Berlin. Eine Emnid-Umfrage hat gezeigt: In zwei von drei Familien in Deutschland büffeln die Eltern nachmittags gemeinsam mit den Kindern den Schulstoff. Mütter und Väter beklagen den hohen Leistungsdruck und üben Kritik am Schulsystem. Fast 80 Prozent der Befragten würden etwa das „Turbo-Abi“ wieder abschaffen.
Kaum hat die Schule begonnen, ist der Stress wieder da. Eltern und Kinder pauken Vokabeln, schreiben Referate, üben für die nächste Mathearbeit. Eltern als Hilfslehrer? Viele Mütter und Väter beklagen, dass die Schule ihnen zu viele Aufgaben auflastet. In einer Emnid-Umfrage unter rund 3000 Müttern und Vätern zeigt sich: In zwei von drei Familien wird nachmittags gemeinsam Schulstoff gebüffelt.
Es beginnt mit den Hausaufgaben: Fast 70 Prozent der Eltern kontrollieren die Ergebnisse. Steht ein Test oder eine Klassenarbeit an, beginnen drei von vier Eltern mit ihren Kindern zu üben. Auch bei Referaten verlassen sich Mütter und Väter nicht auf das, was die Schule beibringt: 77 Prozent helfen bei der Recherche. Generell sagen 63 Prozent der Mütter und Väter, dass sie den Lernstoff gemeinsam mit den Kindern erarbeiten. In Bayern bieten die Volkshochschulen Kurse für Eltern an, die ihren Kindern in Latein helfen wollen.
Hysterie oder Notwendigkeit? Die Antwort fällt auch Bildungsforschern nicht leicht. „Viele Eltern sehen keinen anderen Ausweg“, sagt Dagmar Killus, Erziehungswissenschaftlerin von der Universität Hamburg. Killus hat die neue Umfrage im Auftrag des Versandhauses „Jako-o“ ausgewertet. „Der Bildungsdruck ist sehr groß. Aber wir wissen auch, dass es nicht gut ist, wenn sich die Eltern intensiv einbringen. Im Gegenteil.“ Zu viel Einmischung schadet dem Kind.
„Turbo-Abi“ überzeugt nicht
Es ist eine Frage des richtigen Maßes: Einige Aufgaben, wie das Vokabeln-Lernen oder das Einmaleins-Training, „kann man eigentlich nur zu Hause erledigen“, wendet der Bielefelder Bildungsforscher Klaus-Jürgen Tillmann ein. Wer hierbei hilft, liegt nicht falsch. Vollkommen daneben sei es allerdings, wenn sich Lehrer darauf verließen, „dass Eltern den Stoff, der im Unterricht zu kurz gekommen ist, zu Hause zu Ende beibringen“.
Der Leistungsdruck ist groß – und die Kritik der Eltern am System Schule immens. Das „Turbo-Abi“ hat kaum jemanden überzeugt: Fast 80 Prozent würden die Reform rückgängig machen und ihr Kind lieber neun statt acht Jahre lang zum Gymnasium schicken. „Das ist selten: Wir haben hier eine schulpolitische Entscheidung, die nahezu von allen betroffenen Eltern abgelehnt wird“, so Tillmann. Der Bundeselternrat dagegen will keine Reform der Reform, sondern fordert: „Kein Zurück zu G9, aber ein deutlich besseres G8.“ Mit Ganztagsunterricht, entrümpelten Lehrplänen und modernen Methoden: „Schluss mit dem Frontalunterricht, bei dem bloß Lehrpläne ins Kind gestopft werden“, so die Vizevorsitzende Ursula Walther.
Bei Ganztagsschulen geht der Ausbau nicht schnell genug
Bei der Ganztagsschule dagegen geht den befragten Eltern die Reform nicht schnell genug. Die Nachfrage wächst, der Ausbau hinkt hinterher. Allein in NRW geht laut Tillmann die Hälfte der Eltern, die einen Ganztagsplatz brauchen, leer aus. Die Mehrheit wünscht sich überdies eine generelle Verlängerung der Grundschulzeit auf sechs Jahre.
Insgesamt bewerten die befragten Eltern die Arbeit von Lehrern und Schule etwas freundlicher als vor zwei Jahren. Vor allem Grundschullehrer bekommen Lob. Weil sie gut erklären, Neugier wecken, Schwächen erkennen, Stärken fördern. Deutlich schlechter schneiden die Gymnasiallehrer ab. Nur jeder zweite „tut alles, damit auch die Schwächeren mitkommen“.