Berlin. . Schusssichere Westen, Motorabdeckungen und Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen – die Bundesregierung will solche Entwicklungen künftig stärker fördern und hat eine entsprechende Bioökonomie-Strategie beschlossen. Umweltschützer mahnen allerdings die Verwertbarkeit der neuen Rohstoffe an.

Bio liegt nicht mehr nur bei Lebensmitteln im Trend. Auch die Industrie entdeckt nach und nach Rohstoffe aus der Natur für sich und entwickelt daraus neue Produkte. „Derzeit wird sogar eine schusssichere Weste auf Biobasis entwickelt“, sagt Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner. Die Ministerin sieht gewaltige wirtschaftliche Möglichkeiten durch die mit der Verwendung natürlicher Stoffe verbundenen Technologien.

Deshalb hat die Bundesregierung am Mittwoch eine Strategie beschlossen, die zur Stärkung der Bioökonomie beitragen soll. „Wir müssen vom Öl wegkommen und lernen, stärker zu nutzen, was die Natur uns bietet“, erläutert Aigner. Naturschützer warnen allerdings davor, konventionelle Produkte nur auf nachwachsende Rohstoffe umzustellen. Ziel müsse es sein, neue Wirtschaftskreisläufe zu schaffen, die ein Recycling der neuen Biostoffe auch gewährleisten.

Natur hilft bei Diebstahlsicherung

Die schon bestehende Produktpalette lässt für die weitere Entwicklung einiges erahnen. Aus der bunt blühenden Lupine haben Freiburger Forscher ein Eiweiß gewonnen, das nun für die Herstellung eines Speiseeises verwendet wird. Der Handelsriese Edeka vermarktet das Eis. Es enthält weder Laktose noch Gluten, eignet sich daher für Allergiker. Zudem senkt es den Cholesterinspiegel. Und es hilft Veganern, die auf jedwede tierische Nahrung verzichten, die für eine ausgewogene Ernährung notwendigen Proteine aufzunehmen.

Die Natur hilft auch bei der Diebstahlsicherung. Die Deutsche Bahn kennzeichnet Schienen oder Kupferkabel mit künstlich erzeugten Molekülen mit unverwechselbaren Erbinformationen. Geklautes Material kann auf diese Weise identifiziert werden. Und Autobauer Mercedes Benz verbaut in seiner A-Klasse mittlerweile Motorabdeckungen aus nachwachsenden Rohstoffen.

„Die Bioenergie ist ein Wachstumsmarkt"

Unter Bioökonomie verstehen die Fachleute die Erzeugung und Nutzung aller nachwachsenden Ressourcen, also Pflanzen, Tiere, Mikroorganismen und deren Produkte. Aus der Strategie der Bundesregierung, die dieser Zeitung vorliegt, geht eine erhebliche volkswirtschaftliche Bedeutung der Branche hervor. Jeder achte Arbeitsplatz in Deutschland hängt demnach mit der Verwendung der Naturgaben zusammen. Die jährliche Wertschöpfung beziffert das Landwirtschaftsministerium auf rund 165 Milliarden Euro. Den größten Anteil stellt allerdings noch die Ernährungswirtschaft, vom Bauern bis zum Handel. Nur vier Prozent der Umsätze werden mit anderen Produkten erlöst.

„Die Bioenergie ist ein Wachstumsmarkt, auf dem sich Deutschland jetzt schon im Spitzenfeld bewegt“, berichtet Aigner dem Bundeskabinett, das 17 strategische Ansätze zur weiteren Förderung beschließen will. Interessante Märkte sollen so erschlossen, die Entwicklung innovativer Produkte unterstützt, neue Wertschöpfungsketten aufgebaut und internationale Nachhaltigkeitsstandards eingeführt werden.

Lebensmittel sollen Vorrang haben

Ein zentrales Problem bei der Nutzung der natürlichen Ressourcen soll dabei gelöst werden. Denn die Produktion von Nahrungsmitteln und die von Pflanzen für eine anderweitige Verwendung konkurrieren in wachsendem Maße miteinander um die begrenzten Anbauflächen. „Die Ernährung und die Produktion von Lebensmitteln muss immer Vorrang haben“, lautet eine Leitlinie der Strategie.

Ein Satz, den auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) unterstreicht. Allerdings müsse die Bundesregierung dafür Sorge tragen, dass Kunststoffe auf Erdölbasis nicht einfach nur durch Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen ersetzt werden. „Ziel muss es sein, weniger Rohstoffe als bislang einzusetzen“, sagt Rolf Buschmann vom BUND. Denn eine Umstellung auf nachwachsende Rohstoffe bedeute auch immer Umweltzerstörung, weil dadurch zwangsläufig weitere Anbauflächen benötigt würden.

Darüber hinaus müsse gewährleistet sein, dass diese neuen Stoffe auch recycelt werden könnten, so Chemiker Buschmann. „Auch ein Biokunststoff ist nur dann sinnvoll, wenn er wiederverwertbar ist und als solcher erkennbar ist.“ Deshalb plädiert der BUND für eine Kennzeichnungspflicht der Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen. So sei wenigstens gewährleistet, sagt Buschmann, dass die Bioplastiktüte nicht in der gelben Tonne oder sogar in der Müllverbrennungsanlage lande.