Athen. . Deutschland diskutiert die Euro-Krise in Zahlen. In Griechenland sind viele Menschen ganz direkt betroffen. Immer mehr verlieren erst ihre Arbeit und dann ihre Wohnung, denn eine Grundsicherung wie bei uns gibt es nicht.
„Dimitris“ nennt sich der Mann, aber das ist nicht sein wahrer Name. Den will er nicht nennen. „Ich schäme mich“, sagt er mit gesenktem Blick, „meine Freunde von früher sollen nicht wissen, dass ich hier gelandet bin“. Seit zwei Wochen schläft Dimitris in einem Obdachlosenasyl an der Athener Patission-Straße. Er ist einer von rund 20 000 Griechen und Griechinnen, die wegen der Krise das Dach über dem Kopf verloren haben.
„Ich hätte nie gedacht, dass es einmal so weit kommt“, sagt Dimitris. Bis zum November 2010 arbeitete er bei einem großen Logistikunternehmen, sortierte Sendungen, stellte Frachtpapiere aus. 850 Euro brutto verdiente Dimitris, nicht viel, aber es reichte zum Leben und für die Miete der 320 Euro teuren Zweizimmerwohnung. Dann kam die Kündigung. „Wir müssen reduzieren, die Krise, Sie verstehen schon . . .“, sagte der Personalchef und gab ihm einen Scheck über 2200 Euro, die gesetzlich vorgeschriebene Abfindung. Zwölf Monate bekam Dimitris Arbeitslosenhilfe, dann endeten die Zahlungen. Im April war auch die Abfindung aufgebraucht. Dimitris musste seine Wohnung räumen. Einige Wochen lang schlief er bei Freunden – „bis ich wieder einen Job habe“, wie er ihnen sagte.
Aber die Aussichten sind gleich Null. Jeden Tag verlieren in Griechenland mehr als 900 Menschen ihre Arbeit, 340 000 Jobs gingen in den vergangenen zwölf Monaten verloren. Auf acht Entlassungen kommt nur eine Neueinstellung. In den ersten Monaten hat Dimitris noch gesucht, hat die wenigen Stellenangebote in den Zeitungen studiert, hat im Internetcafé vor dem Bildschirm gesessen und die Job-Portale angeklickt. Nie ist es auch nur zu einem Vorstellungsgespräch gekommen.
Oft ersetzt die Großfamilie das soziale Netz
Inzwischen hat Dimitris die Hoffnung auf einen neuen Job längst begraben. Seine Tage verbringt er in der Stadt, läuft ziellos durch die Straßen. Wenn es dunkel wird, findet er sich bei seiner Schlafstelle in der Patission-Straße ein. Drei schmale Metallpritschen stehen in dem winzigen Raum. Bad und Toiletten teilt sich Dimitris mit den rund 50 weiteren Bewohnern der Unterkunft. „Ich bin 39 – und schon am Ende“, sagt er verbittert.
Die Krise lässt immer mehr Griechen in die Armut abstürzen. Wer seinen Job verliert, hat kaum noch eine Chance, wieder aufzusteigen. Das Arbeitslosengeld wurde im März von 460 auf 360 Euro im Monat gesenkt und wird höchstens ein Jahr lang gezahlt. Dann ist Schluss. Weil es in Griechenland keine Sozialhilfe und keine Grundsicherung wie Hartz IV gibt, ist es oft von der Arbeitslosigkeit nur ein kleiner Schritt zur Obdachlosigkeit.
Noch ersetzt in vielen Fällen die Großfamilie das soziale Netz: Man hilft einander, so gut es geht. Erwachsene Kinder, die längst auf eigenen Füßen standen, ziehen wieder zu ihren Eltern, weil sie sich keine eigene Wohnung mehr leisten können. Manche, die ihren Job verloren haben, leben von der Rente der Eltern. Aber auch das wird immer schwieriger, weil die Pensionen seit Beginn der Krise bereits mehrfach gekürzt wurden.
Depressionen und Selbstmorde
Manche treibt die Krise in die Verzweiflung. Die Zahl der Selbstmorde ist 2011 gegenüber dem Vorjahr um ein Viertel angestiegen. Ende Juni stürzte sich in Athen ein Angestellter der Krisenbank ATE vor den Augen zahlloser Touristen von der Akropolis hundert Meter tief in den Tod. Seinen Kollegen in der Bank hatte er gesagt, er gehe nur einmal kurz vor die Tür. Kollegen berichteten, der 42-jährige habe wegen der Krise unter Depressionen gelitten. Wenige Tage später sprang in der Plaka, der Athener Altstadt, ein Mann von einer Dachterrasse. Der Notarzt konnte nur noch seinen Tod feststellen.
Wieder einige Tage später ereignete sich ein Drama im Athener Stadtteil Galatsi: Ein Gerichtsvollzieher klingelt an der Tür eines 65-jährigen Rentners, der wegen der Krise seit Monaten keine Miete mehr bezahlen konnte, und übergibt ihm den Räumungsbefehl. Es kommt zu einem heftigen Wortwechsel, der Mieter will die Wohnung, in der er seit vielen Jahren wohnt, nicht verlassen. „Wo soll ich denn hin?“, habe er den Gerichtsvollzieher verzweifelt gefragt, berichten Zeugen. Dann geht der 65-Jährige auf seinen Balkon und stürzt sich in den Tod.