Essen. Günther Grotkamp, der frühere Geschäftsführer der WAZ, feiert an diesem Freitag seinen 85. Geburtstag. Grotkamp hat die WAZ zur Mediengruppe ausgebaut. Nun steht sein Name für den Eigentümerwechsel beim Konzern.
Im ersten Stock sitzt ein brauner Bär. Einsam ist er nicht. Dutzende Kollegen aus der Abteilung Plüsch und Puppen hocken auf der Fensterbank, in Reih und Glied, in der Diaspora der Kuscheltiere direkt gegenüber drei Arbeitszimmern. Akten, Archive voller Verträge und Dokumente aus bewegten Zeitungszeiten lagern darin. Ein karger Raum ist eigens Schriftsätzen und Rechtstreitigkeiten gewidmet. Eine Kammer des Schreckens.
Raumgreifend war Günther Grotkamp schon immer. Ein Zimmer nach dem anderen hat er nach dem Auszug der Kinder erobert. Wo früher die Kinder lebten, liegen jetzt die Akten, Stapel an Stapel, akribisch geordnet und harren der Einordnung. Grüne Aktenordner meterweise in schmucklosen Regalen in weiß und hellbraun. An Nachschub mangelt es nicht. Schon gar nicht, nachdem Petra Grotkamp, seit 26 Jahren seine resolute und selbstbewusste Ehefrau, loszog, die vom Vater und WAZ-Gründer Jakob Funke geerbten 16,67 Prozent an der WAZ-Mediengruppe um die 50 Prozent der Gründer-Familie Brost zu vergrößern.
Günther Grotkamp: Ein Haudegen im deutschen Verlagswesen
Ein stinknormales Familienunternehmen soll die Mediengruppe werden. Frieden soll herrschen. Langfristig soll gewirtschaftet werden, auf Generationen hinaus. Von den Kommoden und Sekretären im Wohnzimmer lacht dem Betrachter aus silbernen Rahmen heraus der Nachwuchs unbekümmert entgegen. Drei Kinder, fünf Enkel. Das sollte genügen für eine Zeitungsdynastie. So sehen das jedenfalls die Grotkamps.
Dass sich derzeit viele andere Redaktionen für diesen Eigentümerwechsel interessieren, hat viel mit Günther Grotkamp zu tun, dem alten Eroberer. Ein Haudegen im deutschen Verlagswesen, der sich, um die Nachkriegsgründung WAZ erst unangreifbar, dann mächtig zu machen, in den 1960ern rigoros eine ganze Reihe anderer Zeitungen im Revier einverleibte.
1960 hatte Grotkamp bei der WAZ angefangen, als Justitiar und Personalchef. Als die Konflikte der beiden Gründer Erich Brost, dem aus Danzig zugewanderten Sozialdemokraten, und Jakob Funke, dem Konservativen aus dem Revier, zunahmen, wuchs Grotkamp, respektiert auch von Brost, in eine Vermittlerrolle hinein, war oft genug unterwegs zwischen den beiden Verlegern.
Markenzeichen Sparsamkeit
Die WP, mehr noch WR und NRZ, hatten hohe, aber unrentable Auflagen. Damals erschien die NRZ noch in Wuppertal und Krefeld. Anfang der 1970er Jahre ging die Konjunktur in die Knie und mit ihr die Blätter. Der NRZ-Verleger Dietrich Oppenberg sah, wie die Sträters von der WP, kein Land mehr, die SPD wollte der WR kein frisches Geld mehr geben. Grotkamp griff zu. Inzwischen (seit 1971) Bevollmächtigter der Funke Familien Gesellschaft, holte er die Zeitungen 1972, 1974 und 1975 zur WAZ.
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Gewiefter Taktierer, eisenharter, bisweilen als rüde empfundener Jurist mit unternehmerischer Spürnase für Synergien: Mit den vier Titeln in gleichem Format waren eine gemeinsame Anzeigenvermarktung möglich und enorme Einsparungen in Vertrieb und Verwaltung. Das WAZ-Modell war geboren. Eine nützliche Erfindung, nicht nur für Zeitungen. Nach demselben Modell bewahrte der gläubige Katholik und Ökumene-Freund Grotkamp Jahre später die evangelische wie katholische Kirche in Essen-Werden vor dem Ruin.
Zurückhaltung in der Öffentlichkeit schrieb Grotkamp immer groß. Und Sparsamkeit. Fünf Geschwister waren sie zu Hause in Essen gewesen. Die Mutter hatte neun Geschwister, die durchzubringen waren in Kriegszeiten. Drei Söhne wollten nach dem Krieg in Freiburg studieren, da hatte nach sechs Semestern Schluss zu sein.
Günther Grotkamp und Erich Schumann: „Zwei aus altem Eisen“
Wer so aufwächst, der macht noch selbst das Licht aus auf Verlagsfluren und schickt den Hausmeister los, wenn in den Büros bei offenem Fenster die Klimaanlage bollert. Oder versucht, sich in der Technik-Abteilung für sein antikes Handy noch einen neuen Akku zu besorgen. Oder fährt den Dienstwagen eben zehn Jahre lang. 240 000 Kilometer. Soll bloß niemand aus dem Verlag auf den Gedanken verfallen, er könnte früher als der Chef ein neues Dienstauto bekommen.
Wer es so gelernt hat, macht das meiste noch selbst. Als es plötzlich kein Zeitungspapier mehr geben sollte aus dem kommunistischen Tschechien und die Partner behaupteten, die Fabrik sei stillgelegt, setzte sich Günther Grotkamp ins Flugzeug nach Prag und hernach ins Taxi, um zu entdecken: die Fabrik dampfte. Eine Lüge im Kalten Krieg. Die Russen hatten die Papierausfuhr untersagt. Später kaufte Grotkamp Anteile an der Papierfabrik Holtzmann, deren Verkauf den Gesellschaftern in den 1990er-Jahren einen stattlichen Erlös bescherte.
In den 1980er- und 1990er- Jahren wuchs das Unternehmen. Verantwortlich waren jetzt zwei: Grotkamp gegenüber saß Erich Schumann, der frühere Anwalt von Willy Brandt. Ein Jäger größerer und kleinerer Tiere. Anfangs herrschte Misstrauen zwischen beiden, später agierten sie wie Pott und Deckel. „Zwei aus altem Eisen“, schrieb ein Magazin. Grotkamp stand seit 1975 bis 2000 operativ an der Spitze, Schumann seit 1978 als geschäftsführender Gesellschafter bis zu seinem Tod 2007. Sie kauften RTL-Anteile, bauten in Österreich für Kronen Zeitung und Kurier Druckereien, nicht ohne sich im Gegenzug lukrative Anteile an den Blättern zu sichern, investierten in Thüringen.
Geschichten, vergraben in Akten in Grotkamps Arbeitszimmern. Hier trainiert er mit einer schwarzen zehn Kilo-Hantel, hört Klaviermusik. Die kommt neuerdings vom iPhone, das ihm die Kinder geschenkt haben. Grotkamp freut sich auf die Enkel. Für sie wärmt er großzügig das Wasser im Hallenbad von seinen 21 auf ihre 30 Grad. Private Altersmilde.