Berlin. . Die Auslagerung von Arbeitsplätzen der Textilwirtschaft in Billiglohnländer hat zwei Folgen: Viele Menschen dort müssen unter unwürdigen Bedingungen arbeiten; die Industrialisierung dort schafft ihnen aber überhaupt erst ein Auskommen. Unternehmen halten sich aber vielfach nicht an die eigenen Standards.

Die Globalisierung ist brutal. Am Samstag starben über 100 Näherinnen beim Brand einer Textilfabrik in Bangladesch, die unter anderem für das deutsche Unternehmen C&A arbeitet. Auch der Textildiscounter Kik hat bei dem betroffenen Hersteller Teile seiner Kollektion fertigen lassen, wie der Konzern am Montag bestätigte.

Produktion in Billiglohnländern – das ist die eine Seite des weltweiten Prozesses. Die andere sollte man aber nicht vergessen: In den Fabriken Chinas und Indiens, in Bangladesch, Indonesien und weiteren Ländern finden Millionen Menschen erstmals eine Lohnarbeit und haben damit die Möglichkeit, ihre soziale Lage zu verbessern.

Das mag zynisch klingen. Doch während des Zeitalters der Globalisierung seit Beginn der 1980er-Jahre sank weltweit die absolute Zahl der Armen ebenso wie ihr Anteil an der Weltbevölkerung. In vielen Entwicklungsländern wurden Fabriken gebaut. Dort verdienen Millionen Menschen erstmals einen Lohn, mit dem sich mindestens einige ein besseres Leben finanzieren. Industrialisierung bedeutet beides – Fortschritt, aber auch neues Elend.

Hunderte teilen sich eine Toilette

Die beklagenswerte Seite der Globalisierung sieht so aus: Die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Textil-, Schuh- und Handyfabriken erhalten oft Löhne, die für sie und ihre Familien nicht zum Leben reichen. Sie arbeiten deshalb bis zu 70 Stunden pro Woche. Hunderte teilen sich eine Toilette, Dutzende den überfüllten Schlafsaal im Wohnheim. In den Fabriken fehlen Notausgänge, Feuerlöscher und Belüftungsanlagen. Nicht selten werden besonders die Arbeiterinnen von ihren Vorgesetzten erniedrigt.

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Warum ist so etwas möglich? Schließlich gibt es die weltweiten Mindeststandards der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD), der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und der Vereinten Nationen, die allzu miese Arbeitsbedingungen verhindern sollen. Und auch Unternehmen wie C&A, Otto, P&C, H&M und Kik haben sich eigene Sozialstandards verordnet. Häufig besteht jedoch ein Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Manche Firmen setzen nicht um, was auf dem Papier steht.

Standards gibt es meist, werden aber oft nicht eingehalten

Beispiel Kontrollen: In der Textil- und Elektronikbranche ist es mittlerweile üblich, dass die Handelskonzerne Europas und Nordamerikas regelmäßig überprüfen lassen, ob ihre Zulieferfirmen in den Entwicklungs- und Schwellenländern die Sozial- und Ökostandards einhalten.

Mitunter aber kündigen die Kontrolleure ihre Besuche vorher an. Oder sie drücken ein Auge zu, wenn die Notausgänge verstellt sind und ein neues Fabrikgebäude zu wenige Fluchtwege aufweist. Oft erstrecken sich die Visiten auch nur auf die größten Zulieferer.

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Zudem widersprechen sich die Ziele hiesiger Handelskonzerne. Einerseits möchten die Firmen Sozialstandards einhalten, andererseits aber auch viel Geld verdienen. So reservieren sie sich selbst zweistellige Gewinne. Von ihren Auftragnehmern verlangen sie, schnell und ex­trem günstig zu liefern. Wegen des Kostendrucks fällt es den Fabrikbesitzern in den Entwicklungsländern schwer, die Verhaltensregeln einzuhalten. Und natürlich wollen auch die Zulieferer noch eine eigene Rendite erwirtschaften.

Dieser kombinierte Druck geht zu Lasten der Arbeiter und Arbeiterinnen. Gisela Burckhardt von der Kampagne für Saubere Kleidung schätzt, dass die Beschäftigten in den Textilfabriken von Bangladesch 0,5 bis ein Prozent dessen als anteiligen Arbeitslohn erhalten, was ein T-Shirt für Verbraucher in deutschen Geschäften kostet. Von 20 Euro wären das zehn bis 20 Cent.