Essen. Thyssen-Krupp macht seit Jahrzehnten seinen eigenen Strom. Nun ist auch der Handelskonzern Metro in die Energieerzeugung eingestiegen. Immer mehr Unternehmen bauen eigene Kraftwerke, um ihre Energiekosten zu senken. Doch was sie an Ökostrom-Umlage sparen, zahlen die Verbraucher drauf.
Der Industriegigant Thyssen-Krupp produziert den Strom für seine Duisburger Stahlwerke schon ewig selbst, Konzerne wie Bayer und BASF tun es auch, unlängst nahm mit der Metro auch Deutschlands größter Handelskonzern seine eigenen Blockheizkraftwerke in Betrieb. Dem Trend der Großen zur Selbstversorgung folgen nun auch immer mehr mittelständische Unternehmen. Sie wollen unabhängiger werden von den viel beklagten Energiepreisen.
„Jeder, der kann, versucht dem System zu entkommen und baut eigene Kraftwerke“, sagt Manuel Frondel, Energieexperte des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen. Die Unternehmen könnten so enorme Summen sparen, „weil für den selbstproduzierten Strom weder Stromsteuer noch EEG-Umlage oder Netzumlage gezahlt werden muss“. Das Problem: Je mehr den Absprung schaffen, desto mehr müssen die Bürger und die verbliebenen kleinen und mittelgroßen Unternehmen zahlen.
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"Wer kann, flieht aus dem System"
Den dominierenden Energieriesen und Stadtwerken steht mittlerweile ein Schwarm aus Zehntausenden Privathaushalten und Firmen gegenüber, die selbst Strom erzeugen. Und der Schwarm wächst weiter. Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young erzeugt bereits fast jedes zweite Unternehmen (47 Prozent) aus energienahen Branchen selbst Strom. Ein weiteres Viertel plant zudem, in den nächsten Jahren den Einstieg in die Selbstversorgung.
Gefragt wurden in der „Stadtwerkestudie 3.0“ Unternehmen aus der Energiewirtschaft im sehr weit gefassten Sinne. Vier von fünf befragten Unternehmen kommen aus verwandten Branchen wie IT, Telekommunikation, Geräteherstellung oder energieintensiven Branchen wie etwa der Chemieindustrie. „Das Potenzial dezentraler Energieerzeugung ist noch lange nicht erreicht“, heißt es in der Studie, in Deutschland werde Energie künftig verstärkt dort erzeugt, wo sie gebraucht wird. Das bedeute eine neue, starke Konkurrenz für die traditionellen Versorger, glaubt Ernst & Young.
Dezentrale Blockheizkraftwerke
Und das Beispiel Metro zeigt, dass die Konkurrenz längst nicht mehr allein aus energienahen Wirtschaftszweigen erwächst. Seit 2009 gingen laut Energiefachverband der deutschen Industrie dezentrale Blockheizkraftwerke mit mindestens 1300 Megawatt Leistung in Betrieb. Das ist bezogen auf den Gesamtverbrauch der Industrie wenig, aber mehr als etwa Eon mit seinem Mega-Steinkohlekraftwerk Datteln 4 und seinen 1100 Megawatt seit Jahren versucht, ans Netz zu bringen. Die zuletzt gebauten Selbstversorger-Kraftwerke machen rein rechnerisch immerhin ein Großkraftwerk überflüssig.
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Doch die Vorteile für die Selbsterzeuger bleiben nicht ohne Folgen für den großen Rest der Stromverbraucher in Deutschland. Denn ein Motiv gerade für Unternehmen, die nicht als energieintensiv gelten, ist das Umgehen der Ökostromumlage. Nur wird die Summe, die Erzeuger von Ökostrom aus dieser Umlage erhalten, dadurch ja nicht kleiner. Was die Industrie spart, zahlt der einfache Verbraucher drauf. RWI-Experte Frondel fordert daher den Staat auf, einzugreifen: „Die Politik kann nicht mehr lange zusehen, sonst steigen die Belastungen für die übrigen Verbraucher noch mehr.“
Je mehr Teilnehmer, desto schwieriger die Steuerung
Hinzu kommt, dass die zunehmend dezentrale Stromerzeugung die ohnehin gewaltig steigenden Anforderungen an die Stromnetze weiter verkomplizieren. Je mehr kleine Teilnehmer es gibt, die von ihrer selbst erzeugten Energie mal mehr, mal weniger und mal gar keinen Strom ins allgemeine Netz einspeisen, desto schwieriger wird dessen Steuerung. „Kein Einzelunternehmen kann hierfür eine überzeugende Struktur bieten – das können nur umfassende Kooperationen“, sagt Helmut Edelmann, Energieexperte bei Ernst & Young. Vom dafür nötigen „Internet der Energie“, in dem alle Erzeuger ihre Daten austauschen, sei man noch weit entfernt.