Essen. Die Bundesnetzagentur hat Händler in Verdacht, mit falschen Prognosen die Energieversorgung zu gefährden. Womöglich stand das Stromnetz in den vergangenen Tagen mehrmals vor dem Zusammenbruch. Ursache waren offenbar unerlaubte Geschäfte von Stromhändlern. Behörde drohte den Händlern Strafe.
Gehen die Lichter aus oder bleiben sie an? Die Frage, ob das Abschalten von acht Atomkraftwerken im Winter einen Blackout in Deutschland verursacht, hat Politik und Energiebranche sprichwörtlich elektrisiert. Womöglich stand das Stromnetz in den vergangenen Tagen gleich mehrfach vor dem Zusammenbruch. Doch Ursache war wohl nicht der Atomausstieg, sondern unerlaubte Geschäftemacherei von Stromhändlern, die Kosten sparen wollten. Die Bundesnetzagentur drohte in einem Schreiben an die Händler mit einem Verfahren wegen Pflichtverletzung.
In dem Brief, der dieser Zeitung vorliegt, heißt es, dass seit dem 6. Februar – also während der Kältewelle – „in der Nacht sowie am Morgen und am Abend erhebliche, über mehrere Stunden anhaltende Unterdeckungen“ im Stromsystem verzeichnet wurden. Weiter heißt es: „In der Konsequenz mussten die Übertragungsnetzbetreiber nahezu die gesamte Regelleistung zum Ausgleich einsetzen, so dass im Störungsfall teilweise keine Regelleistung verfügbar gewesen wäre.“
Der Brief der Bundesnetzagentur ist mehrfach erklärungsbedürftig.
Strompreis an der Börse schwankte dramatisch
Wieso kann mit dem Strompreis regelrecht gezockt werden? An der Leipziger Strombörse EEX sind rund 900 Händler und Lieferanten registriert, von den Energieriesen über Banken bis zu Industrieunternehmen und Stadtwerken. Diese kaufen auf Grund von Prognosen teilweise mehrere Jahre im Voraus Strommengen ein, um sie ihren Kunden zu liefern. Doch die Prognosen treffen nicht immer ein. Hat ein Händler zu wenig Strom gekauft, muss er nachkaufen. Zu tagesaktuellen Preisen am Spotmarkt. Darüber hinaus müssen Lieferanten den vier Übertragungsnetzbetreibern (Amprion, Tennet, 50 Hertz, EnBW) eine Prognose mitteilen, wie viel Strom sie am kommenden Tag benötigen. So planen die Netzbetreiber, welche Kraftwerke laufen müssen. Gibt es bei der Tagesprognose Abweichungen, gleichen die Netzbetreiber diese aus.
Ab dem 6. Februar passierte Folgendes: Die Preise für eine Megawattstunde an der Börse schwankten dramatisch. Teilweise mussten 380 Euro bezahlt werden.
Netzbetreiber füllen Lücke
Der Verdacht, den die Bundesnetzagentur an dieser Stelle hegt: Weil einige Händler Strom benötigten, aber nicht bereit waren, diese 380 Euro zu zahlen, senkten sie absichtlich ihre Prognose erheblich ab. In der Gewissheit, dass die Netzbetreiber die Lücke mit der Regelleistung füllen. Ihr Preis ist auf etwa 100 Euro pro Megawattstunde festgelegt. Die Händler sparen auf diese Weise bis zu 280 Euro.
Doch für dieses Lückenfüllen ist die Regelleistung gar nicht gedacht. Sie dient als letztes Instrument, um plötzliche Ausfälle im Stromnetz in Sekundenschnelle auszugleichen und einen Zusammenbruch zu verhindern. Aus Kreisen der Netzbetreiber wird bestätigt, dass in den vergangenen Tagen fast die komplette Regelleistung verschlungen wurde, um fehlerhafte Prognosen auszugleichen.
Händler haben Verantwortung für das Stromnetz
Die Bundesnetzagentur weist in ihrem Brief die Händler auf deren Verantwortung für das Stromnetz hin und äußert angesichts der „angespannten Situation in den deutschen Übertragungsnetzen erhebliche Besorgnis“. Klartext: Eine unvorhergesehene Panne hätte möglicherweise zum Blackout geführt.
Doch bei der Besorgnis will es die Netzagentur nicht belassen. „Wir werden jetzt mit Hochdruck untersuchen, was der Hintergrund für diese Situation war“, sagte Sprecher Rudolf Boll. Es sei nicht ausgeschlossen, dass bei einem Nachweis von Fehlverhalten Strafen verhängt werden, die Höhe richte sich aber nach dem Einzelfall. Darüber hinaus sei die Netzagentur bereits im Gespräch mit dem Bundeswirtschaftsministerium, um solche Dinge in Zukunft zu unterbinden.