Essen. . Thilo Sarrazin hat wieder ein Buch geschrieben - diesmal über den Euro. Der Titel: „Europa braucht den Euro nicht“. Eigentlich ist es in weiten Teilen ein eher sachliches Buch geworden, wären da nicht ein paar Provokationen, die durch das Buch summen, wie ein dumpfer Tinnitus. Eine Kritik.
Der Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin versteht etwas von Geld, besonders vom eigenen. Er weiß, dass Finanz-Fachbücher keine Verkaufswunder sind. Also garniert er seines mit einer steilen These – „Europa braucht den Euro nicht“ – und schlägt einen weiten Bogen zum Holocaust. Das Ergebnis sind 250 000 Vorbestellungen: Der Buchhandel glaubt an ihn.
Wer die 464 Seiten liest, findet jedoch kein einziges Wort darüber, ob der Euro nun abgeschafft gehört oder nicht. Sarrazin belässt es beim Blick zurück. Er liefert eine fundierte wie unstrittige Ursachenanalyse für die aktuelle Euro-Krise. Erinnert an die Geburtsfehler des Euro, an den Einheitskanzler Kohl, der alle Bedenken, auch zum Beitritt Griechenlands, weggewischt hat. An die eigentlich harten Stabilitätskriterien von Maastricht, die niemand ernst nahm. Und an den Sündenfall der Rettungspakete, die gegen die Regel verstießen, kein Land hafte für die Schulden eines anderen.
Sarrazin nur mit vagen Antworten
Und ja, die Vorteile der gemeinsamen Währung haben Südeuropäer, vor allem die Griechen nicht genutzt. Das viele günstig geliehene Geld ist im Staatsdickicht versickert. Richtig ist auch, dass Europa all dies nicht verhindern konnte, weil es keine politische Union bildet, die eine Wirtschafts- und Währungsunion zusammenhält.
Doch was folgt nun daraus? Wäre es für die Südeuropäer besser, wieder eigene, schwächere Währungen zu haben? So provozierend der Buchtitel ist, so unentschieden bleiben die Antworten. Sollen die Griechen raus aus dem Euro? Ist ihre Sache. Soll Deutschland zurück zur D-Mark? Eher nicht.
Die Frage, ob Europa heute ohne Euro besser dastünde als mit, ist genauso umstritten wie hypothetisch. Die viel spannendere Frage ist, ob Europa morgen mit Euro besser dasteht als ohne. Sarrazin führt aus, dass der Euro den Südeuropäern geschadet und den Nordeuropäern nicht genutzt habe. Wäre die Teilung in einen Nord-Euro und einen Süd-Euro also die Lösung? Auch nicht. Seine weitgehendste Forderung lautet, jeder Staat müsse aus dem Euro austreten können. Am besten fände er aber, wenn endlich alle den Stabilitätspakt einhalten würden. Man müsse gar „alles tun, was im Rahmen des Vernünftigen geboten ist, um das Überleben des Euro zu sichern, aber eben nicht um jeden Preis“. Eine Vergemeinschaftung der Schulden wäre ein zu hoher Preis. Nun, das sagen im Grunde alle Ökonomen, ohne deshalb gleich ein Buch zu schreiben.
Populismus eingestreut
Sarrazin weiß das und würzt deshalb sein Buch mit einer Prise Populismus. Allerdings je nach Gusto: Einerseits spricht er vom deutschen Reflex, wonach die Buße für Holocaust und Weltkrieg erst getan, wenn auch das Geld in europäische Hände gelegt sei. Andererseits unterstellt er denselben Politikern, sie wollten „die mit dem Reichsgedanken verbundenen Hoffnungen und Erwartungen nunmehr auf Europa“ übertragen. Damit es jeder versteht: „Die Welt muss am deutschen Wesen nicht mehr genesen, auch nicht auf dem Umweg über Europa.“ Schuldkomplex oder Größenwahn? Sich für etwas zu entscheiden, ist Sarrazins Sache nicht.
Von einem „germanischen“ und einem „romanischen“ Finanzstil sowie dem „preußischen Zuchtmeister“ Deutschland spricht wohl auch nicht zufällig jener Mann, der in seinem vorigen Buch in vergangen geglaubte Rassetheorien hinabstieg. Deshalb muss der Leser mutmaßen, Sarrazin denke wieder an die guten deutschen Gene, die uns den sorgsamen Umgang mit dem Geld vererbten, während den „Südländern“ Verschwendung und Maßlosigkeit in die Wiege gelegt sei. Sarrazin schreibt das nicht wörtlich, aber dieser Grundton summt durch das Buch wie ein dumpfer Tinnitus.