Essen. . Klaus Engel, Chef des Chemiekonzerns Evonik und Vize-Präsident des Bundes der Deutschen Industrie, glaubt nicht, dass die Einhaltung der Schuldenbremse und die Rettung des Euro zeitgleich möglich sind. Laut Engel seien mehr finanzielle Zugeständnisse nötig. Großbanken sollten in kleinere Einheiten zerlegt werden.

Es kommt nicht allzu oft vor, dass sich Manager aus dem Oberhaus der deutschen Wirtschaft zur politischen Lage äußern. Noch weniger oft kommt vor, dass dabei die Abteilung Diplomatie erst gar nicht gefragt wurde. Klaus Engel, Vize-Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und im Hauptberuf Evonik-Chef, ist in dieser Disziplin Wiederholungstäter. Hat er doch vor zwei Jahren der Öko-Bewegung den Ritterschlag erteilt, indem er ihr einen wesentlichen Anteil bei Fortschritten in Sachen Effizienz und Nachhaltigkeit der chemischen Industrie zuschrieb. Gestern legte Engel vor dem Politischen Forum Ruhr nach.

Banken zerschlagen

Zum Beispiel mit Blick auf die Rolle der Banken in der Euro-Krise. „Es kann nicht sein, dass ein grundlegender Wirtschaftssektor spekulative Gewinne privatisiert, aber gigantische Spekulationsverluste auf Kosten der Gesellschaft sozialisiert“, sagte Engel mit Blick auf die Groß-Banken und deren Investmentgeschäfte. Es könne auch nicht sein, dass der Staat Banken aus „ihrer selbstverschuldeten Existenzkrise“ rettet. Engel: „Die extreme Bereicherung von wenigen, während viele ihre Spargroschen fürs Alter schwinden sehen, legt die Lunte an den sozialen Frieden.“ Sodann hören 1600 Gäste vom Wirtschaftsführer, was sich auch SPD-Parteichef Gabriel auf die Fahnen geschrieben hat: „Die Politik muss Großbanken in kleinere Teile zerlegen, in Einzelteile, deren mögliches Scheitern gefahrlos für die Volkswirtschaft wäre.“

Schuldenbremse lösen

Und die Euro-Krise selbst? Der Bestand der Währungsunion sei die Grundlage des Geschäftsmodells Deutschland, sie zu ruinieren, wäre unverantwortlich. „Wir werden bereit sein müssen, mehr finanzielle Zugeständnisse zu machen als bislang gedacht“, sagte Engel. Bisher habe keine rote Linie Bestand gehabt. Das Ende der Fahnenstange sei noch nicht erreicht, die Politik lasse die Menschen im Unklaren. „Um es klar zu sagen: Die Schuldenbremse punktgenau einhalten und den Euro retten – beides gleichzeitig wird kaum funktionieren.“ Die EU solle über eine Verdoppelung des Investitionsprogramms auf 240 Milliarden Euro nachdenken. Die Skepsis mit Blick auf die Einhaltung der Schuldenbremse – auch das hat man von einem Wirtschaftsmann selten gehört.

Umverteilung, ja bitte

Wie auch Engels Thesen zur Umverteilung. Staatliche Umverteilung, einstmals der Schrecken liberaler Wirtschaftsleute, schwäche eine Volkswirtschaft nicht, sondern könne sie stärken. Im Gegenteil schwäche zunehmende Ungleichheit die Wirtschaftskraft eines Landes. „Wenn eine Gesellschaft nicht den vielen helfen kann, die sozial bedürftig sind, dann kann sie vielleicht bald auch nicht mehr die wenigen schützen, die wohlhabend sind.“ Man könnte auf den Gedanken kommen, einen Sozialpolitiker vor sich zu haben und nicht einen Vorstandschef, dessen Unternehmen eine Umsatzrendite von 19 Prozent einfährt. Wäre da nicht so manch böser Seitenhieb auf Wachstumsverächter, die sich links der Mitte breit machen: Das Suchen und Nutzen von Chancen, das „Streben nach Mehrwert in jeder nur denkbaren Definition“ gehöre nun mal zu zukunftsgewandten Menschen. Deshalb ärgere er sich über die „Selbstwahrnehmung der Hauptstadt Berlin in den Augen ihrer elitären, selbstverliebten linken Bionade-Schickeria als arm, aber sexy“. Nicht wachsen zu wollen, sei in Naturzyklen die Vorstufe zum Absterben.

Kämpfen ist sexy

Kämpfen und Gestalten, das sei ­sexy. Das Ruhrgebiet, so der gebürtige Duisburger, habe Erfahrung mit knappen Kassen. „Ja, unser Revier muss sich neuerdings wieder als Armenhaus der Republik an den Pranger stellen lassen.“ Obschon Städte wie Duisburg eine halbe Milliarde Euro Kredite für den Solidarpakt Ost haben aufnehmen müssen. Der Widerstand der Ruhrgebiets-Oberbürgermeister dagegen sei verständlich. „Der Unterschied der Menschen von der Ruhr zu den Armutsverherrlichern aus Berlin: Wir begehren auf, wir suchen nach Zukunftschancen und Gestaltungsspielräumen, und wir finden die momentanen finanziellen Zwänge so gar nicht sexy!“

Soziale und politische Teilhabe, Lehren aus der Krise, Zuwanderung und Integration, Ausbau industrieller Kerne – Engel nennt es neue Chancenkultur, die Deutschland brauche. Und Optimismus. „Von der Wiederentdeckung der verloren geglaubten Zukunft“ war der Vortrag überschrieben.