Essen. Bernhard Lorentz, Vorsitzender der Geschäftsführung der Stiftung Mercator, und Claus Leggewie, Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts, halten die Energiewende im Ruhrgebiet für notwendig. Laut einer Forsa-Umfrage sehen die Bewohner des Ruhrgebiets die Energiewende skeptisch.
Am Montag berichteten wir über eine Forsa-Umfrage, die der Initiativkreis Ruhr in Auftrag gegeben hatte. Demnach zweifelt die Bevölkerung im Ruhrgebiet am Gelingen der Energiewende. Bernhard Lorentz, Vorsitzender der Geschäftsführung der Stiftung Mercator, und Claus Leggewie, Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts (KWI) in Essen, beziehen in einem Gastbeitrag Gegenposition, die wir im Sinne einer offenen Debatte hier veröffentlichen.
Die Menschen im Ruhrgebiet glauben nicht an die Energiewende. Kann eine Nachricht deutlicher sein? Nein. Aber ist sie dann auch richtig? Nein. Die Menschen im Ruhrgebiet werden hier zu etwas gemacht, was sie nicht sind: Skeptiker, Bedenkenträger, den alten Zeiten nachtrauernd.
Gerade das Ruhrgebiet hat oft genug gezeigt, dass es sich neu erfinden und nach vorne blicken kann. Die Schlussfolgerungen, die von WAZ und Initiativkreis Ruhr aus der Studie „Was erwarten die Menschen von der Energiewende im Ruhrgebiet?“ gezogen werden, sind überinterpretiert. Hier wird Politik gegen die Energiewende im Ruhrgebiet auf Kosten der Bürger gemacht und das können und wollen wir nicht so stehen lassen.
Chancen der Energiewende werden gesehen
Die Befragten wurden nämlich gar nicht nach der Akzeptanz der Erneuerbaren Energien gefragt, sondern danach, was sie von Öl, Gas, Braunkohle und Fracking halten. Da ist es kein Wunder, dass auch Braunkohle als wichtiger Energieträger genannt wurde. Aber daraus zu machen: „Im Kohlenpott steht man auf die heimische Braunkohle“? So wird man den Bürgern im Ruhrgebiet nicht gerecht. Mehr als 70 Prozent der Befragten messen der Energiewirtschaft im Ruhrgebiet eine wichtige Bedeutung zu. Ebenso viele glauben, dass die Anzahl der Arbeitsplätze durch die Energiewende gleich bleibt bzw. ansteigt.
Die Chance, die die Energiewende birgt, wird in der Region also gesehen. Ein Ergebnis der Studie sollte uns allerdings wirklich alarmieren: Der Anstieg der Energiepreise ist das von den Bürgern am stärksten wahrgenommene Energie-Thema. Der Strompreis sei zu hoch. Hier ist Politik gefragt, Lösungen zu schaffen – Scheinlösungen wie die jüngst diskutierte „Strompreisbremse“ bringen uns nicht weiter. Aber auch die Medien müssen sich fragen lassen, welche Rolle sie spielen. Denn anstatt von den Chancen der Energiewende zu berichten, von den Arbeitsplätzen, die geschaffen werden, dominiert seit Monaten deutschlandweit das Strompreis-Thema.
Jahrelang unterlassene Investitionen
Hier wird gerne das alte Klischee von den ach so teuren Erneuerbaren Energien bedient, die daran schuld seien. Warum wird nicht erklärt, dass die Erneuerbaren den Strom billiger machen, das aber beim Verbraucher nicht ankommt? Dass jahrelang unterlassene Investitionen in Stromnetze und Ausnahmeregelungen für alle möglichen Unternehmen ihren Beitrag zum steigenden Strompreis leisten? Auch in Frankreich und England wird Strom übrigens teurer – ohne Energiewende! Nur negative Nachrichten sind halt gute Nachrichten? Es ist Zeit für eine neue Debatte – eine ehrliche. Wer darauf setzt, dass das Ruhrgebiet mit seinen altindustriellen Schwerpunkten bleiben kann, wie es ist, verbaut die Perspektiven, die die Region nur dann hat, wenn sie auf neue Energietechnologien und saubere Industrie- und Dienstleistungsbetriebe setzt.
Menschen im Ruhrgebiet glauben nicht an die Energiewende. Kann eine Nachricht deutlicher sein? Nein. Aber ist sie dann auch richtig? Nein.