitz in der Alten Synagoge in Essen wieder – ein anrührendes, herzliches Treffen. Zum Abschied, berichtete Rotenberg „erhob der Herr Direktor seine Faust, so als wollte er sagen, wir haben es geschafft, und so machen wir weiter“. Wer will, mag auch hier einen Auftrag erkennen.