Essen. . Schlechte Nachricht für die Bahn: Auf den Konzern kommt ein weiterer Kosten-Batzen zu. Fast auf den Cent genau so teuer wie der neue Bahnhof in Stuttgart - nämlich 4,5 Milliarden Euro - kostet ein hoch kompliziertes elektronisches Sicherheits-System. Die EU verlangt von den Mitgliedstaaten den Einbau bis Ende 2015.

Bahnchef Rüdiger Grube macht ein Wechselbad der Gefühle durch. Die gute Nachricht: Stuttgart 21 wird gebaut. Da hat er die Baden-Württemberger nach der Volksabstimmung auf seiner Seite. Die schlechte: Fast auf den Cent genau so teuer wie der neue Bahnhof an der schwäbischen Eisenbahn, nämlich 4,5 Milliarden Euro, wird ein hoch kompliziertes elektronisches Sicherheitssystem namens ETCS. Die EU verlangt von den Mitgliedstaaten den Einbau bis Ende 2015 – in Deutschland alleine auf vier großen Strecken, darunter der von Emmerich über den Niederrhein nach Basel.

Für die Deutsche Bahn heißt das, dass „ein Großteil der vorhandenen Stellwerke ersetzt werden müsse“, bestätigte ein Sprecher von DB Netz dieser Zeitung. Eigentümer Bund sagt angesichts der hohen Kosten: Wir haben das Geld dafür nicht. Und seit der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Klaus-Dieter Scheurle, den deutschen Widerstand quasi in einem Nebensatz auf einem Parlamentarischen Abend der Bahnindustrie im Sommer angekündigt hat, schlagen beide Seiten in dem Konflikt immer heftiger aufeinander ein.

Berlin will verhandeln

Das Bundesverkehrsministerium begründet seine Kritik an der Vereinbarung sogar mit dem Euro-Debakel: „Angesichts knapper Haushaltsmittel, der europäischen Schuldenkrise sowie insbesondere technischer und terminlicher Probleme erscheint es nicht sachgerecht, von den Mitgliedstaaten nicht vordringliche Investitionen in Milliardenhöhe einzufordern“.

Berlin will also über die Verschiebung des Projekts verhandeln und bietet eine Zwischenlösung an. Deutsche Loks könnten, zum viel geringeren Preis von 200 Millionen Euro, zunächst mit dem ähnlichen System STM ausgestattet werden. Die EU-Kommission hingegen droht mit einem Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, falls Deutschland seinen vertraglich schon 2009 eingegangenen Verpflichtungen zum Einbau nicht nachkommt. Was für Berlin auch sehr teuer werden kann. Bei einer Verurteilung würde von Deutschland täglich ein Bußgeld von 11,5 Millionen Euro erhoben, bis Bund und Bahn Ja zum ETCS sagen.

Schneller unterwegs

Muss die Milliarden-Investition sein? Was ist ETCS überhaupt? Zunächst: Das „European Rail Traffic Management“ ist viel Elektronik. In Stellwerken, an Gleisen und Loks werden technische Elemente eingebaut, über die drahtlos und per Mobilfunk die Züge gesteuert und gewarnt werden. An den Grenzbahnhöfen würde – anders als heute, wo Europas Staaten verschiedene Sicherheitssysteme nutzen – kein Lokwechsel mehr nötig sein. Züge und ihre Fracht sind dann schneller unterwegs und auf Dauer auch billiger.

Deshalb ist das deutsche Staatsunternehmen nicht grundsätzlich gegen ETCS, im Gegenteil: „Die Bahn AG sieht den europäischen Eisenbahnraum als Schwerpunkt ihrer Geschäftsentwicklung auf dem Gebiet des Schienenverkehrs an“, heißt es bei DB Netz. Sie setze sich für Wettbewerb – und deshalb auch für die Beseitigung von technischen Zugangshemmnissen ein. „Positiv“ sei man dem System gegenüber gestimmt, sagt Netz-Sprecher Hans-Georg Zimmermann. Große Teile des innerdeutschen Netzes seien ja bereits mit fortschrittlichen Sicherungssystemen ausgestattet.

Nur: Die Kürze der Zeit und die Höhe der Investitionen schrecken den Bund und das deutsche Bahnmanagement ab. Wie der Streit mit Brüssel ausgeht, ist auch für das Bundesverkehrsministerium derzeit völlig ungewiss. Gewiss sei nur: Zwingt die Union Deutschland zum ETCS-Einbau in der verabredeten Weise, „droht die Beeinträchtigung wichtiger Schieneninvestitionsprojekte“, heißt es in der Antwort auf eine Bundestagsanfrage der Grünen. Im Klartext: Der Rotstift wird dann anderswo angesetzt.