Berlin. . Walter Kardinal Kasperfordert klare Regeln für eine globale Wirtschaft. Die Geldgier müsse ein Ende haben, so der 79-Jährige. Auch die Politik bekommt Kritik ab.
Angesichts der schnellen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft gehen einst als sicher geglaubte Orientierungspunkte wie Gerechtigkeit und Vertrauen anscheinend verloren. Ohne diese Werte funktioniert die Weltgemeinschaft aber nicht, sagt Walter Kardinal Kasper. Der 79-jährige frühere Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen fordert ein Ende der Gier nach schnellem Geld und Grenzen für die Freiheit der Finanzmärkte.
Was eint den katholischen Priester mit dem sozialdemokratischen Oppositionsführer in der Frage nach gutem und bösem Handeln in der Gesellschaft und der Wirtschaft? Sie haben immerhin gemeinsam an einem Buch zu diesem Thema mitgeschrieben.
Kasper: Alle Parteien sind den Grundwerten in unserer Verfassung verpflichtet. Diese Grundwerte sind von christlichen Werten mitbestimmt. Es gibt also grundsätzliche Gemeinsamkeiten.
„Dann entsteht eine Blase, und die Folgen müssen alle tragen“
Versagen nicht gerade die Parteien, ebenso wie die Eliten in Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft? Sie predigen Gemeinwohl, folgen aber anscheinend nur noch entweder ihren materiellen Interessen oder dem Machtstreben?
Kasper: Nach meiner Überzeugung taktieren Parteien meist zu kurzfristig. Die großen Linien und die verbindenden Werte wie Freiheit und Gerechtigkeit kommen beim Streit der Parteien oft nicht herüber. Ich schließe selbstverständlich nicht aus, dass die maßgeblichen Leute in den Parteien diesen Wertekodex haben, aber sie vermitteln ihn zu wenig. Wir leben heute in einer pluralistischen Gesellschaft mit sehr unterschiedlichen Orientierungen. Aber eine Gesellschaft kann auf Dauer nicht leben, ohne dass etwas Verbindendes da ist. Es ist eine Aufgabe der Politik, dieses herauszustellen und gerade der jungen Generation zu vermitteln. Hierbei leisten auch die Medien teilweise zu wenig, wenn sie einseitig auf Events und Schlagzeilen setzen.
Leben die Eliten nicht laufend unerwünschte Eigenschaften vor, etwa Maßlosigkeit?
Kasper: Maßlosigkeit und Geldgier sind nicht akzeptabel. Manager, die eine Firma vor die Wand fahren fahren und dann Millionen bekommen, während andere entlassen werden sind wahrlich keine Vorbilder. Ich will nicht pauschal urteilen. Bei uns in Baden-Württemberg gibt es viele Familienunternehmen, in denen ein anderer Geist vorherrscht. Sicher hat der Chef mehr als der einzelne Arbeiter. Doch das Geld, dass sie einnehmen, investieren sie weitgehend wieder, und so kommt es allen zu Gute. Anderswo regiert oft die Gier nach schnellem Geld. Wenn etwa Papiere mit zehn Prozent Zinsen angeboten werden, dann kann das nicht gut geben. Da wird den Menschen etwas vorgegaukelt. Dann entsteht eine Blase, und die Folgen müssen alle tragen.
„Wir brauchen den Markt, wir dürfen ihn nicht verteufeln“
Kann soziale Marktwirtschaft überhaupt noch mit Leben erfüllt werden, wenn der Takt der globalen Wirtschaft von Ländern vorgegeben wird, in denen Werte wie Gerechtigkeit und Menschlichkeit eine eher untergeordnete Rolle spielen?
