Essen. . Die Gewerkschaften mussten sich vor der Hauptversammlung von Thyssen-Krupp einiges anhören. Knut Giesler, NRW-Chef der IG Metall spricht im Interview mit dieser Zeitung über Luxusreisen, mangelnde Distanz zur Arbeitgeberseite, Bertin Eichler, Moral und Mitbestimmung.
Luxusreisen, mangelnde Distanz zur Arbeitgeberseite – die Gewerkschaften mussten sich einiges anhören vor der Hauptversammlung von Thyssen-Krupp, dessen Aufsichtsrats-Vizechef Bertin Eichler über Erste-Klasse-Flüge gestürzt ist. Stefan Schulte sprach mit Knut Giesler, IG-Metall-Chef in NRW, über Moral und Mitbestimmung.
Herr Giesler, braucht es Erster-Klasse-Gewerkschafter in den Aufsichtsräten?
Knut Giesler: Wir brauchen erstklassige Gewerkschafter, um mit der Kapitalseite auf Augenhöhe reden zu können.
Man muss dafür auch den gleichen Luxus genießen?
Giesler: Nein. Keiner unserer Leute, der in einen Aufsichtsrat geht, tut das aus finanziellen Gründen. 90 Prozent der Tantiemen werden an die Hans-Böckler-Stiftung abgeführt, das muss jeder Aufsichtsrat unterschreiben. Wer das nicht tut, wird auf einer Schamliste veröffentlicht. Ich kenne keine andere Gewerkschaft mit so strengen Regeln.
Wenn kein Geld direkt fließt, wird das Drumherum umso wichtiger: Luxusreisen, Dienstwagen . . .
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Giesler: Also, ich hatte zum Beispiel als Betriebsrat bei FAG/Schaeffler in Wuppertal auch einen Dienstwagen, um durch die halbe Republik zu fahren. Das hat mich in meinen Entscheidungen nicht beeinflusst. Soll ich, weil ich Arbeitnehmervertreter bin, mit einer Ente 400 Kilometer am Tag fahren? Und zu den Geschäftsreisen: Die organisiert das Unternehmen, nicht wir. Nicht bei jeder Reise weiß ich vorher, welche Klasse gebucht wird. Soll man dann am Flughafen sagen, nein danke, ich fliege Holzklasse?
Ja, zum Beispiel.
Giesler: Wir müssen immer selbstkritisch sein, auch in der Nachbetrachtung. Deshalb hat Bertin Eichler ja die Konsequenz gezogen. Ich sage Ihnen aber: Bertin Eichler an fünf Reisen zu messen, wird ihm nicht gerecht. Die Unterstellung, dass er deshalb willfährige Entscheidungen getroffen habe, ist idiotisch. Diese Meinung höre ich übrigens auch von den Beschäftigten bei Thyssen-Krupp.
Von der wohl keiner jemals Erster Klasse fliegen wird . . .
Giesler: Nein, aber sie wissen genau, dass wir im Aufsichtsrat um ihre Arbeitsplätze und bei Tarifverhandlungen für ihre Löhne kämpfen. Dafür muss eine gewisse Nähe zur Arbeitgeberseite da sein, sonst erreichen Sie nichts. Es ist einfacher, mit roten Fahnen auf die Straße zu gehen, aber allein so löst man noch keine Probleme. Die Mitbestimmung bei Thyssen-Krupp funktioniert sehr ordentlich. Die Bilanz der Arbeitnehmervertreter bei der Sicherung von Arbeitsplätzen ist deutlich besser als die Bilanz des Konzerns.
Aber konstruktive Nähe kann auch in Distanzlosigkeit umschlagen.
Giesler: Richtig, aber dafür haben wir unsere Basis als Korrektiv. Sie stimmt über Tarifverträge ab, sie wählt auch die Betriebsräte, die vielleicht später in den Aufsichtsrat gehen.
Manche steigen sogar als Personalchef in den Vorstand auf, was auch finanziell ein Riesen-Schritt ist. Wie kritisch kann ein Betriebsrat sein, der einen solchen Aufstieg in Aussicht hat?
Giesler: Für das Amt des Arbeitsdirektors bei Thyssen-Krupp hat die Arbeitnehmerseite das Vorschlagsrecht und sie kann auch einen Querkopf berufen. Das wichtigste Kriterium ist politische Integrität. Unsere ehrenamtlichen Funktionsträger haben ein sehr feines Gespür dafür.
Ob jemand im Amt integer bleibt, ist aber eine sehr menschliche Frage. Manche sind empfänglicher für Luxus, andere weniger.
Giesler: Ich glaube, wir haben gute Regeln, aber es ist richtig, uns neu zu hinterfragen und neu zu justieren. Jetzt geht es darum, saubere Regeln etwa für Reisen zu setzen, aber die müssen dann auch für alle gelten. Ich halte nichts davon, dass die Arbeitgebervertreter oben sitzen und die Arbeitnehmer unten.
Mal ehrlich: Auf Geschäftsreisen präsentiert Ihnen der Vorstand sein Projekt von der besten Seite, lädt schick zum Essen ein und nachher geht’s auf den Zuckerhut wie in Brasilien. Dient das wirklich einer besseren Kontrolle dieses Vorstands?
Giesler: Dienstliche Reisen sind wichtig, um sich vor Ort ein eigenes Bild zu machen, worüber man abstimmt. Man muss nicht stur da lang laufen, wo man hingeführt wird. Wir suchen vor Ort das Gespräch auch mit den dortigen Arbeitern und Gewerkschaftern, um zu fragen, wo es hakt. An Zahlen kann einem der Vorstand alles Mögliche vorlegen, aber vor Ort sieht man einfach mehr.
Hat etwa in Brasilien ja nicht so gut geklappt.
Giesler: Wir haben sehr früh davor gewarnt, die Kokerei von Chinesen bauen zu lassen. Der Vorstand hat erklärt, das müsse aus Kostengründen so sein. Was im Nachhinein schlicht falsch war. Grundsätzlich war es damals aber allgemeine Meinung, der Konzern müsse weltweit präsent sein. Heute sind wir alle klüger und es ist gut, dass nun Konsequenzen gezogen werden, dass Hiesinger konsequent alles aufdecken will.
Heute steht Aufsichtsratschef Cromme auf der Hauptversammlung unter Druck. Wollte man in Wirklichkeit ihn mit der Kritik an der Arbeitnehmerseite treffen, weil er ihr nahe steht?
Giesler: Das Gefühl ist schon, dass das mit der Kritik an der Führung von Cromme zusammenhängt. Dass so das hervorragende System der Mitbestimmung bei Thyssen-Krupp in Misskredit gebracht werden soll, ärgert mich wahnsinnig.