Essen. . Obwohl es immer weniger Schüler gibt, läuft das Geschäft mit Bezahl-Stunden blendend. Turbo-Abi und ehrgeizige Eltern bescheren tausenden Instituten Nachschub. Gymnasiasten sind die Hauptkunden aller großen Anbieter. 1,2 Milliarden Euro geben Eltern jährlich für Nachhilfeunterricht aus.
Wenn der Sohn frustriert aus der Schule kommt, weil die Mathematik-Arbeit schlecht gelaufen ist, wenn unter dem Französisch-Vokabeltest der Tochter eine „Fünf“ prangt, dann ist Ärger oft programmiert. Die wenigsten Eltern pauken gemeinsam mit ihren Kindern – sondern setzen auf Nachhilfe.
Die Zeiten, in denen Opa dem Enkel am Kaffeetisch anhand einer Torte die Bruchrechnung erklärte, sind längst vorbei. Das Geschäft mit professioneller Nachhilfe kennt keine Konjunkturkrisen.
Eltern geben 1,2 Milliarden pro Jahr für Nachhhilfe aus
Unzählige Anbieter locken mit dem Versprechen, Schüler innerhalb weniger Wochen wieder auf die richtige Bahn zu bringen. Allein der Bundesverband Nachhilfe und Nachmittagsschulen vertritt Institute mit 2400 Standorten, insgesamt sind es doppelt so viele. Auch private Nachhilfelehrer, oft Studenten oder pensionierte Lehrer, gibt es zahllose. Eltern fällt es nicht selten schwer, den richtigen Lehrer für ihren Sprössling zu finden.
Dafür nehmen sie viel Geld in die Hand: 1,2 Milliarden Euro geben Eltern deutschlandweit jährlich für Nachhilfe aus, hat das Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) errechnet. Mit 1,1 Millionen Schülern nimmt laut einer Bertelsmann-Studie aus 2010 jeder achte regelmäßig Lernunterstützung. Jeder vierte bekommt im Laufe seiner Schulzeit mindestens einmal Nachhilfe.
Schwemme an Anbietern
FiBS-Direktor Dieter Dohmen spricht von einer „gleichbleibenden“ Nachfrage. Dies allerdings bei sinkenden Schülerzahlen – 2011 wurden 200 000 Kinder oder rund zehn Prozent weniger an NRW-Schulen unterrichtet als 2004. Damit muss der Anteil der Schüler, die Nachhilfe nehmen, gestiegen sein, doch neue Studien gibt es nicht.
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Dohmen sieht einen Grund für die konstant hohe Nachfrage in der steigenden Zahl von Gymnasiasten. Immer weniger Eltern melden ihr Kind an einer Hauptschule an, viele wollen Sohn oder Tochter um jeden Preis aufs Gymnasium schicken – auch wenn sie dafür bis zum Abitur Nachhilfe teils in mehreren Fächern nehmen müssen. Gymnasiasten sind die Hauptkunden aller großen Institute. Dagegen kommen nur vier von 100 Nachhilfeschülern von der Hauptschule.
„Symptom für ein schlechtes Bildungssystem“
Viele Anbieter arbeiten nach dem Franchise-Prinzip. Die kleinen Ableger zahlen eine Lizenzgebühr, können dafür aber unabhängig arbeiten und sind nicht verpflichtet, Zahlen vorzulegen. Die „Schülerhilfe“ etwa wirbt mit dem Slogan „Das Original. Seit 1974“ und betreibt deutschlandweit etwa 300 eigene Institute und leiht 360 Franchise-Partnern ihren Namen. Allein im Ruhrgebiet hat die Schülerhilfe 36 Dependancen, weitere Institute wie „Studienkreis Nachhilfe“ oder „Abacus“ sind ebenfalls in jeder größeren Stadt vertreten.
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Eine Nachhilfestunde kostet – vom Privatunterricht bis zum professionellem Lerntraining, von der Leseübung bis zur Abiturvorbereitung, zwischen 5,80 Euro und 45 Euro, wie Andrea Heiliger vom Bundesverband Nachhilfe und Nachmittagsschulen sagt. Sie glaubt, dass der „gefühlte Druck“ auf die Schüler gewachsen sei. Eltern seien oft überfordert. Ab der Mittelstufe kommen viele mit dem Stoff ihrer Kinder nicht mehr mit.
"Symptom für ein schlechtes Bildungssystem"
Ein Grund, warum Bernd Ruhrländer von „Abacus“ sich über mangelnde Schülerzahlen nicht beklagen kann. In seinem Institut – ebenfalls ein Franchise-Betrieb – gibt es nur Einzelunterricht. Sein Dozentenpool reicht von Studenten über Lehrer bis hin zu Hochschulprofessoren. Spätestens jetzt, gut drei Wochen nach den Ferien, bekommen viele Eltern und Schüler Panik, dass die Leistungen im neuen Schuljahr in den Keller gehen. Jeden Tag erhält Ruhrländer Neuanmeldungen.
Dass der Markt mit tausenden Anbietern überschwemmt ist, darin sieht Ruhrländer ein „Symptom für ein schlechtes Bildungssystem, verschärft durch bildungspolitische Maßnahmen wie G8, das den Druck auf Schüler noch wesentlich erhöht“.
Unterm Strich wollen Eltern und Kinder vor allem eins: Erfolgserlebnisse. „Die Noten verbessern sich, aber nicht unbedingt die Leistung“, mahnt Dieter Dohmen vom FiBS. Entscheidend sei die Förderung der Lernkompetenz – und das könne Nachhilfe offenbar nicht leisten.