Das deutsche Modell der sozialen Marktwirtschaft lässt sich selbstverständlich nicht eins zu eins übertragen. Das geht schon in den USA nicht, wo die soziale Dimension nicht dieselbe Bedeutung hat wie bei uns. Doch ohne ethisch begründete Rahmenbedingungen und ohne Gerechtigkeit und Fairness kann die Wirtschaft auf die Dauer nicht funktionieren. Es ist eine wichtige Aufgabe der Kirchen, sich dafür international einzusetzen. Wenn wir uns für solche Werte nicht einsetzen und alles ungezügelten Märkten überlassen, bricht das Chaos aus.
Sind die Finanzmärkte nicht der höchste Ausdruck von Werteverfall, wenn dort selbst mit Tod oder Hunger freudig Geschäfte gemacht werden und die Akteure für das damit verdiente Geld auch noch gesellschaftliche Anerkennung erfahren?
Wir brauchen den Markt, wir dürfen ihn nicht verteufeln. Aber es braucht ein Ethos der Anständigkeit, der Gerechtigkeit, der Wahrhaftigkeit und des Ausgleichs der Interessen, ohne das der Markt auf Dauer nicht funktioniert. Leider ist der Blick auf das Gemeinwohl allzu oft verloren gegangen. Man will schnelles Geld machen und wenn es schief geht, macht man sich aus dem Staub.
„Was du nicht willst, das man dir tu, das füg’ auch keinem andern zu“
Was sollte man ändern?
Gewisse unverantwortliche Finanztransaktionen sollte man verbieten. Aber dazu müssten sich die Staaten einigen und das ist schwierig. Auch eine Finanztransaktionssteuer wäre vernünftig. Für jedes Brötchen, dass wir kaufen, führen wir Mehrwertsteuer ab. Die großen Finanztransaktionen aber sind steuerfrei. Das ist nicht gerecht. Regeln wie Vertrauen und Gerechtigkeit sind die Voraussetzung für eine funktionierende Weltgemeinschaft. Manche verweisen auf die unterschiedlichen Weltanschauungen und Kulturen. Doch wenn man genau hinschaut, findet man in allen Kulturen den Grundsatz: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg’ auch keinem andern zu. Diese „goldene Regel“ findet sich überall und könnte eine gemeinsame Basis sein.
Sind Sie ein unverbesserlicher Optimist?
Ich bin realistisch. Das bedeutet: Man kann und muss etwas dafür tun, dass diese Regel wieder mehr ins Bewusstsein rückt und man kann dabei auch zeigen, dass sie vernünftig ist.
„Wir brauchen Regeln für eine globale Wirtschaft“
Unternehmen geben sich nach außen gerne fair. In der Praxis setzen sie ihre eigenen Ansprüche in der Fabrik am Ende der Welt dann oft doch nicht um, weil dies auch zu Lasten der Gewinne geht. Müssen nicht handfeste Vorgaben an die Stelle ethischer Selbstverpflichtungen rücken?
Es ist ein Skandal, dass wir in vielen Ländern, mit denen wir Handelsbeziehungen haben, solche Arbeitsbedingungen akzeptieren. Sicher stehen die Unternehmen unter Konkurrenzdruck. Aber als Europäer müssen wir beitragen, dass dort für die Menschen akzeptable Bedingungen entstehen. Wir brauchen Regeln für eine globale Wirtschaft.
Nicht einmal in Europa klappt die gerechte Verteilung. Der Kontinent steht vor der Frage, wie viel Selbsthilfe verlangen wir und wie viel Solidarität bieten wir. Kennen Sie den richtigen Weg?
Beides, Hilfe und Selbsthilfe müssen zusammen kommen. Von uns Deutschen wird gerade jetzt viel Solidarität verlangt. Das ist auch richtig so. Aber es darf nicht so sein, dass andere ihre Schulden einfach „sozialisieren“ ohne selbst beim Abbau der Schulden ausreichend zu helfen. Einfach nur Geld geben, verzieht die Menschen und wird auch ihrer Würde nicht gerecht. Hilfe muss immer Hilfe zur Selbsthilfe sein.