Berlin. Die freie Wahl der Krankenversicherung steht im Wahlprogramm der FDP. Als Gesundheitsminister Bahr dieses Ziel nun öffentlich wiederholt, hagelt es Kritik und Entrüstung. Die Privatkassen finden die Idee gut.
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) will allen Bürgern Wahlfreiheit zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung geben. "Ich möchte, dass alle Menschen selbst entscheiden können, wie und wo sie sich versichern wollen. Das ist meine Vision. Notwendig ist, dass jeder die Grundleistung versichert hat", sagte Bahr bei einem Besuch der "Rhein-Zeitung" (Dienstag). Der Vorstoß stößt auf breite Ablehnung - selbst beim Koalitionspartner CDU/CSU. Der Vorwurf: Das FDP-Konzept höhle das Solidarsystem aus.
Mit der im FDP-Wahlprogramm propagierten Öffnung der Privatkassen für jeden würde die Versicherungspflichtgrenze entfallen. Derzeit dürfen nur Bürger mit einem Bruttoeinkommen von 4350 Euro im Monat oder 52.200 Euro im Jahr den gesetzlichen Kassen den Rücken kehren und sich in der PKV krankenversichern.
70 Millionen gesetzlich krankenversicherte
In der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind etwa 70 Millionen Bundesbürger gegen Krankheit versichert, Kinder und nichterwerbstätige Ehepartner sogar beitragsfrei. In der PKV muss für jedes Familienmitglied extra bezahlt werden.
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SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles warf Bahr vor, er mache sich zum "obersten Cheflobbyisten der Privaten Krankenversicherung" und locke so viele in eine Altersarmutsfalle. "In ihrem Überlebenskampf ködern viele PKV mit Billig-Tarifen, doch dann steigen die Preise und am Ende können sich die Versicherten die hohen Beiträge nicht mehr leisten."
"Ohne vernünftiges soziales Netz durchs Leben gehen"
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Martina Bunge, sagte: "In Wahrheit erhalten die meisten Bürger lediglich die Freiheit, ohne vernünftiges soziales Netz durchs Leben zu gehen und im Krankheitsfalle eine Minimalversorgung zu erhalten."
Für die Spitzenkandidatin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, will Bahr das Gesundheitssystem "radikal entsolidarisieren und dem Solidarsystem so den Todesstoß versetzen". Dies verfestige "weiter die Zwei-Klassen-Medizin, wie es die FDP seit langem verfolgt".
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Der Gesundheitsexperte der Unionsfraktion, Jens Spahn (CDU), sieht den Versuch, die Privatkassen für die Grundversorgung "der Logik des gesetzlichen Systems anzugleichen. Das wäre die GKVisierung der PKV." Sein CSU-Kollege Johannes Singhammer sagte der dpa: "Ich halte vom Bahr-Konzept nichts, weil es das Gleichgewicht von GKV und PKV in eine schwere Unordnung bringen würde". Dies schwäche "das Solidarsystem der Gesetzlichen Krankenversicherung".
Überlegungen zielen auf mehr Wettbewerb und Transparenz
Ein Ministeriumssprecher wies darauf hin, die Überlegungen seien als Langfrist-Perspektive für das Gesundheitssystem zu verstehen. Sie zielten auf mehr Wettbewerb und mehr Transparenz. So sollen nach Bahrs Vorstellungen alle Versicherten eine Rechnung von ihrem Arzt bekommen. Bislang ist dies nur in der privaten Krankenversicherung so. Gesetzlich Versicherte haben aber das Recht, sich eine Rechnung ausstellen zu lassen. Das nutzen aber nur ganz wenige.
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Für den PKV-Verband gehen Bahrs Überlegungen grundsätzlich in die richtige Richtung. "Mehr Wahlfreiheit für die Versicherten und mehr Transparenz bei den Gesundheitskosten sind wichtige Ziele", sagte Verbandssprecher Stefan Reker. Angesichts der Komplexität des Gesundheitssystems seien aber "noch viele Detailfragen zu klären". Der Ärzteverband Hartmannbund begrüßte Bahrs Vorstoß ebenfalls.
Die gesetzlichen Kassen gingen auf deutliche Distanz: "Ein Hilfsprogramm für die private Krankenversicherung auf Kosten von Millionen von Beitragszahlern lehnen wir ab", stelle die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, klar. Ähnliche Kritik kam vom Deutschen Gewerkschaftsbund, von Sozialverbänden und Patientenschützern. (dpa)