Dortmund. . Der Wirtschaftshistoriker Professor Werner Plumpe hält eine Abkehr von der Währungsunion in Europa für durchaus denkbar. Historisch betrachtet sei dies nichts Besonderes.

Als 2008 nach der Lehman-Pleite die große Krise der Wirtschaft ausgerufen wurde, war lange nicht klar, wie schlimm es kommen würde. Vergleiche mit der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre wurden bemüht. Angst wurde erfolgreich geschürt, breitete sich aus. Die Angst, es könne zum Supergau des kapitalistischen Systems kommen. Was droht noch, wo stehen wir heute, wie ist die Krise historisch einzuordnen?

Fragen, die der renommierte Historiker Werner Plumpe, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, bei der Jahresveranstaltung der Gesellschaft für westfälische Wirtschaftsgeschichte in der Dortmunder Industrie- und Handelskammer in dieser Woche aus seiner Sicht beantwortete.

Westfale und Professor

Werner Plumpe ist Jahrgang 1954, in Bielefeld geboren, aufgewachsen in Recklinghausen. Plumpe studierte, promovierte und habilitierte an der Ruhr-Universität Bochum. Seit 1999 lehrt er als Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Goethe-Uni Frankfurt. Seit 2008 ist Plumpe Vorsitzender des Verbandes der Historiker Deutschlands.

Sein Ansatz: Scharf beobachten. Für einen wissenschaftlich denkenden Menschen zunächst kein ungewöhnliches Credo. „Die eigentliche Wirtschaftskrise fand 2008/2009 statt und ist beendet. Es war eine zyklische Krise, nichts Weltbewegendes.“ Plumpes Begründung: Die Weltwirtschaft befinde sich nicht annähernd in einem solch’ kritischen Zustand wie Ende der 1920er-Jahre. „Aktuell haben wir eher ein politisches als ein ökonomisches Problem.“ Aus Plumpes Sicht sind es verschiedene Krisen. Auch eine Bankenkrise. Und Strukturkrisen in verschiedenen Ländern, insbesondere in der Eurozone.

Denkt man an Lehman und 2007/2008, stellt sich die Frage nach der Schuld der Banken und unfassbar aufgeblasener Geschäftsmodelle – bis zum Platzen. Kritik an unmoralischem Handeln der Banken, die mit ihren Phantasieprodukten für Blasen wie 2007/2008 gesorgt hätten, weist Plumpe zurück. Seine These: Die Politik hat die Rahmenbedingungen geschaffen, die Banken haben den „Spielraum“ bis zur Neige ausgeschöpft.

Legitim? Plumpe nennt das Beispiel USA: Freddy Mac und Fannie Mae, die beiden großen US-amerikanischen Hypothekenbanken seien schließlich vom Staat dazu angehalten worden, mal wieder einen amerikanischen Traum, den vom Eigenheim für jedermann, zu befördern. „Moral als Ursache der Krise, da wäre ich vorsichtig“, resümiert Plumpe nüchtern. In Deutschland hat sich im Jahr 2003 Ähnliches zugetragen. Mit dem „Investmentgesetz“ der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder wurden eine Reihe von riskanten Wertpapiergeschäften erleichtert oder erst ermöglicht, etwa sogenannte Hedgefonds. Letztere erlauben es Anlegern, mit hohem Einsatz auf steigende oder fallende Kurse am Wertpapiermarkt zu wetten. Das hatte und hat mit der ursprünglichen Idee einer Aktie – Beteiligung an einem produzierenden Unternehmen – nicht mehr viel gemein.

Anders als in den späten 1920er-Jahren sieht Plumpe also keine Weltwirtschaftskrise. Vielmehr Strukturkrisen bestimmter Länder. Seine Beispiele in der EU: Irland sei mit seinem 90er-Jahre-Modell Finanzkapitalismus gescheitert. Spanien kranke nach wie vor an der Immobilienblase, die für massenhaft Leerstände in Neubauten sorgte und zahlreiche Unternehmen und Verbraucher ruiniert hinterließ.

Griechenland sei seit jeher strukturschwach – und werde es auch nach einem kompletten Schuldenerlass absehbar bleiben. Es mangele an zukunftsträchtigen Arbeitsplätzen jenseits der Dienstleistung, es fehle an Anreizen für nachhaltiges Engagement von Investoren.

Der Euro habe die lange vorhandenen Probleme einzelner Volkswirtschaften bislang nur überdeckt. Was folgt daraus? Plumpe hält in Anbetracht der Probleme in der Eurozone den Abschied vom Währungssystem für denkbar. Was erschütternd klingt, betrachtet der Geschichtswissenschaftler mit kühlem Blick. Historisch betrachtet habe es noch nie ein dauerhaft stabiles Währungssystem gegeben. „Der Euro hat auf die Schuldenländer wie eine Droge gewirkt, jetzt gibt es die Entzugserscheinungen“, urteilt Plumpe. Er übt Kritik am aktuellen finanzpolitischen Vorgehen in der EU und an „der Aufblähung der Geldmenge durch die Europäische Zentralbank. Der Euro passt nicht zu den unterschiedlichen Euroländern.“

Die Frage der Währungsstabilität sei auch die Frage danach, wie lange Länder wie Österreich, die Niederlande, Finnland und nicht zuletzt Deutschland in der Lage seien, zu zahlen.

