Sindelfingen. Spät in der Nacht haben sie Arbeitgeber und Gewerkschaften geeinigt: Die 3,6 Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie bekommen deutlich mehr Geld. 4,3 Prozent sollen es werden. Beide Seiten erklärten sich mit dem Ergebnis zufrieden. Der NRW-Landesverband will den Tarif annehmen.
Mit einer Lohnerhöhung von 4,3 Prozent bekommen die 3,6 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie den kräftigsten Gehaltsaufschlag seit Jahren. Nach einem rund 14-stündigem Verhandlungsmarathon einigte sich die Gewerkschaft IG Metall mit den Arbeitgebern am frühen Samstagmorgen in Sindelfingen auf den neuen Tarifvertrag, der bundesweit übernommen werden soll. Der IG Metall-Vorsitzende Berthold Huber und Gesamtmetall-Chef Martin Kannegiesser nannten den Kompromiss "fair" und "tragfähig".
Die IG Metall in Nordrhein-Westfalen will den Tarifabschluss aus Baden-Württemberg für die Metall- und Elektroindustrie in NRW übernehmen. Die Verhandlungen mit den Arbeitgebern darüber sollen am kommenden Donnerstag (24. Mai) in Bochum stattfinden, wie die Gewerkschaft am Samstag mitteilte. In Baden-Württemberg hatten sich die Metall-Tarifparteien am Samstagmorgen nach zähen Verhandlungen auf ein Lohnplus von 4,3 Prozent für die Beschäftigten sowie die unbefristete Übernahme von Ausgebildeten und mehr Mitsprache von Betriebsräten bei der Leiharbeit verständigt. Baden-Württemberg gilt traditionell als Pilotbezirk für die Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie.
"Tarifverträge sind aber kein Wunschkonzert", sagte Huber. Beide Seiten seien von ihren Maximalforderungen abgerückt, der Abschluss sei beiden Tarifparteien nicht leicht gefallen. Mit der Reallohnsteigerung sei aber ein Streik in Branche abgewendet worden, unterstrich Kannegiesser. Beide Spitzenfunktionäre hatten zuletzt an dem Kompromiss mitgetüftelt. Die IG Metall hatte zu Beginn der seit Anfang März laufenden zähen Verhandlungen eine Erhöhung der Löhne und Gehälter um 6,5 Prozent gefordert, während die Arbeitgeber umgerechnet auf ein Jahr nur eine Entgelterhöhung von knapp 2,6 Prozent angeboten hatten. Mit einer Warnstreikwelle hatte die Gewerkschaft ihrer Forderung Nachdruck verliehen.
Mit dem nun unterzeichneten Vertrag, der bis Ende April 2013 läuft, bekommen die Betriebsräte künftig mehr Mitspracherechte beim Einsatz von Leiharbeitern, die in der gut ausgelasteten Branche in jüngster Zeit verstärkt eingestellt wurden. Die Arbeitgeber setzten aber durch, dass sie Leiharbeiter zwei Jahre ohne Einschränkungen im Betrieb einsetzen dürfen. Zudem sollen Lehrlinge künftig nach ihrer Ausbildung in der Regel einen unbefristeten Vertrag erhalten.
Die Tarifabschlüsse in der Metallbranche seit 2000
Lohnerhöhung kostet Betriebe wohl sieben Milliarden Euro
Nach überschlägiger Rechnung kostet die Aufstockung der Entgelte die Branche rund sieben Milliarden Euro. Erstmals steigen die Löhne und Gehälter im Mai an. Für April wurde ein "Nullmonat" ohne Erhöhung vereinbart. Die IG Metall empfahl den nach insgesamt 37-stündigen Verhandlungen in Baden-Württemberg erzielten Pilotabschluss allen Tarifbezirken der Branche in Deutschland zur Annahme. Auch die Arbeitgeber nahmen den Abschluss - mit Enthaltung des Verbands in Sachsen - bundesweit an. In Baden-Württemberg sind rund 800.000 Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie tätig. Ein Arbeitskampf hätte der exportabhängigen Branche, die zuletzt mit zum Teil goldenen Bilanzen aufwartete, voraussichtlich schwer zugesetzt. Das letzte Mal war im Südwesten vor zehn Jahren in der Metall- und Elektroindustrie gestreikt worden.
In den vergangenen Wochen war die Frage der Entgelterhöhung von den Tarifparteien ausgeklammert worden, zunächst sollten die besonders umstrittenen Themen Übernahme der Lehrlinge sowie Leiharbeiter beigelegt werden. Vom Grundsatz der unbefristeten Übernahme der Lehrlinge soll künftig nur bei akuten Beschäftigungsproblemen abgewichen werden dürfen. Den genauen Lehrlingsbedarf können die Unternehmen weitgehend in Eigenregie festlegen.
Nach zwei Jahren müssen Leiharbeiter übernommen werden
Beim Thema Leiharbeit einigten sich Arbeitgeber und Gewerkschaft unter anderem auf freiwillige Betriebsvereinbarungen, die die Beschäftigung von Zeitarbeitnehmern regeln. Im Gegenzug dürfen die Unternehmen mehr Beschäftigten eine 40-Stunden-Woche abverlangen. Nach 18 Monaten Einsatz im Betrieb soll künftig die unbefristete Übernahme von Leiharbeitern geprüft werden, nach zwei Jahren wird die Übernahme Pflicht. (rtr)