Essen. . “Die Technik-Innovationen der Zukunft werden auch aus dem Ruhrgebiet kommen“, sagt der Potsdamer Klimaökonom Ottmar Edenhofer. Das Ruhrgebiet wird in seinen Augen noch eine zentrale Rolle bei der Energiewende spielen. Ein Interview über ein verlorenes Jahr und alte Debatten.
Krisentreffen im Kanzleramt, Brandbriefe der Energieversorger: Die Energiewende ist ein Jahr nach dem Atomausstieg ins Stocken geraten. „Wir haben Beschlüsse, aber kein Konzept zur Umsetzung“, kritisiert der Potsdamer Klimaökonom Prof. Ottmar Edenhofer im Interview mit Der Westen.
Herr Edenhofer, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie ins Ruhrgebiet reisen?
Ottmar Edenhofer: Ich finde es faszinierend, dass sich diese Region schon einmal neu erfunden hat – und nun eine große Bereitschaft zeigt, es wieder zu tun. Ich glaube, dass das Ruhrgebiet für die deutsche Energiewende eine zentrale Rolle spielt.
Der Ruhrpott treibt die Energiewende?
Ottmar Edenhofer: Ja, die Technik-Innovationen der Zukunft, insbesondere bei Energiespeichern oder Stromnetzen, werden auch aus dem Ruhrgebiet kommen. Doch dafür muss das Bundesland Nordrhein-Westfalen darauf drängen, dass dieser große Umbau endlich angepackt wird. Statt hehre Ziele zu verkünden, müssen wir sagen, wie wir es umsetzen wollen.
Wo steht die deutsche Energiewende, ein Jahr nach dem Atomausstieg?
Ottmar Edenhofer: Wir haben den Beschluss gefasst, aus der Kernenergie auszusteigen. Aber wir haben noch kein Konzept dafür, wie wir die Energiewende vorantreiben wollen: Wie sollen die Investitionen fossile Ersatzkraftwerke mit einer Nettoleistung von 8 Gigawatt getätigt werden? Darauf gibt es noch keine Antwort. Wie sieht ein Strommarkt der Zukunft aus, in dem die erneuerbaren Energien die Hauptrolle spielen? Wie kann Angebot und Nachfrage zur Deckung gebracht werden, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht bläst? Und wie können wir umgekehrt die Energie speichern, wenn Sonne und Wind mehr Strom erzeugen, als in dem Moment gebraucht wird? Aus meiner Sicht sind wir im letzten Jahr kaum vorangekommen.
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Die FDP in NRW warnt vor einer Industrieblockade, sie fürchtet eine schleichende Deindustrialisierung. Ist die Sorge berechtigt?
Ottmar Edenhofer: Deutschland und das Ruhrgebiet bleiben ein Industriestandort, sie werden nicht deindustrialisiert. Wir leben von unseren Exporten. Doch leider gibt es immer noch Menschen, die so tun, als ob wir einfach immer so weiter machen könnten wie bisher. Das Erdsystem hat jedoch Belastungsgrenzen. Mit einem ungebremsten Ausstoß von Treibhausgasen riskieren wir einen gefährlichen Klimawandel. Die Energiewende ist möglich, und sie ist auch wirtschaftlich sinnvoll Es kommt jetzt darauf an, dass wir sie gestalten. Ich wünschte, wir würden endlich darüber streiten, wie wir den Umbau angehen – nicht ob wir es tun. Wir sollten die Ladenhüter-Debatten aus den 80-er Jahren beenden.
Aber die Sorge, ob Marktinstrumente wie der Emissionshandel überhaupt funktionieren, ist doch berechtigt. Ein CO2-Verschmutzungsrecht kostet an der Leipziger Strombörse soviel wie ein Pizza: 7,50 Euro. Macht das System noch Sinn?
Ottmar Edenhofer: Ich wehre mich dagegen, den Emissionshandel kaputt zu reden. Mit Blick auf den Klimaschutz funktioniert das System durchaus, die Grenzen für den CO2-Ausstoß werden eingehalten. Europa hat ja bereits beschlossen, dass die Emissionen weiter abgesenkt werden, es wird also wieder zu steigenden CO2-Preisen kommen. Die Nachfrage nach Zertifikaten ist wegen des Konjunktureinbruchs hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Auch war die CO2-Einsparung der ersten Tonnen wohl billiger als gedacht, und zusätzlich hat der Ausbau der erneuerbaren Energien die Preise sinken lassen. Es wäre wünschenswert, wenn konjunkturelle Preisschwankungen auf dem Markt vermieden werden könnten, um die Erwartungen der Investoren nicht entmutigen. Wir müssen aber lernen, besser mit dem Emissionshandel umzugehen.
Was sollte geändert werden?
Ottmar Edenhofer: Wir müssen den Emissionshandel reformieren: Wir müssen alle Sektoren in den Emissionshandel miteinbeziehen, weil wir nur so alle Effizienzpotentiale heben, vor allem im Transport und bei Wärmeerzeugung. Vor allem im Wärmemarkt werden große Effizienzpotentiale vermutet, die jedoch bislang nicht in den Emissionshandel integriert waren. Und wir brauchen langfristig eine Art Europäische Klimazentralbank, die den Ausschlag der Preise dämpft, indem sie nötigenfalls Emissionsrechte stilllegt.
Lösen die deutsche Energiewende und der europäische CO2-Handel wirklich die Probleme der Welt?
Ottmar Edenhofer: Sie zeigen der Welt immerhin Wege auf, die Probleme zu lösen. Die Energiewende und die europäische Klimapolitik sind aber nur dann sinnvoll, wenn es mittelfristig zu einem globalen Klimavertrag kommt, an dem sich die wichtigsten Treibhausgasemittenten beteiligen. Mancher glaubt nun, das viel beschworene grüne Wachstum werde alle Probleme auch ohne Klimaabkommen lösen. Das halte ich für eine Illusion. Miit der Subventionierung von erneuerbaren Energien und der Förderung der Energieeffizienz allein werden die weltweiten Emissionen nicht sinken. Diese werden nur sinken, wenn die CO2 Emissionen einen Preis bekommen. Und einen weltweiten CO2-Preis wird es nur geben, wenn es zu einem globalen Klimavertrag kommt.
Warum ist das Illusion?
Ottmar Edenhofer: Wir erleben augenblicklich die größte Kohle-Renaissance der Industriegeschichte. Der hohe Öl- und Gaspreis hat die Verstromung von Kohle extrem wettbewerbsfähig gemacht. Wir stehen vor einer neuen Ära billiger fossiler Energie, von der wir noch riesige Reserven im Boden haben. Die Knappheit des 21.Jahrhunderts wird nicht die Knappheit fossiler Energieträger sein. Knapp ist der Deponieraum für CO2-Abgase in der Atmosphäre. Laden wir hier zuviel ab, so müssen wir uns große Sorgen um unser Klima machen.
Was glauben Sie werden Sie sehen, wenn Sie im Jahr 2020 ins Ruhrgebiet reisen?
Ottmar Edenhofer: Ich hoffe, dass wir dann die ersten erfolgreichen Schritte der Energiewende hinter uns haben. Ich hoffe, dass wir dann einen umfassenden Emissionshandel in Europa haben, dem sich Australien und China angeschlossen haben. Das CO2 hätte einen festen Preis, es schlüge die Stunde der Kommunen im Ruhrgebiet. Investitionen in die Gebäudesanierung, in die Modernisierung von Stadtteilen oder in die Verbesserung des Nahverkehrs würden sich lohnen.