Der Historiker ordnet die Welt nicht nach flüchtigen Zufälligkeiten. Seine Erkenntnisse liefern optimalerweise Handlungsorientierung. Die aus dem Dortmunder Vortrag lautet: Die beteiligten Staaten sollten die Freiheit behalten, über ein anderes Währungssystem als den aktuellen Euro mit zu ungleichen Partnern nachzudenken. Aus Sicht des Wirtschaftshistorikers wäre dies kein Weltuntergang.

Die Beschlüsse zur Euro-Rettung

Die Beschlüsse des Brüsseler Gipfels zur Euro-Rettung

SCHULDENSCHNITT FÜR GRIECHENLAND

Die Banken erlassen Griechenland 50 Prozent seiner Schulden - "freiwillig", wie in einer Erklärung betont wird. Das entspricht rund 100 Milliarden Euro.

Dadurch soll der Schuldenstand Athens bis zum Jahr 2020 auf 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gedrückt werden, damit Griechenland die Aussicht bekommt, eines Tages wieder ohne ausländische Finanzhilfen auszukommen.

Heute liegt der Wert bei 160 Prozent - zu viel für das Land. Die privaten Gläubiger sollen ihre Anleihen nun Anfang des Jahres umtauschen. Der Euro-Rettungsfonds (EFSF) sichert diesen Vorgang mit 30 Milliarden Euro ab.

ZWEITES PROGRAMM FÜR GRIECHENLAND

Im Juli war ein zweites Hilfsprogramm für Athen vereinbart worden. Da sich die Finanz- und Wirtschaftslage des Landes aber rapide verschlechterte, war das Programm schon nach dem Sommer wieder hinfällig.

Auf Grundlage des Schuldenschnitts ist nun ein neues Paket gepackt worden. Bis zum Jahr 2014 soll Athen weitere 100 Milliarden geliehen bekommen. Darin sind Hilfen für griechische Banken eingerechnet, die durch den Schuldenschnitt vermutlich in Schwierigkeiten geraten.

Die Sparanstrengungen Athens sollen künftig dauerhaft überwacht werden, wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte.

RISIKOPUFFER FÜR BANKEN

Ein Schuldenschnitt zugunsten Griechenlands und weitere Turbulenzen können Befürchtungen zufolge die europäischen Banken in Probleme stürzen.

Deswegen sollen die Finanzhäuser mehr Geld für Notsituationen zurücklegen. Sie müssen nun bis Mitte des nächsten Jahres ihre Risikopuffer, die Kernkapitalquote, auf neun Prozent erhöhen.

Insgesamt sind dafür wohl 106 Milliarden Euro nötig. Die deutschen Banken müssen sich knapp 5,2 Milliarden Euro beschaffen, das gilt als machbar.

Das kann durch Finanzspritzen der Eigentümer oder durch Investitionen des Privatsektors geschehen. Gelingt dies nicht, sollen die nationalen Regierungen und als letzte Möglichkeit der EFSF mit einspringen.

MEHR SCHLAGKRAFT FÜR DEN EURO-RETTUNGSFONDS (EFSF)

Der Euro-Rettungsfonds ist das wichtigste Werkzeug der Eurozone gegen eine Ausbreitung des Schuldenproblems.

Daher soll die "Feuerkraft" des Fonds erhöht werden - allerdings ohne weiteres Geld bereitzustellen.

Die Hoffnung ist, dass durch einen "Hebel" die noch nicht verplanten rund 250 Milliarden Euro eine Wirkung nach Angaben Merkels wie rund eine Billion Euro erzielen.

Dabei geht es um den Kauf von Staatsanleihen in Bedrängnis geratener Euro-Länder. Investoren sollen geködert werden mit dem Angebot, dass der Fonds im Falle einer Pleite beispielsweise 25 Prozent ihrer Verluste übernimmt.

Nach dieser Rechnung würde der Fonds etwa nicht für 100 Euro selber Anleihen kaufen, sondern vier Investoren dazu bringen, jeweils eine Anleihe für 100 Euro zu kaufen.

AUFGABEN FÜR ITALIEN

Italien war zuletzt unter Druck geraten, weil an dem Sparwillen der Regierung in Rom gezweifelt wurde.

Regierungschef Silvio Berlusconi legte auf dem Gipfel Maßnahmen vor, wie der Schuldenberg von 1,9 Billionen Euro abgebaut werden soll.

Bis Mitte 2012 soll eine Schuldenbremse in der Verfassung verankert werden. Bis 2013 will Berlusconi den Haushalt ausgleichen und so den Schuldenstand bis 2014 von 120 Prozent des BIP auf 113 Prozent senken.

Die Regierung will zudem das Renteneintrittsalter bis zum Jahr 2026 auf 67 Jahre anheben und die Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft stärken, indem etwa in manchen Berufen Mindestlöhne abgeschafft werden.

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