Essen. . Im Osten verdient jeder Vierte weniger als 8,50 Euro. Im Westen sind viele Branchen der Politik zuvorgekommen. Vor allem Werkverträge wären betroffen, wenn ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde eingeführt wird.
Dass Deutschland mit einer Großen Koalition auch einen Mindestlohn bekommt, scheint mit Blick auf die laufenden schwarz-roten Koalitionsverhandlungen in Berlin, ausgemacht. Die Frage ist nur, ob er flächendeckend gelten und wie hoch er sein wird. Die Warnung vieler Ökonomen vor der Vernichtung einfacher Jobs gilt vor allem für Ostdeutschland, wo jeder Vierte weniger als 8,50 Euro die Stunde verdient. Wo aber würde ein Mindestlohn in der von der SPD geforderten Höhe im Westen greifen? Welche Branchen und Beschäftigten wären betroffen bzw. würden profitieren? Ein Überblick:
Von den bundesweit gut fünf Millionen Beschäftigten mit Stundenlöhnen unter 8,50 Euro arbeiten die meisten in klassischen Niedriglohn-Branchen wie dem Friseurhandwerk, dem Gastgewerbe, der Fleischindustrie, dem Einzelhandel oder als Zeitarbeiter in diversen Branchen. Häufig gelten aber regional sehr unterschiedliche Löhne, und gerade in diesem Jahr sind einige Tarifabschlüsse dem Gesetzgeber zuvorgekommen.
Neid der Vollzeitkräfte gegenüber Aushilfen
So verdienen etwa Spülhilfen im Gastgewerbe in den meisten Bundesländern weniger als 8,50 Euro. In NRW allerdings gilt seit September genau dieser Stundenlohn als Untergrenze für alle Beschäftigten im Gastgewerbe. „Wir haben uns an der diskutierten Zahl orientiert, wollten aber keinen Mindestlohn von der Politik vorgesetzt bekommen“, heißt es beim Branchenverband Dehoga NRW.
Eine Ausnahme gibt es aber: Laut Tarifvertrag erhalten Berufsunkundige während der Anlernphase in den ersten drei Monaten nur 7,49 Euro, sie würden also vom Mindestlohn profitieren. Jobverluste durch die Untergrenze hat der Dehoga nicht festgestellt, wohl aber etwas Neid der Vollzeitkräfte gegenüber Aushilfen, weil die ihre 8,50 Euro in der Regel netto behalten.
Immer in der Diskussion sind auch die Friseure. Aber nicht mehr lange: Für sie gilt seit diesem Jahr ein Mindestlohn von 7,50 Euro im Westen und 6,50 Euro im Osten. Ab 2015 sind bundesweit 8,50 Euro vorgesehen, der Mindestlohn würde sie dann nicht mehr erreichen. Danach sieht es derzeit auch in der in die Kritik geratenen Fleischindustrie aus, die zurzeit über einen eigenen Mindestlohn von nicht ganz zufällig ebenfalls 8,50 Euro verhandelt.
Handel fordert niedrigere Einstiegstarife für einfache Tätigkeiten
In der Zeitarbeit orientiert sich der jüngste Tarifabschluss ebenfalls an der politischen Marke: Ab Januar 2014 gibt es in der untersten Gruppe 8,50 Euro im Westen und 7,80 Euro im Osten. Wie in so vielen Branchen käme ein gesetzlicher Mindestlohn allein in den neuen Bundesländern zum Tragen.
Im Einzelhandel liegen die untersten Tarife in den meisten Ländern über 8,50 Euro, Ausnahmen im Westen sind laut Handelsverband HDE Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Allerdings wäre der Handel indirekt betroffen durch die Arbeiten, die er durch Werkverträge erledigen lässt. Regaleinräumer im Supermarkt etwa erhalten laut „christlichem“ Tarifvertrag derzeit 6,63 Euro im Westen und 6,12 Euro im Osten. Obwohl die Betreiber der Fremdfirma etwa das Doppelte zahlen, ist dies für sie günstiger, als eigene Beschäftigte nach dem Einzelhandelstarif zu bezahlen. Der liege laut HDE ab 20 Uhr bei 22 Euro. Der Handel fordert deshalb in den laufenden Tarifverhandlungen niedrigere Einstiegstarife für einfache Tätigkeiten.
Die Werkvertrags-Tarife wären bei einem gesetzlichen Mindestlohn „null und nichtig“, sagt HDE-Geschäftsführer Heribert Jöris. Die um etwa zwei Euro pro Stunde höheren Kosten wären für die Händler immer noch günstiger als der Handelstarif. Dort, wo Händler das Einräumen mit eigenem Personal organisieren könnten, dürften durch einen Mindestlohn auch Werkvertrags-Jobs wegfallen.
Auch die Paketzusteller könnte dies treffen. Einige Unternehmen operieren über Werkverträge mit Subunternehmern. Die zahlen häufig nach Stückzahlen statt zu Stundenlöhnen. Oder die Stundenlöhne sind an bestimmte Mengen zugestellter Pakete geknüpft.
Dass sie Stücklohn zahlen und Stundenlöhne schwer zu berechnen seien, machen auch die Verlage für ihre Zeitungszusteller geltend und fordern deshalb Ausnahmeregelungen beim Mindestlohn. Der Branchenverband BDZV warnt, die morgendliche Zustellung sei gerade in ländlichen Gebieten gefährdet, wenn die Verlage „Stundenlohn statt Stücklohn und Wegegeld“ berechnen müssten.